Bonner "Tower Talk" Wolfgang Clement: "Deutschland ist nur scheinbar gut aufgestellt"

BONN · Noch sind es drei Wochen bis zur Bundestagswahl. Mit der Zeit nach dem 22. September hat sich am Montagabend schon einmal der Bonner "Tower Talk" beschäftigt. Welche Herausforderungen kommen auf die neue Bundesregierung zu - insbesondere in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik?

 Fordert weitere Reformen: Wolfgang Clement.

Fordert weitere Reformen: Wolfgang Clement.

Foto: Horst Müller

Zu dieser Frage hatte das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) neben seinem Direktor Klaus Zimmermann auch den früheren Bundeswirtschaftsminister und NRW-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement geladen.

Demografischer Wandel, Bildung, Energiewende und Europapolitik seien die drängenden Themen der kommenden Legislaturperiode - das war der Tenor der Veranstaltung, die vom stellvertretenden Chefredakteur des General-Anzeigers, Alexander Marinos, moderiert wurde. Auch darüber, dass Deutschland trotz vergleichsweise guter Wachstumsraten und Arbeitsmarktszahlen ohne Reformen nicht langfristig wettbewerbsfähig bleiben könne, waren sich beide Diskutanten einig.

"Deutschland ist nur scheinbar gut aufgestellt", sagte Clement. Die "planwirtschaftliche Katastrophe" der Energiewende setzte die kraftvolle mittelständische Struktur aufs Spiel, weil durch die hohen Strompreise Unternehmen ins Ausland abwanderten. Zur Bewältigung der Krise brauche Europa außerdem ein gewaltiges Infrastrukturprogramm, das durch privates Kapital finanziert werden könne.

Bis zum Jahr 2050 werde die Zahl der Menschen in Arbeit zudem von heute 45 auf 27 Millionen sinken. Um diesem demografischen Wandel zu begegnen, müsse auch außerhalb gängiger Muster gedacht werden. "Aus meiner Sicht muss es gar kein gesetzlich festgelegtes Rentenalter geben." Schließlich gebe es viele Menschen über 70, die gerne arbeiten würden. Auch durch mangelnde frühkindliche Bildung drohe Deutschland viel Potenzial zu verschwenden.

Zu einer Einschätzung, wer den Herausforderung besser gewachsen wäre, wollten sich beide nicht hinreißen lassen. "Egal welche Koalition: Die Parteien werden den Herausforderungen nicht genügen", lautete Zimmermanns Prognose. Der ehemalige SPD-Politiker Clement ging hart mit seinen einstigen Genossen ins Gericht: Die Tendenz der jetzigen Opposition, die Arbeitsmarkt-Reformen zurückzunehmen und immer mehr staatliche Regulierung zu fordern, sei der falsche Weg.

Die Hoffnung wollte Clement, der inzwischen als Lobbyist für die Unternehmerorganisation "Initiative Soziale Marktwirtschaft" tätig ist, aber noch nicht aufgeben. Schließlich habe Deutschland mit der Agenda 2010 bewiesen, dass es "Reformen kann".

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