Flüchtlinge in Bonn Zwischen Durchatmen und Abwarten

Bonn · Die Auswirkungen des Flüchtlingszuzugs auf die Bevölkerung in Bonn sind derzeit vor allem von Unwägbarkeiten geprägt. Dies kommt in politischen Entscheidungen ebenso zum Ausdruck wie in der Informationspolitik der Verwaltung – und in einer teilweise überhitzten Debatte.

 Neben der Viktoriabrücke hat die vom türkischen Staat gelenkte Türkisch-Islamische Gemeinde (Ditib) eine Moschee gebaut – ein weithin sichtbares Beispiel dafür, wie Migration das Stadtbild verändert hat, noch bevor die Flüchtlingskrise begann.

Neben der Viktoriabrücke hat die vom türkischen Staat gelenkte Türkisch-Islamische Gemeinde (Ditib) eine Moschee gebaut – ein weithin sichtbares Beispiel dafür, wie Migration das Stadtbild verändert hat, noch bevor die Flüchtlingskrise begann.

Foto: Ronald Friese

Willkommenskultur. Es muss noch im Jahr 2013 gewesen sein, da hörte man ihn auch in Bonn plötzlich immer häufiger, diesen Begriff. Ob bei Parteiveranstaltungen, im Stadtrat, in Kirchengemeinden, in den Medien, in Broschüren oder unter ehrenamtlich Engagierten. Und meistens war das moderne Schlagwort mit einer Mahnung verbunden: Wendungen wie „Wir brauchen“ oder „wir müssen“ kamen im Zusammenhang mit der Willkommenskultur besonders oft vor. Gerade so, als sollte die Öffentlichkeit behutsam auf etwas Großes, Schwerwiegendes vorbereitet werden.

Jetzt, nach Abflauen des Flüchtlingsstroms, haben die Bonner so manche Herausforderung bestanden. Das jedenfalls bestätigen ihnen all jene, die sich zu dieser Beurteilung berufen fühlen. Lob für die große Hilfsbereitschaft kommt von allen Seiten. Doch wie geht es nun weiter? Für niemanden ist absehbar, wie sich der Zustrom aus dem Nahen Osten, aus Vorderasien und Nordafrika mittel- und langfristig auf das Gefüge einer Stadt wie Bonn auswirken wird.

Wenigstens die weitere Dimension müsste man kennen, um dies zum jetzigen Zeitpunkt bewerten zu können. Bliebe es wie zum Ende des Jahres 2015 bei mehreren Tausend Asylsuchenden in Bonn, hielte sich auch die erforderliche Kraftanstrengung im halbwegs überschaubaren Rahmen. Sollte es hingegen zu einem neuerlichen Anschwellen der Flüchtlingswelle kommen, so stellt sich unweigerlich die Frage: Wie lange lassen sich Sprachkurse, Kleiderspenden, ehrenamtliche Betreuung, Essensausgaben und vieles mehr in der bewiesenen Intensität aufrechterhalten? Wie weit trägt die Willkommenskultur, wenn in einem Stadtteil überdurchschnittlich viele Flüchtlinge untergebracht werden sollen? Und wie lange werden Vereine oder Grundschuleltern letztlich bereit sein, im Namen ihrer Kinder auf die Nutzung der Turnhalle zu verzichten?

Gefahr, dass die Stimmung kippt

Auf dieses Spannungsverhältnis hatte Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan bereits im vergangenen November auf einem Symposion der Bürgerstiftung Rheinviertel hingewiesen. Wenn man mit der Flüchtlingshilfe bestehende Strukturen der Daseinsvorsorge beschneide, so das Stadtoberhaupt vor einem halben Jahr sinngemäß, laufe man Gefahr, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt.

