Zurück zum Buchen-Urwald

Der gebürtige Bonner Peter Wohlleben distanziert sich von der klassischen Forstwirtschaft - Seine ökologischen Ansätze sind mehrfach ausgezeichnet

Zurück zum Buchen-Urwald
Foto: Willcke

Bonn. Buchen, so weit das Auge reicht. Auf den ersten Blick sieht der Wald von Förster Peter Wohlleben aus wie jeder andere - aber halt nur auf den ersten. Mächtige Stämme, circa 200 Jahre alt, stehen in dem Eifelwald. Wertvollstes Nutzholz - Prachtstücke für die Holzindustrie. Denkste! Peter Wohlleben lässt die Riesen stehen: "Man trennt Eltern und Kinder ja auch bei Menschen nicht ohne Not."

Im Wald Gemeinde Hümmel in der Eifel ticken die Uhren anders. Dort wird Forstwirtschaft nicht ausschließlich gewinnorientiert betrieben. Ökologisches Forsten lautet die Maxime. Wohllebens Ideal-Biotop ist der Urwald. Und den gab es vor vielen Jahrhunderten auch bei uns und bestand hauptsächlich aus Buchen.

Und da will der 44-Jährige gebürtige Bonner auch wieder hin: "Buchen benötigen viel Zeit, um zu wachsen. Kiefern und Fichten nicht, und deshalb haben diese Nadelbäume die Buchen in den vergangenen Jahrzehnten aus wirtschaftlichen Gründen immer mehr verdrängt. Wir in Hümmel schwimmen schon seit 15 Jahren gegen den Strom."

Sein Forstbetrieb pflanzt zum einen dort Buchen an, wo Stürme Nadelholz umwerfen. Zum anderen überlässt Wohlleben große Areale sich selbst. Und zwar stehen diese Gebiete nicht nur unter Naturschutz, sondern sogar unter Totalschutz. In den Waldstücken wird überhaupt nichts mehr verändert - da ist die Natur noch ursprünglich und unverfälscht.

Und auf den zweiten Blick sieht Wohllebens Wald deshalb wirklich anders aus. Unter den mächtigen Buchen wächst der Nachwuchs heran - im Sommer gut beschattet, im Winter vor Sturm geschützt.

Damit die jungen Triebe dem Hunger des Wildes nicht zum Opfer fallen, wird der Tierbestand klein gehalten. Reh-, Schwarz- und Rotwild werden intensiv bejagt. In den Hümmeler Revieren leben nur noch ein bis zwei Rehe pro Quadratkilometer, bundesweit sind es im Durchschnitt 30 bis 100. "Und genau das ist der Grund für die hohen Verbissschäden im Wald. Die Trophäenjäger unter den Revierbesitzern hegen und pflegen das Wild auf Kosten des Waldes. Gerade in Deutschland wird der Naturschutz in dieser Frage pervertiert", ärgert sich Wohlleben.

Dies ist einer von vielen Gründen, warum Peter Wohlleben der klassischen Forstwirtschaft Adieu gesagt hat. Im September 2006 hat er den Staatsdienst beim Land Rheinland-Pfalz quittiert, um ökologisch forsten zu können. Die Widerstände im eigenen Forstamt waren ihm zu groß geworden. Bis hin zum Maulkorb reichten die Anordnungen der Vorgesetzten.

Die kleine Gemeinde Hümmel übernahm den Förster nahtlos als Angestellten, weil sie seine forstwirtschaftlichen Ansätze gut findet. Aber was macht Wohlleben anders als andere Förster? Er setzt zum Beispiel keine Chemie im Wald ein. Der Borkenkäfer kann sich also in Hümmel nach Herzenslust vermehren? Irrtum. "Wir brauchen keine Schutzspritzungen gegen Borkenkäfer, weil wir unser geschlagenes Holz sofort vermarkten", erklärt Wohlleben. Er setzt auch keine Vollernter - sogenannte Harvester - zur Holzverarbeitung ein.

Seilwinden und Rückepferde kommen in Hümmel umweltschonend zum Einsatz. "Pro Kubikmeter Holz kostet uns das zwar ein bis zwei Euro mehr, aber dadurch bleiben unsere Waldböden locker, intakt und sie können mehr Wasser aufnehmen. Und das führt dazu, dass die Buchen in trockenen Sommern widerstandsfähiger sind. Was wiederum die Borkenkäfergefahr reduziert, weswegen wir kein Geld für Chemikalien ausgeben müssen", betont Wohlleben.

Trotz dieser aufwändigen Holzgewinnung macht sein Forstbetrieb Gewinn, und das freut natürlich die Ortsgemeinde. "Sich um die Natur kümmern müssen, kostet Geld, das man eigentlich nicht ausgeben muss, wenn man nicht andauernd aus Gründen der Gewinnmaximierung unbedacht in den natürlichen Kreislauf des Waldes eingreift", weiß Wohlleben.

Und noch ein Ass schüttelt Wohlleben aus seinem grünen Ärmel: Hümmel bietet den ältesten Ruheforst von Rheinland-Pfalz. Seit fünf Jahren lassen sich Menschen aus der Eifel und dem Köln/Bonner-Raum am Fuße alter Buchen beerdigen. Mehr als 1 000 Urnen-Gräber befinden sich in einem 14 Hektar großen Waldstück. Nur ein kleines schwarzes Schild - mit einem Namen versehen - erinnert an den Verstorbenen.

Der Wald der Gemeinde Hümmel, inzwischen vom "Forest Stewardship Council" mit dem weltweit wichtigsten Gütesiegel für ökologisch nachhaltige Waldwirtschaft ausgezeichnet, ist aber wahrlich kein Mausoleum. Im Gegenteil: Bei gutem Wetter zieht es viele Familien in den naturbelassenen Eifelwald, weil er in einem Zustand ist, wie ihn sich die Bürger wünschen: ruhig, natürlich und vorbildlich.

Diese Wertschätzung nutzt Wohlleben, in dem er eigenwillige Kurse im Wald anbietet - zum Beispiel Blockhüttenbau und Survivaltraining. "Die Städter lieben es, in unserer Natur zu sich selbst zu finden. Ein Wochenende lang eins mit dem Wald zu sein und nach dessen Gesetzen zu leben, danach sehnen sich viele Menschen", sagt der Förster.

Aber auch für die Jugend bietet Wohlleben etwas Außergewöhnliches an. Der Naturschützer bildet Grundschüler vier Jahre lang zu Junior-Förstern aus. "Jede Schulklasse geht mehrmals jährlich mit mir in den Wald. Dort wird experimentiert, gespielt und Natur erlebbar gemacht", erklärt er.

Im vierten Schuljahr endet die Ausbildung mit einer Prüfung. Als Anerkennung erhalten die Kids eine Urkunde und einen Ärmelannäher mit der Aufschrift "Junior-Förster". "Ich nehme mir für dieses Projekt Zeit, weil ich will, dass sich meine ökologischen Ideale verbreiten. Schüler sind die Entscheidungsträger von morgen", so Wohlleben.

Für seine Ideen wurde Wohlleben jetzt mit einem Innovationspreis ausgezeichnet. Er ist einer der Preisträger des Wettbewerbs "Deutschland - Land der Ideen". Diese Initiative hat die Bundesregierung und der Bundesverband der Deutschen Industrie ins Leben gerufen.

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