In der Schuldenfalle, Teil 9 Zwischen Angriff und Widerstand

Bonn · In Duisburg wurde die Oper mit 63.000 Unterschriften gerettet, in Bonn wollen die Piraten sie per Bürgerbegehren abschaffen.

Diskussionen um die Kunst: Szene aus der Bonner Inszenierung der Puccini-Oper Manon Lescaut.

Diskussionen um die Kunst: Szene aus der Bonner Inszenierung der Puccini-Oper Manon Lescaut.

Foto: Thilo Beu

Der Aufschrei in den gesamtdeutschen Feuilletons war groß, als der Berliner Senat 1993 das Anfang des Jahrhunderts für die "minder bemittelten Schichten" gebaute Schiller Theater in der Berliner Bismarckstraße dicht machte. Solch eine Maßnahme hatte es zur Haushaltskonsolidierung einer Stadt bislang noch nicht gegeben. Die Angst ging um in Deutschland, dass die radikale Maßnahme des CDU/SPD-geführten Berliner Senats Schule machen könnte.

Selbst zehn Jahre später war das Entsetzen in der Kulturszene über diesen vermeintlichen Akt der Barbarei noch nicht verflogen. In der Wochenzeitung "Die Zeit" ließ man zum Jahrestag denn auch keinen Zweifel daran, dass hier eine falsche Entscheidung getroffen worden sei: "Hinter dem Schließungsbeschluss steckte kein politisches Konzept, nicht einmal künstlerische Weitsicht, nur die Ratlosigkeit einer Runde von Provinzpolitikern bei Kaffee und Schnittchen, die vor ihren Aktenbergen in Entscheidungsnot geraten waren."

Die Schließung des Hauses, das über einen Etat von 42 Millionen Mark verfügte, brachte nicht gleich den erwünschten Sparerfolg. Ein Jahr später vermeldete die "Die Welt": "Das abrupte Aus für das Schiller Theater hat im vergangenen Jahr 1,7 Millionen Mark mehr gekostet als ein weiterlaufender Spielbetrieb." Man musste nur ein wenig warten, dann setzte der Spareffekt natürlich irgendwann ein.

Theater- oder Spartenschließungen sind in Deutschland eine der letzten Tabuzonen, wenn es ums Sparen geht. Ausnahmen wie Oberhausen bestätigen da nur die Regel. Dort hatte man bereits 1991 das Aus für die Musiktheatersparte besiegelt und baute das Haus für die Bedürfnisse eines reinen Sprechtheaters um. Erster Intendant war übrigens Klaus Weise, der im vergangenen in Bonn seinen Vertrag als Generalintendant wegen der herben Einschnitte in seinen Etat nicht mehr verlängern wollte.

Bei seiner Entscheidung konnte der Theatermann nicht ahnen, dass nur ein Jahr später noch ein ganz anders dimensioniertes und durchaus reales Horrorszenario am Horizont erscheinen würde. Die Bonner Piraten-Partei nämlich hat sich gegen die Oper als Ganzes in Stellung gebracht. In Berlin hatten sie im März noch die Schließung der gegenüber dem Schiller Theater gelegenen Deutschen Oper beim Senat beantragt. Das Anliegen wurde vom Kulturausschuss der Stadt abgeschmettert. In Bonn wollen sie nun ebenfalls, dass sämtliche Zuwendungen der Stadt für die Oper gestrichen werden. Hier hebelt man nun geschickt die wichtigste politische Instanz der Stadt Bonn aus, den Rat.

Anfang Oktober haben drei Mitglieder der nicht im Rat vertretenen Piratenpartei ein Bürgerbegehren auf den Weg gebracht: Wenn alle formalen Voraussetzungen erfüllt sind, können die Bonner dann im nächsten Jahr in ihren Wahllokalen darüber abstimmen, ob die Oper bleiben oder abgeschafft wird. Im August 2013 wäre das Musiktheater in Bonn dann Geschichte. Denn die Umsetzung eines solchen Bürgerbegehrens duldet vom Gesetzgeber her keine Aufschiebung.

Nötig sind zunächst 9665 Unterschriften von Bonner Kommunalwahlberechtigten. Wird die Zahl erreicht, geht das Bürgerbegehren in den Stadtrat. Lehnt dieser das Anliegen ab, womit nach den jüngsten Aussagen der Ratsparteien von der CDU bis zu den Linken zu rechnen ist, folgt binnen drei Monaten ein Bürgerentscheid. Dann werden die Bonner zur Abstimmung in Wahllokalen aufgerufen: Befürwortet die Mehrheit das Anliegen, muss es umgesetzt werden - sofern diese Mehrheit mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten repräsentiert. Gemessen an der letzten Kommunalwahl 2009 wären demnach mehr als 23 000 Ja-Stimmen nötig, um das Ende der Oper zu besiegeln.

