Die Millionenfalle 41 Zehn Millionen Euro zur freien Verwendung

BONN · Die RPA-Prüfer beleuchten das mysteriöse 10er-Budget: "Ein Auffangbecken für unbezahlte Rechnungen jedweder Art".

Eine Bäckerei, ein Obst- und Gemüsegeschäft, eine Autohandlung und ein Lebensmittelladen gründen ein politisch gewolltes Shopping-Center. Vier getrennte GmbHs, jede hat ihr eigenes Konto, aber kein eigenes Geld.

Das gemeinsame Ziel: Das Projekt gerade in der Anfangsphase wirtschaftlich über Wasser halten. Größter Investor dieser fiktiven Einkaufsmeile ist der Steuerzahler, denn alle GmbHs ernähren sich aus einem öffentlich besicherten Kredit oder von Zuschüssen.

Kann der Bäcker das Mehl mal nicht bezahlen, springt der Autohändler ein, hat der Obstmann bei der Erdbeerenlieferung gerade nichts in der Kasse, fragt er die anderen. Irgendwas geht immer. Die Bereitschaft für gegenseitige Darlehen mit Steuerzahlergeld ist groß und die Rückzahlungsdisziplin schlecht. Erstaunlich lange turnen die Sorglosen gemeinsam am Abgrund entlang - bis alle und nahezu im Tagesrhythmus in die Insolvenz kippen.

So in etwa lief es von 2007 bis 2009 rund ums World Conference Center Bonn (WCCB). Es war kein Zuckerschlecken, diese Zahlungsflüsse zu rekonstruieren. Aber die Prüfer des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) haben im WCCB-Dschungel Kurs gehalten. Sie schreiben: "Ein solches Durcheinander von geänderten OP-Listen, Verfassen von Vermerken für die Freigabe und Erteilung des Auszahlungsauftrages an die Sparkasse ist im Grunde genommen ohne Beispiel." Ein Satz mitten aus dem WCCB-Report des RPA - aus jenem Kapitel, das sich mit dem sogenannten 10er-Budget befasst.

Ein heißes Eisen. "10er" steht für 10 Millionen Euro - Geld, das noch nicht verplant war. Eigenkapital, NRW-Zuschuss und mit Stadt-Bürgschaft besicherter Kredit addierten sich im Jahr 2006 auf 150 Millionen Euro, aber laut Projektvertrag sollten 139 Millionen für das WCCB reichen. Kurzerhand "wurden die 'freien' 10 Mio. EUR zum Sonderbudget deklariert", so das RPA.

Dieses Sonderbudget wird vermutlich auch am Dienstagabend (ab 20 Uhr) eine Rolle spielen, wenn der Stadtrat zur WCCB-Sondersitzung tagt. Die Dringlichkeitsanträge von Bürger Bund Bonn (BBB) sowie Grünen und CDU drehen sich (siehe Titelseite) allesamt um die Themenkreise Marketingkosten und die Agentur Kreativ Konzept (KK).

Ob Tacheles geredet werden darf, ist ungewiss. Aber da der RPA-Bericht seit Dienstag bei uns unter www.ga.de online und damit "öffentlich" steht, muss der OB nicht mehr fürchten, den Personen- und Datenschutz zu verletzen.

Die Sondersitzung findet zudem vor dem Hintergrund extrem malader Stadtfinanzen statt. Es herrscht Sparzeit, und der Bürger versteht manches nicht mehr. An der Front zwischen öffentlichem Grün, Bonn-Ausweis, Hundesteuer und Parkgebühren werden die Zitronen ausgequetscht, während durch das Leck "WCCB" Millionen rieselten und über die Baustillstandskosten weiter rieseln: Bald jährt sich der Tag, an dem die Baustelle geschlossen wurde und der Stillstand mehr Geld verschlungen hat als die gesamte Sportförderung inklusive Bäder in einem Jahr.

Warum das sogenannte 10er-Budget plötzlich in den Fokus rückt, erklärt der RPA-Bericht. Aus Vermerken sei ersichtlich, dass das Sonderbudget aufgelaufene Verluste, strategisches Marketing und Pre-Opening-Kosten finanzieren sollte, während die Stadt gleichzeitig noch einen zusätzlichen Betriebskosten- (0,6 Mio.) und Marketingzuschuss (1,0 Mio.) pro Jahr (2008 und 2009) gewährte, auch um den Betrieb der Beethovenhalle und der Bestandsgebäude zu sichern. Von diesen 10 Millionen floss somit kaum ein Euro in Beton und Stahl des WCCB.

Unterm Strich erkannten die RPA-Prüfer - Gemüsemann hilft Autohändler - vor allem: "Dass man seitens der Stadt Bonn (...) das Ziel verfolgte, die Bonität der Unternehmen zu sichern." Entsprechend lasch verlief das Controlling dieser Mittel - wie bei den Baukosten (siehe Millionenfalle 36): Häkchen an Positionen auf Listen, weitgehend ohne Vorlage von Rechnungen, geschweige deren Überprüfung. Wieder entstehen haarsträubende, für den Steuerzahler teure Häkchen.

Beispiel: Als Jahresabschluss 2007 legt Man-Ki Kim eine "eher händig gefertigte Liste" vor, die ein Minus der alten Betreibergesellschaft SMI Hyundai Management von 700 000 Euro "belegen" soll. Auf diesen Fehlbetrag schätzt Kim bereits am 13. Dezember 2007 das Jahresergebnis 2007. Sieben Positionen, ein Rechenfehler. Nach einer Zwischensumme von minus 500.000 Euro taucht eine Darlehensrückzahlung des Bauherrn UNCC an die Betreibergesellschaft von 200.000 Euro (Einnahme) auf. Das RPA: "Unter Anwendung des richtigen Vorzeichens, einem “Plus„, ergibt sich rechnerisch ein Fehlbetrag von 300.000 und nicht von 700.000 EUR."

Aber selbst ohne Rechenfehler ist alles Kokolores. Im elektronischen Bundesanzeiger sind alle offiziellen GmbH-Jahresabschlüsse hinterlegt. Dort sehen die RPA-Detektive das Gegenteil: Kims Management GmbH hat 2007 schwarze Zahlen geschrieben. Das RPA resümiert: "Das heißt mit anderen Worten, dass die SMI Management insgesamt am Ende des Jahres 2007 einen Erfolg von rd. 577.000 EUR hatte" - und in keinem Fall ein Minus. Trotzdem kam es zur Auszahlung der von Kim reklamierten 700.000 Euro.

Kim begründet den vermeintlichen Fehlbetrag: In enger Absprache mit der Stadt seien Maßnahmen durchgeführt worden, "die zu Kosten für beispielsweise die Entwicklung des Namens “World Conference Center Bonn„ sowie des Logos, der Marketingmaterialien und für Personal in einer Größenordnung von rund EUR 300.000 geführt haben". Das RPA: "Zusätzlich werden in der Anlage die Kosten Kreativ Konzept (Werbeagentur) mit 122.000 EUR beziffert. Mit dieser Anlage soll “belegt„ sein, dass für das strategische Management Kosten in Höhe von 300 TEUR entstanden sind."

Dem RPA fiel zudem auf, dass die alte (SMI Hyundai Management GmbH) und die neue Betreibergesellschaft (WCCB Management GmbH) "in Aufbau, Aussehen und Schrift identische Rechnungen" schrieben. Nur die Firmenlogos seien ausgetauscht worden. Formal verschiedene Gesellschaften, aber mit fortlaufenden Rechnungsnummern - 1218, 1219, 1220. Bezieht man noch den Bauherrn in sensible Betrachtungen ein, "stellten wir immer wieder fest", so die RPA-Prüfer, dass ein gewisser Michael Thielbeer (einst Investorenauswähler der Stadt, dann bei SMI Hyundai unter Vertrag/Anm. d. Red.) für alle drei Gesellschaften unterschrieben habe.

Da überrascht es nicht, dass auch alle drei "die gleiche Fax-Nummer haben". Dazu "inhaltlich völlig identische Formulierungen". So heiße es immer wieder: "Aufsetzend auf unsere Gespräche" oder "demzufolge bitten wir (...) zeitnah zu prüfen und freizugeben". RPA-Fazit: "Das ließe sich entweder dadurch erklären, dass alle drei Gesellschaften gleiche Textbausteine verwendeten oder dieser besagte Schriftverkehr der UNCC, SMI und WCCB aus einer Feder stammt." Das deckt sich mit der Aussage eines GA-Informanten: "Alles war im Grunde eine Kasse."

