Studie Wenn das Internet süchtig macht

Die Sucht kam schleichend. Zuerst waren es einige wenige Stunden, die Sven (Name geändert) im Internet verbrachte, dann wurden es immer mehr. Letztlich dreht sich bei dem heute 20-Jährigen alles um die Sucht nach mehr.

Bonn. Die Sucht kam schleichend. Zuerst waren es einige wenige Stunden, die Sven (Name geändert) im Internet verbrachte, dann wurden es immer mehr. Letztlich dreht sich bei dem heute 20-Jährigen alles um die Sucht nach mehr.

Sein Sozialleben sei schließlich auf ein Minimum reduziert gewesen, auch körperlich baute er mehr und mehr ab, erzählt Sven. "Es hat sehr lange gedauert, bis ich eingesehen habe, dass ich süchtig nach Pornos im Internet bin", berichtet der junge Mann offen während der Präsentation eines neuen Internetangebots der Ambulanz für Medienabhängigkeit der LVR-Klinik Bonn.

2007 merkte Sven, dass sein Internetkonsum und die andauernde Suche nach Pornos problematisch wurden. "Mit den ersten Pornos fing ich mit elf Jahren an. Es wird immer mehr und irgendwann fragt man sich, was nicht stimmt. Darauf, dass es Internetsucht sein könnte, kommt man nicht oder gesteht es sich nicht ein", sagt er. Tests, die dabei helfen, die Sucht für sich selbst in Frage zu ziehen, seien schwer zu finden. Er sei hauptsächlich auf amerikanische Seiten gestoßen: "Dort geht man prinzipiell von einer höheren Macht aus, die hilft und steuert. Dieser religiöse Unterbau störte mich", sagt er.

Das Beratungsangebot der Klinik will die Lücke schließen und bietet auf der Internetseite neben Informationen über die Sucht, Therapien und Ansprechpartner auch einen von Sven damals so sehr gesuchten Test an. "Es ist nicht einfach, das Angebot hat Modellcharakter. Es gibt keine anerkannte Diagnose, da immer noch darüber diskutiert wird, ob diese Sucht eine eigne Störung ist oder nur ein Symptom für eine andere Erkrankung", berichtet Markus Banger, Chefarzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen und Psychotherapie.

Seit 2009 läuft in Bangers Abteilung das Programm "Junge Sucht", ein ambulantes und stationäres Behandlungsangebot für junge Erwachsene mit einer Medienabhängigkeit. Dort wurde der Test entwickelt, der auf der neuen Internetseite angeboten wird. "Wir nutzten Fragestellungen bereits evaluierter Test für andere Süchte.

Für die Verbesserung des Tests und des Internetangebots setzen wir auf die Erfahrungen der Nutzer", sagt der oberärztliche Leiter Axel Schmidt. Sven gibt direkt einen hilfreichen Verbesserungstipp. "Niemand sucht nach Medienabhängigkeit. Die Seite muss irgendwie zu googeln sein. Es muss irgendwo Pornosucht, Facebooksucht oder so vorkommen", rät er.

Sven vermutet, dass der Test ihm weiter geholfen hätte. "Vielleicht wäre mir der Schritt, psychiatrische Hilfe zu suchen, leichter gefallen." Erst ein Psychologe des WDR, Sven versuchte in der nächtlichen Talksendung Jürgen Domian anzurufen, habe ihn beraten und ihn dazu gebracht, sich Hilfe zu suchen.

Die Sucht habe so sehr den Alltag bestimmt, dass der Leidensdruck groß wurde. "Ich habe nicht nur Pornografie gesucht, sondern auch mal sechs Stunden auf Nachrichtenseiten gesurft. Konflikte mit meinen Eltern, die schon bestanden, wurden immer größer, was dazu führte, dass ich noch mehr vor dem Computer saß."

Als er begann, sein Glück auf kostenpflichtigen Glücksspielseiten zu suchen, seien die Probleme riesig geworden. "Ein Betrag, für den ich durchaus einen Golf hätte kaufen können, war schnell verzockt", gesteht Sven. Das Fachabi habe er nur geschafft, weil ihn seine Eltern zur Schule getrieben hätten. "Ein halbes Jahr später, und das hätte nicht mehr geklappt." Im Studium schließlich nahm die Sucht überhand: "Die erste Woche ging ich noch hin, dann nicht mehr. Vor Prüfungen verbrachte ich Stunden im Netz." Er fand kaum Zeit zum Essen. Arzttermine, Bewegungsmangel und Lebensstil schwächten ihn auch körperlich. Er nahm es nicht war.

Elf Wochen verbrachte Sven stationär in der Klinik. Heute wird er noch immer ambulant betreut. "Ob ich je suchtfrei bin, weiß ich nicht, aber ich lerne meinen Konsum zu beschränken. Nicht leicht, in Deutschland kommt man kaum am Netz vorbei. Allein in der Uni muss ich ständig Anmeldungen dort erledigen." Eine staatliche Begrenzung von Internetangeboten zumindest für Minderjährige, hält Sven für zwecklos. "Mit zwölf und 13 war ich sehr flink und konnte alles umgehen, was ich finden konnte."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort