Fields-Medaille verliehen Bonner Mathe-Professor Scholze mit hoher Auszeichnung geehrt

Rio de Janeiro/Bonn · Keine Sorge: Sie müssen nicht Mathe studiert haben, um diesen Text zu verstehen. Aber Sie sollten ihn lesen - um zu wissen, warum ein 30-Jähriger aus Bonn eine Sensation ist.

 Peter Scholze bei der Arbeit.

Peter Scholze bei der Arbeit.

Foto: Universität Bonn, Hausdorff Center for Mathematics / Volker Lannert

Er war mit 24 Jahren jüngster Professor Deutschlands, hat etliche Preise abgeräumt und versteht mathematische Zusammenhänge so, dass andere nur staunen können: Nun ist der Bonner Mathematiker Peter Scholze mit einer der renommiertesten Auszeichnungen seines Fachs, der Fields-Medaille, gewürdigt worden.

Er erhielt die Ehrung als zweiter Deutscher überhaupt. Das sei "schon eine herausragende Ehre", sagte der 30-jährige gebürtige Dresdner anlässlich der Verleihung beim Internationalen Mathematiker-Kongress am Mittwoch in Rio de Janeiro. Diese Bescheidenheit passt zu ihm. Der Versuch einer Annäherung.

Schulterlange, braune Haare. Schlanke Figur, schlichtes Hemd. Peter Scholze sticht auf den ersten Blick nicht heraus. Was ihn ausmacht, ist seine geistige Arbeit. Sein Genie. Auch wenn er das selbst wohl nie so sagen würde. "An sich habe ich gar nicht das Gefühl, dass ich ein spezielles Talent besitze", sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Mit dieser Meinung steht er ziemlich alleine da.

Das Prestige der Fields-Medaille ist mit dem der Nobelpreise vergleichbar. Sie wird alle vier Jahre an bis zu vier herausragende Mathematiker unter 40 Jahren vergeben - neben Scholze dieses Mal an Akshay Venkatesh (Princeton University und Stanford University, USA), Alessio Figalli (ETH Zürich, Schweiz) und Caucher Birkar (Cambridge University, Großbritannien). Eine weitere hochrangige Mathematik-Auszeichnung ist der Abelpreis, der ohne Altersbeschränkung und jährlich verliehen wird.

Die goldene Medaille reiht sich bei Scholze unter anderem ein neben dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Fermat-Preis der Universität Toulouse und dem Clay Research Award des Clay Mathematics Institute in Cambridge. Das liest sich wie ein Auszug der Liste aller wichtigen Auszeichnungen, die ein Mathematiker auf dieser Welt bekommen kann. Scholze ist Mitglied unter anderem der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Seit Juli ist er zudem Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn.

Scholzes Doktorvater Michael Rapoport sagt: "Er ist der bessere Mathematiker als ich, er hat tiefere Einblicke als ich, er hat den besseren Überblick." Wie die Studenten hole auch er selbst sich Rat bei Scholze. "Er ist inzwischen mein Lehrer." Schon beim Abitur habe Scholze sein ganzes Fachgebiet intus gehabt und noch Wissen darüber hinaus, sagt der frühere Mathe-Professor. "Ich hatte eine ganze Reihe von außergewöhnlichen Studenten, aber Scholze ist exzeptionell." Er habe ein absolutes Formgefühl - wie Mozart. "Die Kompositionen sind in gewissem Sinn vollkommen komponiert und eingängig", schwärmt Rapoport. "Aber er trägt sein Genie nicht vor sich her."

In Laudationen wird Scholze als Überflieger und Ausnahmetalent bezeichnet. "Ich brauche die Superlative nicht", sagt der trocken. Er versuche, das nicht so sehr an sich rankommen zu lassen. Im Interview lässt er sich viel Zeit zum Antworten - und gibt sich dann doch oft wortkarg. "Wir versuchen in der Mathematik immer, die Dinge möglichst klar zu sagen", formuliert Scholze. Es klingt wie sein Lebensmotto.

Der einzige Deutsche, der bislang die Fields-Medaille bekam, ist Gerd Faltings. 1986 war das. "Das ist damals ein bisschen untergegangen, weil wir zur gleichen Zeit geheiratet und Kinder bekommen haben", erinnert sich der 64-Jährige. Über Scholze sagt er: "Es ist erstaunlich, wie viele Sachen er macht und versteht. Dinge, wo ich lange für brauchen würde oder die mich nicht interessieren. Damit sticht er aus der Masse heraus." Scholze sei fleißiger als er und habe zu vielen Themen eine fundierte Meinung. "Er liefert eine neue Sicht auf die Dinge und setzt Spezialfälle in größeren Zusammenhang."

Was Scholze macht, ist für Laien schwer bis gar nicht verständlich. Er forscht zur sogenannten arithmetischen Geometrie und schafft Verbindungen zwischen verschiedenen Gebieten der Mathematik. Das hilft Fachleuten, Probleme in einem Bereich mit Ansätzen aus einem anderen zu lösen. Gewissermaßen blickt Scholze über den Tellerrand der einzelnen Disziplinen und verknüpft Lösungsansätze. Seine Forschung gilt als weltweit bahnbrechend und richtungsweisend.