Das RPA kritisiert, dass das WCCB-Flughafen-Werbebanner ("Kreditor: Kreativ Konzept") von der WCCB GmbH für einige Monate doppelt abgerechnet wurde. Insgesamt ergebe sich "eine Überzahlung von 51 569,84 Euro". Hier geht es um den städtischen Marketingzuschuss von einer Million Euro pro Jahr, dessen Verwendung nicht vom Städtischen Gebäudemanagement (SGB), sondern vom städtischen Dezernat II (Finanzen) geprüft wurde.

Der städtische Angestellte des Dezernats II merkt an: "Bei den Marketing-Zuschüssen fehlen die Originale der Rechnungen mit dem Vermerk “sachlich und rechnerisch richtig„. Ich habe hierzu auch Detailfragen. Z.B. werden monatlich hohe Personalkosten (Agentur und Beratung, Eigenveranstaltungen, Roadshows) in Rechnung gestellt. Was verbirgt sich genau dahinter? Ich bitte auch um eine Aufschlüsselung der Personalkosten für die Rheinlobby in Berlin (10 400 Euro). Die Frage nach den 2000 Euro, die das Flughafenbanner pro Monat an Personalkosten verursacht (neben der Miete von rd. 10.800 Euro), hatte ich schon einmal gestellt."

Das RPA: "Eine Antwort auf diese Frage haben (...) wir nicht gefunden. Genauso unklar bleibt, warum Agentur- und Beratungskosten noch zusätzliche Personalkosten von 4000 Euro verursachen." Im RPA-Bericht folgen weitere Beispiele für das Auseinanderklaffen von Sach- und Personalkosten bei Agenturevents. "Was sind das für Treffen/Veranstaltungen, bei denen die Sachkosten bei ca. 190 Euro liegen?" Und die Personalkosten bei 2560 Euro? Dann wieder ein Event: "Bei dieser Veranstaltung scheint das eigene Personal um 1600 % teurer gewesen zu sein als das Fremdpersonal (Fotograf und Jazzband)."

Martin Schilling, KK-Mitgeschäftsführer und SPD-Mitglied, antwortete am Montag auf GA-Fragen wie folgt: "Der RPA-Bericht ist uns nicht bekannt, deshalb können wir zu dortigen Aussagen kaum Stellung beziehen. Ich weiß auch nicht, was das 10er-Budget ist." Schilling schließt: "Alle weiteren Fragen müssen ggf. durch unseren Anwalt beantwortet werden."

Die Rheinlobby ist ebenfalls eine Erfindung von KK. Unter www.rheinlobby.de wird die Veranstaltung erklärt: "Bonn hat Zukunft. Nicht nur hier im ehemaligen “Regierungsviertel„, aber besonders hier. Rheinlobby will diese Zukunft mitgestalten und Menschen zueinander bringen. Come together, Networking, Lobby-Arbeit oder einfach nur den Tag ausklingen lassen." Auch diese Homepage hat ein Impressum: "Inhaltlich Verantwortlicher gem. § 6 NDStV: Martin Schilling, E-Mail: schilling@kreativ-konzept.com."

Die Stadt hatte das Tor zum Selbstbedienungsladen selbst weit aufgestoßen, weil etwa der erwähnte städtische Betriebskostenzuschuss "ohne Nachweispflicht gewährt wurde" (RPA); so seien überhaupt erst "Doppelabrechnungen möglich" geworden. Das Fazit des RPA zum 10er-Budget: Es müsse der städtischen Projektleitung im Laufe des Projekts "klar gewesen sein, dass es um die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaften nicht gut bestellt war. In den Unterlagen haben wir eine ganze Reihe von Mahnungen mit Androhung des Inkassoverfahrens, Sperrung von Telefonanschlüssen wegen offener Rechnungen, Androhung von Schadensersatz bis hin zur Haftandrohung gegen SMI Hyundai Management vorgefunden."

Das RPA: "Im Ergebnis war das 10er-Budget 'Auffangbecken' für unbezahlte Rechnungen jedweder Art." Und ein Zehn-Millionen-Faktor bei der ominösen Baukostenexplosion. Einen "kuriosen Kreislauf" nennt das RPA die Tatsache, dass die "Grundsteuer der Beethovenhalle" von der Stadt in Rechnung gestellt wird und über das 10er-Budget abgerechnet wird. Kurzum: Die Stadt bezahlt selbst, was sie in Rechnung gestellt hat.

