Interview mit Ornithologe Helmut Stahl „Wir halten die Natur für einen Supermarkt“

Bonn · Als Präsident der Alexander-Koenig-Gesellschaft hält Helmut Stahl ein Inventar der Natur für dringend geboten, weil die Experten aussterben. Als passionierter Ornithologe geht sein erster Blick morgens in den Himmel.

Sie sind besonders der Ornithologie zugetan, auch Vize-Vorsitzender der nordrhein-westfälischen Ornithologischen Gesellschaft. Was fasziniert Sie besonders an Vögeln?

Helmut Stahl: Vögel schweben einfach über den Dingen. Wenn das nicht faszinierend ist! Und das tun sie auf ganz unterschiedliche Weise – vom schweren Bussard bis zur eleganten Schwalbe. Und an den Farben eines Bienenfressers oder Eisvogels kann ich mich betrinken. Daneben steht eine kleine Heckenbraunelle, die ganz fein getönte Farbnuancen in ihrem Gefieder hat. Ich habe einen Vogel – auf Ihre Frage – das gebe ich gerne zu.

Gehen Sie auch selbst vor Sonnenaufgang raus in die Natur zu Beobachtungen?

Stahl: Das Hobby kann man anders gar nicht betreiben, wenn man nicht morgens mal nachschaut, wer als Erstes singt. Ich bin beispielsweise auch bei der Kormoran-Zählung aktiv dabei. Einmal im Monat dokumentiere ich die Bestände am Sieglarer See und an der Siegmündung.

Und wie viele sind da unterwegs?

Stahl: Beim letzten Mal habe ich am Sieglarer See neun Brutpaare auf den Schlafbäumen gefunden, an der Siegmündung 105. Es werden dort noch mehr werden, wobei die Population insgesamt nicht wächst.

Die Taxonomie und praktische Biologie hatten in den letzten Jahren einen schweren Stand gegenüber Trendfächern wie Genetik oder Molekularbiologie. Im Museum Koenig werden beide noch hochgehalten. Warum ist das zeitgemäß?

Stahl: Wir brauchen natürlich die Molekularbiologie. Deshalb haben wir im Museum ein großes Forschungsprojekt „German Barcode of life“, wo versucht wird, mit Hilfe der Genetik Arten zu bestimmen und zu katalogisieren. Aber genauso wichtig brauchen wir ein Inventar der Natur in der Region und weltweit. Hier erwächst uns ein großes Problem, weil die alten Experten aussterben und wir keinen Nachwuchs haben. Als Alexander-Koenig-Gesellschaft bemühen wir uns deshalb verstärkt um Artenkenntnisse bei Kindern und Jugendlichen.

Hat die Politik mit ihrer Forschungsförderung – Sie waren früher ja selbst im Regierungsapparat und politisch tätig – falsche Akzente gesetzt, wenn man beispielsweise bedenkt, dass das gravierende Insekten- und Vogelsterben nur noch von Laienforschern entdeckt wurde?

Stahl: Geld kann in der Tat nur einmal ausgegeben werden. Die gesellschaftlichen Interessen haben sich verschoben. Und die Politik wird immer nur das bevorzugt fördern, was von der Gesellschaft eingefordert wird. Es bedrückt mich aber auch abgesehen von der Forschungsperspektive, dass wir bisher kein echtes Rezept gegen den Artenschwund gefunden haben. Wir halten die Natur für einen Supermarkt, der jede Nacht frisch bestückt wird. Dem ist aber nicht so. Viele Arten sterben aus, bevor wir überhaupt ihren Nutzen erkennen. Als Ökonom halte ich das für grob unvernünftig. Und auch unsere Kultur verliert, wenn etwa keine Feldlerche mehr singt. Alle Volkslieder und Gedichte, die sich darauf beziehen, sind dann ebenfalls passé.

Sie sind jetzt seit 250 Tagen Präsident der AKG. Wie haben Sie das Haus vorgefunden? Und wo drückt der Schuh am meisten?

