Zehn Jahre nach Bonn/Berlin-Umzug Zehn Jahre nach Bonn/Berlin-Umzug: WCCB-Desaster gefährdet den Erfolg

Strukturwandel: Bonn könnte das "Genf von Deutschland" werden. Und für einen möglichen BaFin-Umzug liegt "Plan B" in der Schublade.

  Die Fahne der Vereinten Nationen  vor dem UN-Campus im Langen Eugen: Für Bonn ist das Prädikat "einzige deutsche UN-Stadt" von großer Wichtigkeit, dem mehr Bedeutung zukommen müsste, sagen Experten.

Die Fahne der Vereinten Nationen vor dem UN-Campus im Langen Eugen: Für Bonn ist das Prädikat "einzige deutsche UN-Stadt" von großer Wichtigkeit, dem mehr Bedeutung zukommen müsste, sagen Experten.

Foto: Volker Lannert

Bonn. Es lief doch alles so glatt. Gut zehn Jahre nach dem Umzug von Parlament und Teilen der Regierung, der den Wegzug von gut 20 000 Mitarbeitern von Bundes- und Landesbehörden, von Diplomaten, Verbänden und Lobbys zur Folge hatte, lief der Strukturwandel in der Region geradezu wie am Schnürchen.

Und dann das: Über dem Leuchtturm des "neuen Bonns", dem World Conference Center (WCCBonn), zogen dunkle, ja schwarze Wolken auf. Es folgten Pleiten, Verhaftungen, Baustillstand. Eine Millionenfalle.

Großveranstaltungen wie der FDP-Parteitag oder UN-Kongresse mussten abgesagt werden. Wann sich auf der Großbaustelle wieder die Kräne drehen, weiß niemand. Dieses Desaster hat dem Image der Stadt schwer geschadet. Es droht, den bisher durchweg erfolgreich verlaufenen Strukturwandel zu gefährden.

Dabei hat die Stadt am Rhein die Auswirkungen des Berlin/Bonn-Beschlusses vom 20. Juni 1991 gut verkraftet. Als eine der wenigen Städte in Deutschland kann Bonn eine steigende Einwohnerzahl verzeichnen - von 307 814 im Dezember 2000 auf 317 380 zehn Jahre später.

Nicht zuletzt dank der 1,45 Milliarden Euro, die der Bund der Region für den Strukturwandel zur Verfügung stellte, konnten neue Arbeitsplätze geschaffen und hochkarätige Einrichtungen wie das Forschungszentrum Caesar oder die Fachhochschulen an Sieg und Ahr gebaut werden.

Die Post errichtete ihren Tower und den dahinterliegenden Post-Campus, die Telekom breitete sich an der B 9 aus, die Deutsche Welle zog in den Schürmann-Bau, und im ehemaligen Parlaments- und Regierungsviertel gibt´s jetzt 40 000 hochkarätige Arbeitsplätze - 12 000 mehr als 20 Jahre zuvor.

Bonn ist auf dem richtigen Weg", erklärt denn auch Erik Bettermann. Der ideenreiche Intendant der Deutschen Welle mahnt zugleich: "Die Stadt muss sich noch stärker der Zukunft zuwenden, dann könnte Bonn das “Genf von Deutschland„ werden", sagt er in Anspielung auf die große Strahlkraft der UN-Metropole in der Schweiz.

Das Prädikat "Bundesstadt" verweise "noch zu sehr auf vergangene Zeiten". Bettermanns Vorschlag: Die Bedeutung Bonns als UN-Stadt müsse stärker ins öffentliche Bewusstsein gehoben werden. Querschüsse kommen derweil aus Berlin.

Jüngst erst wieder von der Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Petra Merkel. "Auf jeden Fall" müsse in dieser Legislaturperiode der Beschluss gefasst werden, das Prinzip der doppelten Amtssitze zu beenden", forderte die SPD-Politikerin (Wahlkreis: Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf).