Wie in der "Millionenfalle" berichtet und vom RPA in Teilen bestätigt, stand beim WCCB nicht das Bauen im Vordergrund, sondern das - Zusatzhonorare auslösende - Umplanen und allgemein das Abgreifen immenser Beträge. So stiegen die Planungs- und Baustellengemeinkosten um 116 Prozent, was unter anderem dazu führte, dass das WCCB-Parkhaus das teuerste der westlichen Hemisphäre sein dürfte. Nach GA-Informationen liegt das Veruntreuungspotenzial bei mindestens 20 Millionen. "Aber auch das Doppelte wäre keine Überraschung", so ein Experte der Millionenfahndung.

Über allem schwebt die Frage: Warum? Warum dieser Habenichts-Investor Kim für Bonns fast heiliges WCCB-Projekt? Warum duldete die Stadt, dass Kim ohne ausreichendes Eigenkapital den Bau starten durfte?

Warum sorgte die Stadt über das 10er-Budget auch noch für die Liquidität der involvierten WCCB-GmbHs? Warum eine Kostenkontrolle, die keine war? Warum hat der neue Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, auf dessen Wahlplakaten die drei Buchstaben SPD fehlten, nicht die Chance zum Neuanfang ergriffen? Warum wirkt er wie ein Trainer, der vor den Mikrofonen Offensivfußball verspricht, aber auf dem Feld den Catenaccio (ital. "Sperrkette") neu erfinden lässt?

Warum wundert er sich, dass alle um ihn herum - Staatsanwaltschaft, Medien, Stadtrat, RPA - beim WCCB aufklären wollen? Warum wurden die Maschen im Netz so weit gestrickt, dass die Südkoreaner so viele Millionentore schießen konnten?

Warum tritt Nimptsch nur mit einer juristischen Leibgarde vor den Rat? Warum ließ er nur eine öffentliche Version des RPA-Berichts zu, die eine Farce ist? Warum wurde SGB-Leiter Friedhelm Naujoks (SPD), gegen den wegen Untreue ermittelt wird, nicht fristlos entlassen? Warum stilisierte Nimptsch den ehemaligen WCCB-Management-Mitgeschäftsführer Matthias Schultze zu einer unverzichtbaren Kompetenzgröße hoch?

Der "Spiegel" (15/2010) beantwortete die Warum-Fragen mit einer Gegenfrage: "Wie dumm darf sich eine Stadtverwaltung anstellen, bevor es kriminell wird?" Als das Nachrichtenmagazin das fragte, lag der geheime WCCB-Bericht des RPA noch in der Druckerpresse. Dort taucht auch KK immer wieder mal auf. Bereits im September 2009 stellte der WDR angesichts der Konstellation zwischen KK, Stadt, WCCB und SPD Bonn.

"Verquickungsfragen", denn den üppigen WCCB-Werbeetat verwaltete und betreute die Agentur KK des damaligen SPD-Ratsherrn und wirtschaftspolitischen Sprechers Martin Schilling (siehe Millionenfalle XXII). Schilling widersprach im damaligen WDR-Beitrag: "Es ist keine Interessenverquickung. Ich habe meiner Erinnerung nach an keiner Ratssitzung teilgenommen, in der Entscheidungen über das WCCB getroffen wurden."

KK wirbt auf der eigenen Homepage: "Kostenkontrolle - bei uns ist ihr Etat in treuen Händen." Und: "Kurz: Alles das, was im täglichen Kampf um Marktanteile unerlässlich ist." Auch um Wählerstimmen. Die kreative Agentur macht Genossen bei Wahlen erfolgreich. Erst Bärbel Dieckmann, dann ihren Nachfolger Nimptsch, auch den alten und neuen SPD-Bundestagsabgeordneten Ulrich Kelber.

Wer im Internet surft, den neuen OB besucht (www.juergen-nimptsch.de), findet im Impressum den Hinweis: "Der Jürgen Nimptsch-Internet-Auftritt und seine Elemente sind urheberrechtlich geschützt. Konzeption, Gestaltung und regelm. Betreuung: Kreativ Konzept." Nach GA-Informationen wurde Lehrer Nimptsch von KK-Mann Schilling, laut Homepage noch heute Förderkreis-Vorsitzender an dessen ehemaliger Gesamtschule in Beuel, in die SPD als OB-Kandidat eingeführt. Die damals amtierende OB Dieckmann soll zunächst nicht begeistert gewesen sein.

