Umfassendes Geständnis im Bonner Amok-Prozess

Unter riesigem Medieninteresse beginnt die Verhandlung gegen die 16-jährige Schülerin, die am Albert-Einstein-Gymnasium ein Inferno plante

Umfassendes Geständnis im Bonner Amok-Prozess
Foto: Barbara Frommann

Bonn. Die Übertragungswagen mehrerer Fernsehsender stehen schon am frühen Morgen vor dem Landgerichtsgebäude. Zahlreiche Kamerateams, Fotografen und Reporter haben sich vor Saal 119 eingefunden, um über den ersten Tag im Prozess gegen die 16-jährige Tanja O. zu berichten.

Die Schülerin soll laut Anklage am 11. Mai am Albert-Einstein-Gymnasium in Sankt Augustin einen Amoklauf geplant haben, und als sie bei den Vorbereitungen auf der Schultoilette von der 17-jährigen Anna Petrova überrascht wurde, die Mitschülerin sofort mit dem Schwert schwer verletzt haben. Doch wie berichtet ein Journalist über ein solches Verfahren, ohne ein Mal in den Gerichtssaal zu kommen, ohne ein einziges Wort aus dem Prozess gehört zu haben?

Und kein Prozessbeteiligter darf über das, was hinter verschlossenen Türen passiert, reden. Aus Jugendschutzgründen hat das Jugendschwurgericht unter Vorsitz von Richter Volker Kunkel den Ausschluss von Öffentlichkeit und Medien angeordnet. Während der gesamten vorgesehenen acht Verhandlungstage sollen die Türen geschlossen bleiben. Ein Justizwachtmeister vor dem Saal achtet darauf, dass niemand gegen diese Anordnung verstößt.

Die beiden Verteidiger Wolf Büsing und Andreas Mertens geben vor Prozessbeginn nur ein kurzes Statement ab: Ihre Mandantin werde sich zur "Sache einlassen", und sie selbst, die Anwälte, würden während des laufenden Verfahrens keine weiteren inhaltlichen Stellungsnahmen abgeben, sondern sich erst später über den Ausgang äußern.

Dann verschwinden die beiden Verteidiger im Gerichtssaal, wie zuvor bereits Staatsanwältin Karen Essig, die psychiatrische Gutachterin Anke Rohde und ihr Kölner Kollege Tilman Elliger. Anna Petrova, die im August 18 wurde und in Begleitung ihrer Mutter als Nebenklägerin am Prozess teilnimmt, muss derweil noch dem Kamerateam des Senders, dem sie die Rechte an ihrer Geschichte exklusiv verkauft hat (siehe Bericht unten), ein Interview geben.

Sie wisse gar nicht, was da heute auf sie zukomme, sagt sie ins Mikrofon. Dann muss sie dem Wachtmeister erklären, wer sie ist und warum sie am Prozess teilnehmen darf. Ihr Rechtsbeistand Uwe Krechel ist da schon längst im Saal verschwunden. Der ansonsten alles andere als medienscheue Anwalt ist ungewöhnlich wortkarg, er ist beteiligt an der Vermarktung der jungen Frau, der als Opfer besonderer Schutz zusteht.

Dann schließen sich die Türen, und dem erfahrenen Prozessbeobachter ist klar, was nun im verschlossenen Saal passiert: Staatsanwältin Karen Essig verliest die Anklage, die der 16-Jährigen versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion und Verstoß gegen das Waffengesetz vorwirft.

Am Morgen des 11. Mai, wenige Wochen nach dem tödlichen Amoklauf von Winnenden, kam auch Tanja O. laut Anklage in ihre Schule um zu töten. In ihrem Rucksack hatte sie zehn selbst gebastelte Molotowcocktails, ein Schwert und eine Schreckschusspistole - und in ihrem Kopf, so die Anklage, einen mörderischen Plan: Sie wollte zunächst einen Lehrer mit dem Kurzschwert niederstechen, um ihm den Schlüssel für die Klassenräume abzunehmen.

Danach wollte sie die Molotowcocktails in die Klassenzimmer werfen, um sie in Brand zu setzen, und dann die Räume von außen zusperren. Es hätte ein Inferno gegeben, wäre sie nicht im letzten Moment von Anna Petrova überrascht worden. Laut Anklage griff Tanja O. die Mitschülerin sofort mit dem Schwert an, die 17-Jährige wehrte die gegen ihren Bauch gerichtete Waffe mit den Händen ab und wurde dabei schwer verletzt.

Unter anderem wurde ein Finger fast vollständig abgetrennt. Anna Petrovas Schreie alarmierten einen Lehrer, und als der in die Toilette kam, gelang der Verletzten die Flucht. Der Lehrer schlug Alarm, nach einem gescheiterten Selbstmordversuch mit der Schreckschusspistole flüchtete Tanja O. Am späten Abend stellte sie sich in Köln der Polizei und befindet sich seitdem wegen Selbstmordgefahr statt in U-Haft in der geschlossenen Psychiatrie. Ihren Verteidigern zufolge ist sie jedoch so stabil, dass sie verhandlungsfähig ist.

Laut Anklage war die Einser-Schülerin als problematisch bekannt und hatte bereits durch hasserfüllte Äußerungen gegen Mitschüler und Schule auf sich aufmerksam gemacht. Drei Tage vor der Tat sollte sie als sogenannte "Gefährderin" ein Gespräch mit der Schulpsychologin führen. Doch sie meldete sich krank. Woher so viel Hass? Was geht in einem jungen Menschen vor, dass er beschließt, mit einem Amoklauf so viele Menschen wie möglich zu töten?

Die Öffentlichkeit erfährt es nicht, obwohl Tanja O. an diesem ersten Prozesstag viele Stunden über sich, ihr Leben und ihre Tat redet und die Vorwürfe zugibt, wie Landgerichtssprecher Joachim Klages nach der Verhandlung am späten Nachmittag mitteilt: "Als Tatmotiv gab sie Probleme im häuslichen und schulischen Umfeld an." Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass exzessiver Gebrauch von Computerspielen zur Tat geführt hätten, betonte der Sprecher noch. Mehr sagte er nicht, weil auch ihm nicht mehr mitgeteilt worden war vom Gericht. Am Freitag sollen Zeugen gehört werden, auch Anna Petrova. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

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