Dem steht jedoch der Koalitionsvertrag von CDU/CSU/FDP entgegen. Dort heißt es: Am Berlin/Bonn-Gesetz wird nicht gerüttelt. Was auch die führenden Köpfe ihrer Parteien so sehen.

Karl-Heinz Däke gehört zu den Stimmführern der Alles-nach-Berlin-Befürworter. "Der Komplettumzug wird kommen! Je früher, desto besser", sagte er kürzlich wieder. Dabei argumentiert der Präsident des Bundes der Steuerzahler stets mit dem Geld: "Die derzeitigen Doppelstrukturen kosten nach unseren Schätzungen jährlich rund 23 Millionen Euro."

Dem stehen indes die Zahlen des neutralen Bundesrechnungshofes gegenüber. Der hatte bereits 2004 festgestellt: "Die Kosten, die die Aufteilung von Regierungsfunktionen auf Bundeshauptstadt und Bundesstadt verursachen, liegen bei rund zehn Millionen Euro. Tendenz: fallend." Das bestätigt das Bundesfinanzministerium.

"Im vergangenen Jahr betrugen die Kosten für Flüge und Kommunikation zwischen den Ministerien in Berlin und Bonn 8,8 Millionen Euro - mit fallender Tendenz", heißt es im jüngsten Bericht des Ministeriums an den Haushaltsausschuss. Zum Vergleich: Ein Komplettumzug würde nach vorsichtigen Schätzungen mindestens fünf Milliarden Euro kosten - etwa die Hälfte jener gut zehn Milliarden Euro, die vor gut zehn Jahren für Bonn/Berlin ausgegeben wurden.

So meint denn auch der Bonner SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber: "Ich sehe niemanden, der bei dieser Haushaltslage wirklich einen Totalumzug beschließen wird. Übrigens hat der Bund seit dem ´91er Umzugsbeschluss rund eine Milliarde Euro in seine Bonner Bauten investiert.

Denn er nutzt nach wie vor hier alle seine Gebäude, baut weitere hinzu wie vor einem Jahr das Bundesgesundheitsministerium in Duisdorf, und hat zudem weitere Büros gemietet. "Was will der Bund mit seinen Häusern denn anstellen, wenn er aus Bonn wegzöge - ich weiß es nicht", fragt ein Beamter aus dem Bauministerium.

Zurück zur "Pro-Berlin-Fraktion". So einfach, wie die sich das vorstellt, ist es nicht. Sagt einer, der es wissen muss: Klaus Westkamp, unter elf Ministern Leiter des Umzugs- und Ausgleichsstabes der Bundesregierung. Von ihm stammt die Idee des "Kombinationsmodells", wonach die Ministerien auf Berlin und Bonn aufgeteilt wurden.

Und, ebenso wichtig: Möglich wurde der Umzug erst mit einem "genialen Tauschkonzept", so die Neue Zürcher Zeitung. Zwischen den Ministerien und den Bundesbehörden, die nach Bonn umziehen mussten, wurde das Personal ausgetauscht, so dass zwar rund 18 000 Arbeitsplätze zwischen den Städten verlagert wurden, aber nur 10 600 Mitarbeiter umziehen mussten.

Daher sagt Westkamp: "Eine derartige Personaltausch-Aktion ist nicht wiederholbar, da es keine Bundesbehörden gibt, die im Tausch gegen Bonner Ministerien hierhin zögen."

Und daher sehe er auch nicht die Gefahr einer Rutschbahn nach Berlin: "Unser System war sehr kompliziert; das entzieht sich jetzt einfachen Lösungsansätzen. Da passiert nichts." Allerdings weiß auch der gewiefte Rheinländer, dass der Bundestag mit einem Federstrich das Berlin/Bonn-Gesetz ändern könnte.

Auf absehbare Zeit sieht er die Gefahr nicht. Doch sollte der Bund die sechs "Bonner Ministerien" an die Spree verlegen, sieht er, losgelöst von der heiklen Personal-Thematik, ein zentrales Problem: "Dann wären auch schnell jene Behörden und Organisationen weg, die gerade deshalb in Bonn sind, weil hier auch die Ministerien ihren Sitz haben. Damit würde ein zentraler Pfeiler der Bundesstadt einstürzen." Als Beispiele nennt er die Politikbereiche Bildung und Entwicklungspolitik.