Stahl: Ich kenne das Museum Koenig tatsächlich schon länger. Selbst in Zeiten größter beruflicher Belastung bin ich am Wochenende und zu Vorträgen hergekommen, um mein Fachwissen zu festigen. Nach meiner Amtsübernahme habe ich eine tolle Mannschaft von rund 100 engagierten Mitarbeitern vorgefunden. Trotzdem könnten wir im Haus mehr bewegen, wenn mehr Personal da wäre. Die Öffentlichkeitsarbeit und Museumspädagogik etwa sind eher dünn besetzt.

Die Dauerausstellung wurde schon in Teilen erneuert. Wie geht es weiter?

Stahl: Im Parterre ist das Unterholz der Regenwaldausstellung inzwischen fertig und wird von vielen Eltern und Kindern besucht. Durch die Würgefeige führt eine Treppe in den ersten Stock. Dort soll jetzt das Kronendach abgebildet werden. Danach soll eine Ergänzung den Regenwald im Netzwerk der übrigen Ökosysteme vorstellen.

Im internationalen Vergleich setzen große Naturkundemuseen auf viel moderne Technik. Dagegen wirken deutsche Häuser, ob in Bonn, Berlin oder Frankfurt/Main, eher beschaulich. Hinkt man der Zeit hinterher?

Stahl: Bestimmt. Aber das Problem ist erkannt. Alles, was neu konzipiert wird, setzt auf die neuen Möglichkeiten. Erste Neuerungen sind zum Beispiel interaktive Displays in der Regenwald-Ausstellung oder bei unseren Aquarien.

Reichen die finanziellen Mittel für die Fertigstellung und wie sieht der Zeitplan aus?

Stahl: Wir freuen uns über unsere vielen Sponsoren, die uns immer wieder geholfen haben. Ich selbst habe die Patenschaft für die Schneeeule in der Polar-Ausstellung übernommen. Aber ja: Für den Weiterbau brauchen wir frisches Geld. Ich selbst habe mir das Ziel gesetzt, dass die AKG von jetzt 650 auf 1000 Mitglieder wachsen möge.

Ist ein Zoologischer Garten denn nicht emotional viel ergiebiger als ein Museum mit ausgestopften Tieren?

Stahl: Ein Museum erfüllt andere Zwecke. Wir haben ja nicht nur die Dioramen. Sie können die Präparate auch ganz genau betrachten, sich in Schubladen genauer informieren und auch kleine Experimente machen.

Die AKG unterstützt die Museumsarbeit auch aktiv. Wo liegen aktuelle Schwerpunkte?

Stahl: Vor allem wollen wir junge Leute fördern und ihre Interessen an Natur und Naturwissenschaften wecken. Außerdem machen wir mit unserer Vortragsreihe die Forschungen, die hier im Haus laufen, einem breiteren Publikum bekannt. Interessierte können sich sogar als Bürgerwissenschaftler qualifizieren lassen, um etwa bei der Insekten- oder Vogelzählung mitzuhelfen.

Die Aufgabe in der AKG ist nicht Ihre einzige. Sie haben nach Ihrer beruflichen und politischen Karriere sehr viele Ehrenämter übernommen. Wann finden Sie die Zeit dafür?

Stahl: Ach, manche Aufgaben fordern mich ja nicht täglich. Die AKG zu führen, ist ein Halbtagsjob. Ich genieße es, keinerlei Langeweile zu haben.

Zum Schluss noch eine Frage fürs Poesiealbum: Haben Sie persönlich ein Lieblingstier?

Stahl: Wir hatten mal eine Katze, die 20 Jahre alt wurde. Einerseits habe ich sie sehr gemocht. Andererseits hat sie alle anderen Tierwünsche unserer Kinder von Ratten bis zu Hunden aus dem Haus gehalten (er lacht). In der Natur faszinieren mich Greifvögel. Ich habe zwar bestimmt schon 20 000 Bussarde beobachtet. Aber immer wenn ich ein Profil am Himmel sehe, muss ich näher hinsehen.

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