WCCB: Wurden Amtsträger in Bonn bestochen?

Die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt offenbar auch wegen des Verdachts der Bestechlichkeit gegen Bonner Amtsträger. Das ergibt sich aus der Anklage gegen vier Beschuldigte im Zusammenhang mit dem WCCB-Skandal.

 In Schieflage: Auf der Baustelle des World Conference Center Bonn (WCCB) herrscht seit langem Stillstand. Die Bonner Staatsanwaltschaft hat am Mittwoch einen ersten Anklage-Komplex in dem Bauskandal präsentiert.

In Schieflage: Auf der Baustelle des World Conference Center Bonn (WCCB) herrscht seit langem Stillstand. Die Bonner Staatsanwaltschaft hat am Mittwoch einen ersten Anklage-Komplex in dem Bauskandal präsentiert.

Foto: ap

Bonn. Fremdgehen, Alkoholismus, die Versicherung betrügen, das Finanzamt linken oder hier Mal einen Vorteil X mitnehmen und dafür eine Entscheidung Y treffen: In Deutschland spricht man ungern darüber, empört sich aber umso heftiger, wenn "es" beim Nachbarn öffentlich geworden ist. Die zwei Kehrseiten der Doppelmoral-Medaille heißen Tabu und Empörung.

Ein Missstand, über den öffentlich nicht diskutiert wird, kann auch nicht verbessert werden. Das Tabu wirkt wie ein Korken in der Flasche. Ein Thema "in der Flasche" heißt "Korruption" (lat. corruptus "bestochen").

Lax formuliert: Eine Person in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft oder Politik missbraucht seine Position, um einem Dritten einen ungesetzlichen Vorteil einzuräumen, der dafür "Danke" beim Vorteilsgewährenden sagt. Bestechen und sich bestechen lassen sind weltweit stille Daueraktivität; sie lähmt in der Dritten Welt den Aufbau staatlicher Ordnung und in hochentwickelten Volkswirtschaften die Innovationskraft der Unternehmen. Korruption schwächt auch die öffentlichen Kassen.

Doch der Korken gerät zunehmend aus der Flasche. Deshalb gibt es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen seit dem 1. März 2005 ein Korruptionsbekämpfungsgesetz (KorruptionsbG NRW) für die öffentliche Hand. Nur mit der Umsetzung hapert es gelegentlich, und von einer völligen Enttabuisierung kann nicht die Rede sein.

Am vergangenen Dienstagabend hat die Piratenpartei, die in Bonn zuletzt 2,38 Prozent der Zweitstimmen erhielt, ins Dietrich-Bonhoeffer-Haus eingeladen. Thema des Abends: "Aus dem WCCB lernen - Transparenz, Korruptionsmechanismen, Prävention".

Der Vertreter der Piratenpartei begrüßt die Gäste, deren Zahl in etwa dem Wahlergebnis entspricht, und sagt demütig zum Vortragenden: "Ich finde es toll, dass Sie überhaupt zu uns gekommen sind."

Vor ihm steht Andreas Riegel, der Leiter der Regionalgruppe Rheinland des Transparency International Deutschland e.V. - ein Rechtsanwalt aus Düsseldorf, spezialisiert auf Bau-, Vergabe- und Wirtschaftsstrafrecht. Transparency International kämpft weltweit gegen die Korruption und veröffentlicht einmal im Jahr eine Tabelle: Deutschland liegt hinter Singapur und Hongkong auf Platz 15, Südkorea hinter Botswana und Puerto Rico auf Rang 39.

Deutschland und Südkorea sind sich beim World Conference Center Bonn (WCCB) begegnet.

Transparency-Experte Riegel zitiert Anton Winkler, einen ehemaligen Vorsitzenden Richter am Landgericht München I: "Sie können in München jedes Großvorhaben per se mit der Staatsanwaltschaft begleiten; es gibt kein korruptionsfreies Großbauvorhaben in München."

Riegel sagt: "Jetzt streichen Sie mal München aus dem Zitat. Was das bedeutet, erleben Sie gerade in Bonn sehr schmerzhaft." Er meint das WCCB, aber mehr sagt Riegel dazu nicht, "weil Transparency International nur über abgeschlossene Fälle spricht". Die lebhafte Veranstaltung der Bonner Piratenpartei dauert indes länger als erwartet. Immer wieder Fragen.

Abgeschlossen ist der Fall WCCB tatsächlich noch nicht. Am Mittwoch hat Oberstaatsanwalt Fred Apostel gerade die erste Anklagerunde eröffnet. Angeklagt sind Deutsche und Südkoreaner: Man-Ki Kim, Ha-S. C., Michael Thielbeer, Wolfdietrich Thilo. In Apostels Vier-Seiten-Papier erklingt die gesamte Melodie der Korruption: Betrug, Bestechung, Bestechlichkeit, Untreue - jeweils im besonders schweren Fall.

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Doch letzteres beginnt bereits ab 50 000 Euro. In Bonn geht es jedoch um Millionen. Apostel hat angekündigt: weitere Anklagerunden folgen. Ermittelt wird gegen neun weitere Personen, darunter auch städtische Mitarbeiter, die das WCCB-Projekt städtischerseits "kontrolliert" (Städtisches Gebäudemanagement) und begleitet (Projektgruppe) haben.