Ungemach droht derweil von anderer Stelle. Denn die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP plädieren für eine Neuordnung der Bankenaufsicht - und die sitzt mit rund 1 200 Mitarbeitern derzeit in Bonn: die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in der Graurheindorfer Straße 108 (knapp 500 BaFin-Kollegen arbeiten in Frankfurt).

Einen Komplett-Umzug vom Rhein an den Main lehnen Bundespolitiker jedweder Couleur aus der Region Bonn strikt ab. Gleichwohl haben sie nach GA-Informationen einen "Plan B" in petto, der in der Regierung auf Zustimmung zu stoßen scheint: Falls die Bundesanstalt nach Frankfurt zieht, sollte als Ausgleich der Hauptsitz der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) von Eschborn nach Bonn verlegt werden.

Allerdings nicht das komplette Team mit seinen mehr als 1 000 Mitarbeitern, sondern zunächst nur rund 100; mehr BaFin-Mitarbeiter dürften in der Anfangsphase auch nicht gen Süden ziehen. Die GTZ, die mit den in Bonn ansässigen Organisationen Deutscher Entwicklungsdienst (DED) und "Internationale Weiterbildung und Entwicklung GmbH" (Inwent) zur "Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit" (GIZ) fusionieren könnte, wäre dann ein starkes Standbein für den Bonner Politikbereich Entwicklungs-Zusammenarbeit.

Und in puncto Entwicklungspolitik ist die Bundes- und UN-Stadt in der Tat Spitze: Mehr als 200 Organisationen beschäftigen sich hier mit diesem Aufgabengebiet. Noch in diesem Monat will sich das Bundeskabinett mit dem Thema befassen.

Nach GA-Informationen gibt es zudem Überlegungen, das Bundes-Gästehaus Petersberg zu einem Ausbildungs- und Veranstaltungszentrum umzufunktionieren - vornehmlich für die Bonner Entwicklungshilfe-Organisationen, wobei die Außengastronomie für die Öffentlichkeit erhalten bleiben sollte. Dieser Plan könnte jedoch erst mittelfristig umgesetzt werden, da der Pachtvertrag mit Steigenberger noch bis 2019 läuft.

Das "Camp David vom Rhein" hatte kürzlich für Schlagzeilen gesorgt. Denn der Chef der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Dirk Kühnau, hatte dem GA gegenüber erklärt, der Bund erwäge aus wirtschaftlichen Gründen einen Verkauf seines Gästehauses. Was Bundespolitiker aus der Region mit Nachdruck zurückweisen. Nun hat sich Finanzminister Wolfgang Schäuble persönlich des Themas angenommen.

Ergebnis: offen. Aber: Bisher ist im Strukturwandel alles glatt gelaufen. Fast alles.

Berlin/Bonn-Gesetz vom 26. April 1994 (Auszüge)§ 1 (1) Zweck des Gesetzes ist es, ... die Wahrnehmung von Regierungstätigkeiten in der Bundeshauptstadt Berlin und in der Bundesstadt Bonn zu sichern und einen Ausgleich für die Region Bonn zu gewährleisten.

§ 1 (2.1) Sicherstellung einer dauerhaften und fairen Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn.

1 (5) Unterstützung der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn bei den ihnen vom Bund zur Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Repräsentation vereinbarungsgemäß übertragenen besonderen Aufgaben.

§ 4 (1) Bundesministerien befinden sich in der Bundeshauptstadt Berlin und in der Bundesstadt Bonn.

§ 6 (1) Die Folgen des Verlustes des Parlamentssitzes und des Regierungssitzes für die Region Bonn werden durch die Übernahme und Ansiedlung neuer Funktionen und Institutionen . . . sowie durch Unterstützung bei notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen angemessen ausgeglichen.

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