Weil diese Dreiecksbeziehungen nie ein Geheimnis waren, bohrte die BBB-Stadtratsfraktion bereits am 10. Februar 2010 nach. In ihrer nicht-öffentlichen Großen Anfrage (Drucksache 1010514) fragt sie: "Wurden Aufträge seitens der Stadt Bonn in der vergangenen Wahlperiode (2004-2009) und danach an die Firma Kreativ Konzept vergeben und wenn ja: von welcher Dienststelle, zu welchen Zwecken und in welcher Höhe?"

Der BBB begründet: "Der Fragesteller interessiert sich für die Geschäftsbeziehung zwischen der Stadt Bonn und der Werbeagentur Kreativ Konzept." Das RPA prüft: keine Beanstandungen. Fast alle Aufträge lagen unterhalb der Grenze von 10.000 Euro, ab der "gemäß den städtischen Vergaberegelungen (...) auf die Einholung von Vergleichsangeboten verzichtet werden kann". Nur einmal, beim Auftrag "Umstrukturierung des SFG-Internetauftritts" (SFG: Strukturförderungsgesellschaft), wurde "eine Verletzung der Regel festgestellt". Im Umkehrschluss: Viele Aufträge unter der Vergabegrenze landeten bei KK. Im Volumen mehr als 80 000 Euro zwischen 2004 und 2009.

Danach, Anfang April, erscheint der RPA-Bericht zum WCCB. Die Prüfer sind angehalten, keine Bewertungen vorzunehmen. Ihr Fazit zum 10er-Budget und den hier vorgefundenen "Villa-Kunterbunt-Zuständen" formulieren sie, wie gefordert, diszipliniert - zurückhaltend und leise: "In Bezug auf Mittelanforderungen, zu denen keine Rechnung vorgelegt wurde bzw. dem Abruf von Zuschüssen ohne Nachweispflicht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um bloße Finanzmittelbeschaffung handelte."

Zwischen den Zeilen zu lesen: Betrug und kriminelle Energie sind offenbar mit Händen zu greifen. Dann ein Satz, der sich fast nach Kapitulation oder wie ein Notruf Richtung Staatsanwaltschaft anhört: "Da macht es unseres Erachtens im Nachhinein auch nicht mehr viel Sinn, über Allokationen (Zuordnung von Kosten/Anm. d. Red.) bzw. mögliche Doppelabrechnungen nachzudenken."

Das bedeutet: Wenn viele Rechnungen Luftnummern waren, nur um sich möglichst viele Scheiben von der "fetten Made" ohne Gegenleistung abzuschneiden, wäre auch das mühsam zusammengetragene Puzzle "Was hat was gekostet?" ohne Aussagewert, weil eben vieles "getürkt" war.

Vielleicht sind die augenfälligen Schnittmengen zwischen KK, WCCB, Rheinlobby, Stadt-Aufträgen und SPD-Wahlkämpfen auch rein zufällig und haben nichts zu bedeuten. Es ist Sinn und Zweck von Netzwerken, dass sie unsichtbar funktionieren, nicht nur in guten Zeiten. Aber auch das scheint beim Beziehungsgeflecht rund ums WCCB anders zu sein. Mit dem Crash im vergangenen Spätsommer wächst die Leugnungsbereitschaft, schwächelt das Selbstbewusstsein, einst "dazu gehört zu haben", schrumpft der Mitteilungsbedarf.

Ernesto Harder, Vorsitzender der Bonner SPD, erklärte dem WDR am Montag vage, warum seine Partei den Vertrag mit KK gekündigt habe: "Man orientiert sich weiter. Die Ansprüche an Wahlkämpfe wachsen."

Seitdem das WCCB ruht, alle involvierten vier GmbHs insolvent sind und bei Insolvenzverwalter Christopher Seagon gelandet sind, stottert auch die geölte Geldtransfer-Maschinerie. Seagon hat die Stopptaste gedrückt und im Selbstbedienungsladen die große Dürre ausbrechen lassen. Nichts geht mehr.

Unerwartete Effekte: Die städtische Tourismus- und Congresscenter GmbH (T & C) meldet Kurzarbeit, es fehlt ein sechsstelliger WCCB-Beitrag. Auch das überrascht nicht: kein Geld, keine Rheinlobby-Events mehr. Auf der Homepage klingt es kleinlaut: "Liebe Rheinlobbier, im Moment befinden wir uns in Gesprächen über die Fortführung der Rheinlobby. Bitte haben Sie noch etwas Geduld." Das Netzwerk, von Steuerzahlermillionen in Schwung gehalten, scheint ohne WCCB nie überlebensfähig gewesen zu sein.

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