"Wissen im Internet richtig nutzen"

ARD-Moderatoren Johannes Büchs und Ranga Yogeshwar sprachen in der Bundeskunsthalle über das digitale Zeitalter.

 Johannes Büchs (links) und Ranga Yogeshwar trafen sich zum Gespräch mit dem GA. FOTO: MÜHLENS

Johannes Büchs (links) und Ranga Yogeshwar trafen sich zum Gespräch mit dem GA. FOTO: MÜHLENS

In einer Talkreihe zur Digitalen Gesellschaft sind die ARD-Moderatoren Ranga Yogeshwar und Johannes Büchs am Donnerstagabend in der Bundeskunsthalle aufgetreten. In der Veranstaltung, organisiert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Deutschen Museum, ging es um "Wikiwissen - Schein oder Sein?". Mit den Moderatoren sprach Maximilian Mühlens.

Herr Yogeshwar, Herr Büchs, Sie möchten wissen, wer der dritte Bundespräsident war - greifen Sie zur gedruckten Enzyklopädie oder befragen Sie Google?

Yogeshwar: Durch Nachdenken bekommt man den Namen auch heraus. Wir haben heute natürlich die Vorstellung, dass jede Antwort mit ein paar Mausklicks auftaucht. Wir vergessen dabei, dass Google nur 70 Prozent des Internets und das Internet nur einen Bruchteil des Lebens abdeckt. Die richtigen Antworten findet man auch dadurch, dass man herausgeht, mit Leuten redet und gräbt.

Es gibt Sachen, die würde ich bedenkenlos nachschauen, beispielsweise die Zahl der Bundespräsidenten - da kann ich mir ziemlich sicher sein, dass das Internet die richtige Anzahl präsentiert. Es gibt aber auch Fragen, bei denen ich nicht weiß, ob ich sie das Internet beantworten ließe. Beispiel: Was sind die Nebenwirkungen von Statinen (Anmerk. d. Red.: Arzneistoff)?

Büchs: Da muss man vorsichtig sein, weil der Artikel vielleicht für viel Geld von einem PR-Mann geschrieben wurde - gerade bei Medikamenten.

Bei all dem Wissen im Internet - haben Sie bei sich auf dem Schreibtisch noch einen Langenscheidt stehen?

Yogeshwar: Nein. Ich habe als angehender Journalist für viel Geld eine Encyclopedia Britannica gekauft - es war wirklich sehr viel Geld, ich musste sie abstottern. Diese wunderbare Encyclopedia habe ich der Bibliothek in Hennef geschenkt und vermute, da wird sie auch nicht mehr gelesen.

Ende August wurde bekannt, dass der Brockhaus zukünftig nur noch digital erscheint - wird dadurch endgültig ein neues Zeitalter der Wissensbeschaffung eingeläutet?

Yogeshwar: Ich gehe noch tiefer, weil ich den Weimarer Appell im Sommer mit unterschrieben habe. Dabei geht es um die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes. Wir haben unendlich viele Archive in Deutschland, die gammeln vor sich hin und zerfallen. Damit zerfällt auch unsere Geschichte. Jetzt könnte der eine oder andere sagen: "Och, wir digitalisieren das!" Was man ja auch macht: Die Bayerischen Staatsarchive haben zum Beispiel einen Deal mit Google, die die Digitalisierung übernommen haben. Viele Archivare haben mir gesagt, wenn man ein Buch digitalisiert, muss man das schonend machen, sonst zerstört man es. Ein Dokument besitzt auch ein Stück Originalität - vor allem in stofflicher Hinsicht. Digital ist toll, aber wer meint, nur zu digitalisieren, der soll demnächst auch digital küssen oder digital eine Suppe kochen.

Bibliotheken haben also immer noch eine Zukunft...

Yogeshwar: Und wie! Es ist nicht nur eine Zukunft, sondern auch eine Verpflichtung, die wir haben, so ähnlich wie bei Kunstwerken, die bewahrt werden müssen.