Stunden nach Apostels nüchternen Verlautbarungen texten die politischen Kräfte Bonns bereits erste Stellungnahmen. Die SPD-Fraktion hebt hervor: "In erster Linie waren Betrüger am Werk." Und bei allen Vorbehalten und der weiter geltenden Unschuldsvermutung sei festzuhalten: "Die Stadt, ihr Rat und ihre Verwaltung sind Opfer krimineller Machenschaften geworden."

Auch Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) wirkt erleichtert: "Ich begrüße, dass jetzt Licht in die Vorgänge kommt. Ein Täuschungsmanöver diesen Ausmaßes hat sich sicher niemand vorstellen können" (siehe Millionenfallen 1 bis 61).

Nimptsch versichert: "Mir ist der schnelle Weiterbau des Konferenzzentrums ebenso wichtig wie die Aufarbeitung der Vergangenheit." Im Juli 2010 sagte er zu Beginn der WCCB-Ratssondersitzung noch mit Blick auf die Medien: "Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben."

Die Bonner Linke meint: "Sollten sich die Vorwürfe der Anklage bewahrheiten, greift es zu kurz, die Stadt nur als Opfer zu sehen." Vielleicht wäre im kommunalpolitischen Zirkus Schweigen einmal das Gebot der Stunde, so lange man nichts Genaues weiß. Die Staatsanwälte sind in Sachen Öffentlichkeit eher scheue Minimalisten, gestatten kaum mehr als einen Blick durchs Schlüsselloch auf ihre Erkenntnisse.

Alle Mitteilungsfreudigen haben die rechtliche Bedeutung einer Formulierung in Apostels Papier übersehen. Die Staatsanwaltschaft unterscheidet zwischen Bestechung und Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Wenn Kim und C. mit Beihilfe Thielbeers außerhalb des geschäftlichen Verkehrs bestochen haben, muss es auch Bestochene geben.

Paragraf 334 im Strafgesetzbuch (StGB) definiert in Punkt 1 die Bestechung: "Wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe." Danach handelt es sich bei den bestochenen Personen zwangsläufig um Amtsträger oder Personen, die als solche zu behandeln sind.

Rund um das WCCB geschah ein Haufen seltsamer Dinge (siehe Millionenfallen 35 und 36), die wahrscheinlich einen städtischen Schaden von 150 bis 300 Millionen auftürmen werden. Unglaubliches enthält zum Beispiel der WCCB-Report des Rechnungsprüfungsamtes (RPA):

Das Städtische Gebäudemanagement stempelte WCCB-Listen mit Millionenbeträgen als "rechnerisch und sachlich richtig" ab, ohne dass Rechnungen und Verträge vorlagen.

Dass Korruption im weitesten Sinne beim WCCB im Spiel gewesen sein könnte, nimmt die Öffentlichkeit erstmals auf der Stadtratssitzung am Montag nach der Kommunalwahl am 30. August 2009 wahr.

Da sagt Will Breuers (CDU) mitten in der WCCB-Debatte: "Er mache sich juristische Gedanken, die weniger zivilrechtlicher Natur sind"; man müsse prüfen, ob städtische Mitarbeiter "Beihilfe zu Untreue und Betrug" geleistet hätten. Das ist der Moment, wo die damalige Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) die Nerven verliert und die Fragestunde abbricht.

Auf der folgenden Pressekonferenz sagt sie: "Ich werde nicht zulassen, dass Mitarbeitern der Verwaltung Beihilfe zur Untreue und Betrug unterstellt werden." Tage später ist der Austausch rhetorischer Girlanden zwischen CDU und SPD notwendig, um den überparteilichen Frieden wiederherzustellen.

Nach der dritten "Millionenfalle" im General-Anzeiger besuchen Dieckmann und Stadtsprecher Friedel Frechen die Zeitung. Ein Grund ist Textpassage aus Folge 3: "Korruption gilt als Krebsgeschwür aller Gesellschaften und Staaten auf der Erde und ist offenbar eine kulturübergreifende Schwäche. Sie wuchert meist an den Schnittstellen von Industrie und öffentlicher Verwaltung. Im neuesten Lagebericht des Bundeskriminalamtes (BKA) liegt die Bauindustrie weiter ganz vorn. Allerdings ist die öffentliche Verwaltung Bonns beim WCCB bei der Vergabe von Aufträgen gar nicht im Spiel und somit komplett befreit von jeglichem Korruptionsverdacht."

Frechen: "Der Übergang vom ersten Absatz zum zweiten, der mit dem Wort “Korruption„ beginnt, stellt eine unsägliche Verknüpfung her und rückt alle Beteiligten in die Nähe krimineller Handlungen. Dagegen verwehrt sich die Stadt nachdrücklich."

Die alten und neuen Reaktionen zeigen, wie tief das Tabu, über "Korruption" offen zu sprechen, weiter in den Köpfen wurzelt. Selbst bei auffälligen Vorgängen gilt es bereits als Makel, sich das vermeintlich Unvorstellbare nur vorzustellen oder leise zu hinterfragen. Der gute alte Aldous Huxley (1894-1963) meinte einmal: "Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert."

So existiert in Deutschland bis heute, obwohl immer wieder von Anti-Korruptions-Experten gefordert, kein bundesweites Korruptionsregister. Viele Unternehmen wehren sich. Einige kündigen auch einen kommunalen Auftrag, sobald die Inspekteure einer Stadt oder Behörde plötzlich, etwa nach einem Personalwechsel, näher hinschauen. Aus einem Kündigungsschreiben: "Sie beginnen uns zu kontrollieren, womit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist."

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