Und tatsächlich schien auf dem bisherigen Höhepunkt der unkontrollierten Massenzuwanderung genau diese Situation akut zu werden, als der Unmut in der Bevölkerung über die Beschlagnahme von immer mehr Turnhallen unüberhörbar anschwoll. Wiederholt sorgte auch das Informationsgebaren der Stadtverwaltung für Irritationen, wenn etwa – wie in Bad Godesberg geschehen – nicht einmal die Kommunalpolitiker vorab von der Nutzung eines Gebäudes als Asylbewerberunterkunft erfahren, geschweige denn ein Mitspracherecht in Fragen der Aufnahmekapazität ihrer Stadt haben. In Beuel wunderte sich die Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen darüber, dass dort die Stadt ausgerechnet jetzt die Entwicklung von Flüchtlingsunterkünften verschärft, während angesichts der politischen Großwetterlage – Stichwörter: Türkeiabkommen, Balkanroute, Grenzkontrollen – allenthalben von einem Abebben der Flut gesprochen wird. Dabei darf man nicht vergessen, dass noch immer Flüchtlinge in Turnhallen untergebracht sind. Außerdem will die Stadt im Falle neuer Flüchtlinge nicht wieder Turnhallen belegen.

Als Forum für einen offenen und tabufreien Meinungsaustausch bewähren sich unterdessen – beispielsweise in Bad Godesberg – privat oder kirchlich organisierte Runde Tische an denen auch die kleinsten praktischen Herausforderungen thematisiert werden. Derweil geraten kleinere Kommunen im Bonner Umland der Reihe nach in finanzielle Schieflage, weil ihnen in der Krise weitaus mehr Leistung abverlangt, als von Land oder Bund erstattet wird. Um den städtischen Haushalt halbwegs im Gleichgewicht zu halten, greifen Kämmerer und Politik in ihrer Not zum letzten Strohhalm: Steuererhöhungen.

Verdruss sucht sich ein Ventil

Die Folge ist Verdruss, und der sucht ein Ventil. In privaten Gesprächen, in Leserbriefen an die Tageszeitung oder – zumeist deutlich hemdsärmeliger – in sozialen Netzwerken im Internet. Wie schnell die Debatte im Spannungsfeld zwischen Willkommenskultur auf der einen und der apostrophierten Dämmerung des Abendlandes überhitzen kann, hatte sich bereits Ende 2014 angesichts der ersten Pegida-Demonstrationen auch in Bonn gezeigt – und da hatte die Flüchtlingskrise noch gar nicht begonnen.

Ideologisch gewürzt ist zumeist auch die Diskussion darüber, welche Perspektive Flüchtlingen langfristig geboten werden soll. Sollen Syrer und Afghanen, wie es kürzlich Bundeskanzlerin Angela Merkel durchblicken ließ, nach Ende des Bürgerkrieges den Wiederaufbau ihrer Länder bewerkstelligen? Oder sollen sie in Deutschland als Altenpfleger, Hilfs- und Facharbeiter und Ärzte den demografischen Wandel und wirtschaftlichen Abstieg aufhalten? Auch von dieser Frage wird – wie vom weiteren Umgang mit dem Asylrecht – abhängen, in welchem Umfang sich eine Stadt wie Bonn dauerhaft auf neue Verhältnisse einstellen muss. Erst vor wenigen Tagen warnte etwa das Bundesinnenministerium erneut davor, dass Salafisten verstärkt unter Flüchtlingen rekrutieren – eine Warnung, die gerade im als Salafistenhochburg geltenden Bonn nicht überhört werden dürfte. Wo dauerhaft mehr Muslime wohnen, steigt nicht nur die Zahl der Moscheen – sondern auch die Notwendigkeit, einer Gettobildung vorzubeugen. Angesichts der bekannten Aktivitäten von Salafisten etwa im Süden Bad Godesbergs mit einem Zuwandereranteil von teilweise fast 40 Prozent (Pennenfeld, Lannesdorf) mutet die Entscheidung, in unmittelbarer Nähe gleich mehrere neue Flüchtlingsunterkünfte zu errichten, durchaus optimistisch an.

Bei alledem sollte indes eines nicht vergessen werden: Zuwanderung ist kein Phänomen, dass quasi über Nacht mit der Flüchtlingswelle über Bonn hereingeschwappt ist. Ähnlich brachte es jetzt der Vorsitzende des Städtetages NRW, Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann aus Hamm, auf den Punkt, als er sagte: „Die Problematik der Integration ist jetzt durch die Flüchtlinge stärker im öffentlichen Fokus, aber sie war auch vorher schon da.“

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