Ministerien in Bonn Wirtschaftsförderer sieht 26 000 Arbeitsplätze gefährdet

BONN/RHEIN-SIEG-KREIS · Wenn es um die wirtschaftliche Entwicklung der Region geht, hat Hermann Tengler immer die dazugehörigen Zahlen und Daten parat - zumindest aus den vergangenen Jahrzehnten. Seit 1989 Wirtschaftsförderer des Rhein-Sieg-Kreises, hat er den Strukturwandel nach dem Umzugsbeschluss der Bundesregierung begleitet.

Diese Entwicklung sei ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte, sagt er. Und doch treibt ihm die Diskussion um einen möglichen Komplettumzug der Ministerien nach Berlin die Sorgenfalten auf die Stirn. "Arbeitsmarktpolitisch ist die Region immer noch stark vom Bund abhängig", warnt Tengler.

"Das Entscheidende ist die Präsenz der Bundesministerien in Bonn." Davon seien 28 000 Arbeitsplätze direkt abhängig, weitere 31 000 würden zumindest indirekt profitieren. Gehen alle Ministerien nach Berlin, so Tenglers Berechnung, seien 26 000 Arbeitsplätze in der Region gefährdet.

Derzeit kommen die Bonner Ministerien auf insgesamt 6800 Arbeitsplätze, Tendenz sinkend. 2012 waren es noch gut 8000. Diese Entwicklung habe aber keinerlei Auswirkungen auf die Stellensituation, die unmittelbar mit dem politischen Status Bonns verknüpft ist. Diese sei weiterhin stabil, so Tengler und verweist auf die Vielzahl von Behörden, UN-Institutionen, Verbänden, Interessenvertretungen und Nichtregierungsorganisationen. Diese bringen es nach den Zahlen der Stadt Bonn und der Bundesagentur für Arbeit insgesamt auf etwa 21 000 Beschäftigte. "Die sind nur hier, weil die Bundesministerien ihren Sitz in Bonn haben", so der Volkswirt.

"Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, wie viele Menschen in den Ministerien sitzen." Würden alle Ministerien nach Berlin gehen, folge auch der Großteil von Verbänden und Interessenvertretungen. Tengler geht von 70 Prozent des heutigen Stellenstandes aus: Demnach würden dann neben den 6800 ministeriellen Arbeitsplätzen auch noch 5600 Beschäftigte aus diesem Bereich abwandern.

Doch die ökonomischen Verflechtungen zwischen Bonns politischem Status und der Region sind noch weitreichender. Die rund 28 000 Menschen, die in Ministerien, Verbänden oder UN-Einrichtungen arbeiten, geben ihr Geld vor Ort aus. Davon profitieren heute insbesondere Handel, Handwerk und Dienstleistungen.

Tengler geht davon aus, dass jeder Regierungs- oder regierungsnahe Arbeitsplatz weitere 1,1 Arbeitsplätze generiert - macht insgesamt rund 31 000 Arbeitsplätze. Ziehen die Ministerien und die damit zusammenhängenden Einrichtungen von Bonn nach Berlin, sei davon etwa die Hälfte in Gefahr, sagt der Wirtschaftsförderer. So kommt er unterm Strich auf rund 26 000 Stellen, die potenziell gefährdet sind. Weitere negative Effekte: Bevölkerungsrückgang, Kaufkraftverlust, Leerstände.

Der Dienstsitz der Ministerien in Bonn dürfe "nicht verhandelbar". sein, so Tengler weiter. Ihre Bindungswirkung für andere nationale und internationale Organisationen sei nicht zu ersetzen - auch nicht durch die verstärkte Ansiedlung von obersten Bundesbehörden. Und dass ein zweites Mal ein Strukturwandel glückt, wie er sich seit den 90er Jahren in der Region vollzogen hat - daran glaubt er nicht. "Die wirtschaftliche Dynamik ist nicht mehr so stark wie vor 20 Jahren, das Wachstumspotenzial hat nachgelassen." Demnach könnte die Wirtschaft die Lücke, die ein Komplettumzug der Ministerien hinterlassen würde, nicht füllen.

Durch die Ausgleichsvereinbarung zum Berlin-Bonn-Gesetz 1994 wurden etliche Gewerbegebiete in der Region durch den Bund finanziell gefördert, zig Tausende neue Arbeitsplätze entstanden. Das Problem heute: Die Flächen sind bebaut, die Reserven für neue Gewerbegebiete sind endlich.

Die Ausgleichsvereinbarung

Die Ausgleichsvereinbarung für die Region Bonn flankierte 1994 das Berlin-Bonn-Gesetz. Ein Grundgedanke dabei: In Bonn sollten Politikbereiche angesiedelt sein, die zukunftsfähig sind und an Bedeutung gewinnen - und um die sich Einrichtungen, Unternehmen und Dienstleister gruppieren, die die Nähe zu den Ministerien suchen. Schwerpunkte sind etwa Wissenschaft und Entwicklungspolitik. Der Bund sicherte zudem 2,8 Milliarden Mark an Ausgleichsmitteln für den Strukturwandel zu. Damit wurden unter anderem das Forschungszentrum Caesar, die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die Zentren für Entwicklungsforschung und Europäische Integrationsforschung sowie Gewerbegebiete gefördert.

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