Wie und wie oft nutzen Sie denn das Wissen aus dem Internet?

Büchs: Dauernd! Ich habe die Wikipedia-App auf dem Smartphone. Ich liebe es, wenn ich an einem Ort bin, zu schauen, ob es einen Artikel gibt, der irgendetwas mit dem zu tun hat, was um mich herum ist. Es gibt in der App die Funktion "Um mich herum" - dafür muss ich Wikipedia erlauben, dass sie mich orten dürfen. Meistens entdeckt man etwas, worüber man sich zuvor keine Gedanken gemacht hat - wie zum Beispiel die Bundesnetzagentur.

Yogeshwar: Du hast gerade die Grundidee des Internets gezeigt, nämlich: "Nutze das Wissen". Smartphones gibt es weltweit. In vielen ärmeren Ländern, beispielsweise in Madagaskar, wohnen die Kinder zwar in Blechlauben, viele haben aber dennoch ein Smartphone. Wikipedia baut in diesen Ländern nun "Wikipedia Zero" auf. Grundidee: keine Verbindungsgebühren für die Kinder, wenn sie auf Wikipedia surfen. Was natürlich kritisch ist, weil Wikipedia ein Monopolist wird. Gleichzeitig ist es aber toll, weil diesen Kindern, die normalerweise null Chancen auf einen Zugang zu Büchern haben, ein Weg zum Wissen gegeben wird.

Eines der größten Probleme des Internets ist, herauszufinden, ob die Informationen, die es vermittelt, richtig sind oder nicht. Welche Parameter legen Sie an, um Quellen zu bewerten?

Yogeshwar: Es ist wie beim Flugzeug: Jeder ordentliche Pilot weiß, wenn er auf die Cockpitinstrumente schaut, dass er nie hundertprozentig sagen darf: "Das stimmt". Er muss auch immer alle weiteren Aspekte im Blick behalten.

Büchs: Im Journalismus veröffentliche ich nichts, wenn ich keine zwei unabhängigen Quellen habe - alte BBC-Regel. Für mich als Privatnutzer gilt die genauso. Schwierig wird es, wenn alle voneinander abschreiben.

Yogeshwar: Da sprichst du einen wichtigen Punkt an. Wir sind heute in einer Gesellschaft, in der das Digitale das Bewusstsein prägt und es in einigen Bereichen extrem schwer fällt zu sagen: "Das entspricht aber nicht der Realität!"

Schüler müssen also ganz besonders für die Recherche und den Umgang mit dem Internet sensibilisiert werden?

Büchs: Das Internet ist ein gewaltiges Mittel, man muss lernen, damit umzugehen - in der Schule, im Elternhaus oder bei Freunden. Sonst hat man eine Chance verpasst.

Bei all dem abrufbaren Wissen im Internet, besteht da nicht die Gefahr, dass die Menschen fauler und bequemer werden?

Büchs: Das ist eine ganz spannende Frage! Wie viele Telefonnummern haben Sie noch im Kopf?

Drei bis fünf werden es sein.

Büchs: Und vor zehn bis fünfzehn Jahren? Wie viele waren es da?

Bedeutend mehr.

Büchs: Genauso geht es den meisten Menschen, nur redet keiner mehr darüber. Bei Wegen ist es genauso. Nach Hause findet man, aber wie gut kennt man sich in seiner eigenen Stadt aus? Seitdem es das "Navi" gibt, braucht man sich auch Wege nicht mehr zu merken. Und ich wette mit Ihnen, irgendwann kann man auch anhand von MRT-Bildern sehen, ob es sich bei der Person um einen "Digital Native" handelt oder nicht.

Yogeshwar: Man kann es heute schon bei der Abbildung der Finger sehen. Die junge Generation schreibt mit dem Daumen, die ältere ist die Zeigefinger-Generation. Der Daumen-Faktor ist auch der einzige, der bei der Mobilität von Jugendlichen besser geworden ist. Die können keinen Salto mehr oder lange auf einem Bein stehen - mit dem Daumen sind sie aber spitze.

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