Es wäre der erste Fall, dass die Bürger selbst für die Schließung einer vergleichbaren Kulturinstitution stimmen würden. Üblicherweise geht der Impuls eher von der Politik aus. In Duisburg stand im Frühjahr nach einer drastischen Reduzierung des Kulturetats die Zukunft des dortigen Opernhauses, das mit Düsseldorf zusammen als Deutsche Oper am Rhein firmiert, auf der Kippe. Binnen acht Wochen unterzeichneten knapp 63 000 Menschen online und auf Papier eine Petition zum Erhalt der Oper in der finanziell gebeutelten Ruhrgebietsstadt. Das Haus bleibt den Duisburgern nun erhalten.

Doch was gewinnt Bonn eigentlich, wenn die mit 17 Millionen Euro bezuschusste Musiktheatersparte schließt? Langfristig 13 Millionen Euro im Jahr. Das geht jedenfalls aus einer Kostenschätzung des Kulturamtes hervor, die Voraussetzung für den Start des Bürgerbegehrens zur Streichung der Opern-Zuschüsse ab August 2013 ist.

Es liegt auf der Hand, dass ein geschlossenes Haus den Steuerzahler billiger kommt als ein bespieltes. Doch der Spareffekt stellt sich erst langsam ein, folgt man den Berechnungen des Kulturamtes. Wenn das Musiktheater (Oper, Tanzgastspiele, Musical, Reihe "Quatsch keine Oper") aufgegeben würde, wäre in der Spielzeit 2013/14 demnach analog zum Berliner Schiller Theater zunächst überhaupt kein Einspareffekt erzielbar. Der Grund dafür liegt in den laufenden Verträgen und den Personalkosten. Die Stadt müsste, obwohl keine einzige Vorstellung über die Bühne ginge, 17 Millionen Euro fürs Musiktheater aufbringen, schätzt die Verwaltung auf Grundlage ihrer Berechnungen. "Außerdem würden Schadensersatzklagen von Künstlern drohen, wenn wir Verträge nicht erfüllen", warnte Kulturdezernent Martin Schumacher kürzlich.

Wie überall, wo Menschen arbeiten, fallen Personalkosten an. Von den insgesamt 503 Angestellten des Bonner Theaters arbeiten allein 226 ausschließlich für die Oper, weitere 97 für Oper und Schauspiel. 10,3 Millionen Euro muss das Theater allein dafür aufbringen. Hinzu kommen 2,2 Millionen Euro für Gäste. Weil die Stadt aber betriebsbedingte Kündigungen grundsätzlich ausschließt, werden die Kosten nach Ansicht Schumachers mittelfristig nicht unter neun Millionen Euro sinken.

Erst wenn 2018 alle befristeten Arbeitsverträge im Musiktheater ausgelaufen und alle anderen Mitarbeiter auf freie Planstellen der Stadtverwaltung übernommen oder freiwillig ausgeschieden wären, könne die Stadtkasse im Vergleich zu heute um die genannten 13 Millionen Euro entlastet werden. Das Beethoven Orchester müsste dann weiterhin mit 3,58 Millionen Euro aus der Stadtkasse mitfinanziert werden. Außerdem stünde dann das Opernhaus leer - ebenfalls ein ziemlicher Kostenfaktor.

Wenn das Opernhaus nicht schließt, könnten allerdings weitere Kosten entstehen, die in der Berechnung der Kulturverwaltung nicht auftauchen. 7,7 Millionen Euro sollen nämlich ab 2013 über fünf Jahre hinweg in die Bühnentechnik fließen. Doch über diese Summe ist bis dato noch nicht entschieden. Hier müsste erst der Rat seine Zustimmung geben. Deshalb taucht diese Summe nach Angaben der Verwaltung auch nicht in der Kostenschätzung auf. Sollte das Opernhaus anderweitig genutzt werden, etwa vom Schauspiel oder privaten Veranstaltern wie im Fall des Berliner Schiller Theaters, käme die Stadt als Eigentümerin aber wohl nicht umhin, ebenfalls erhebliche öffentliche Mittel in eine Sanierung fließen zu lassen.

Für den Kulturdezernenten kommt eine Schließung des Musiktheaters allerdings nicht in Frage. "Bonn ist eine traditionsreiche Opernstadt mit einem schönen, gut funktionierenden Haus und einer hervorragenden Auslastung von 80 Prozent", sagt Martin Schumacher. Oper sei keine "elitäre Angelegenheit", sondern "wirke in die Gesellschaft hinein".

Schumacher verweist auf alternative Sparanstrengungen. Dazu zählt er nicht nur die vom Rat bereits beschlossenen 3,5 Millionen Euro, sondern vor allem verschiedene Kooperationsmodelle. Mit Köln sei er bereits im Gespräch, verriet Schumacher.

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