Er selbst beschreibt das so: "Was mich interessiert, sind die ganzen Zahlen - also 1, 2, 3, 4, 5 und so weiter - und ihre Eigenschaften, also was für Gleichungen man damit lösen kann. Und diese ganz grundlegende Fragestellung benötigt abstrakte Methoden, die aus verschiedenen, überraschenden Bereichen der Mathematik kommen: aus der Geometrie, aus der Analysis. Eigentlich gibt es da aus allen Gebieten der Mathematik Querverbindungen."

Der einfache Mathematikschüler mag da nur Bahnhof verstehen. Scholzes akademischer Lehrer Rapoport erklärt, es gehe um Probleme, die seit gefühlten Ewigkeiten bearbeitet werden. Und er ordnet ein: "Nicht die Nützlichkeit ist der Grund, warum das toll ist, sondern das geistige Ideengebäude, das Herr Scholze aufgebaut hat." Doch mit Scholze könne man auch über Rasenpflege plaudern. "Aber es kann sein, dass er im Gespräch auf einmal zum Fachlichen wechselt." Beim Tippspiel zur Fußball-WM habe Scholze weit vor ihm gelegen, verrät Rapoport.

Die Anfänge für die Ausnahmekarriere waren früh gelegt: Geboren in Dresden besuchte Scholze in Ostberlin das Heinrich-Hertz-Gymnasium, eine Eliteschule für Mathematiker und Naturwissenschaftler. 2007 schließt er das Abi mit 1,0 ab. "Unseren Peter" nennen sie ihn hier.

Im Mathe-Unterricht verfolgte er das Geschehen demzufolge mit "halbem Ohr" und griff in die Diskussion ein, wenn ihm irgendwas nicht recht gefiel oder wenn die Lösung des Problems zu lange auf sich warten ließ. "Er schüttelte dann Lösungsvorschläge aus dem Ärmel und konnte diese - zumeist lächelnd - an der Tafel sofort sauber und verständlich für alle darstellen", schreibt die Schule in ihrem Porträt. Parallel las Scholze im Unterricht mathematische Fachliteratur oder löste Aufgaben höherer Stufen.

In der 11., 12. und 13. Klasse konnte die Schule nach eigenen Angaben Scholze mathematisch nicht mehr allzu viel bieten. So wurde der Schüler individuell an der Freien Universität Berlin betreut, den Mathematik-Leistungskurs besuchte er "nur noch sporadisch". Als Bassist spielte er in einer Schulband - eher Richtung Heavy Metal, heißt es. Und er gewann bei Internationalen Mathe-Olympiaden mehrere Silber- und Goldmedaillen.

Scholze studierte Mathematik an der Uni Bonn, absolvierte seinen Bachelor in drei Semestern, seinen Master in zweien. 2012 wurde er dort im Alter von nur 24 Jahren Professor. Weil ihm in seinen Master- und Doktorarbeiten aufsehenerregende Durchbrüche gelangen, verzichtete die Hochschule auf eine Habilitation. Ein bisschen Angst spielte wohl auch eine Rolle, Scholze könnte an eine andere namhafte Uni wechseln.

Dabei will er das gar nicht: "Es hat mich nie so sehr gereizt, in die USA zu gehen, weil ich mich kulturell in Deutschland verankert fühle", sagt Scholze, der fünf Jahre Forschungsstudent in Cambridge war. Mathematik sei eine sehr internationale Disziplin, sagt er. "Wir behandeln alle dieselbe Mathematik. Sowas wie die deutsche Mathematik gibt es nicht." Bonn sei ein herausragender Standort, um sich mit guten Mathematikern auszutauschen. An der dortigen Uni gibt es das Hausdorff-Zentrum für Mathematik als Exzellenzcluster - das einzige derzeit laufende Exzellenzcluster für diesen Fachbereich.

Maßstab für die Bewertung eines Mathestandorts sollten nicht Preise sein, findet Faltings. "Ich sehe das nicht wie Olympische Spiele, bei denen es darum geht, Medaillen zu bekommen. Dafür ist das deutsche System auch nicht geeignet." Der Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Michael Röckner, betont zudem: "Jeder, der die Fields-Medaille bekommt, ist herausragend. Aber nicht jeder Herausragende bekommt auch die Fields-Medaille."

Im Prinzip könne man überall in Deutschland gut Mathematik lernen, sagt Faltings. Es gebe aber kein Elitesystem wie in England oder Frankreich. "Dort werden die Besten stärker gefördert", findet er. Alle säßen gewissermaßen auf einer Stelle. "Man lernt da besser, sich gegen Konkurrenz durchzusetzen." So sind Franzosen auffallend oft etwa unter den Trägern der Fields-Medaille. Scholze betont, in Frankreich bekomme man früher permanente Stellen. "Es gibt auch viel mehr reine Forschungsstellen, wo es auch ein paar Leute gibt, die ihr ganzes Leben der Forschung verschreiben."

Eine Idee auch für Deutschland? "Der Bund könnte theoretisch eine Milliarde in eine Uni stecken und damit nach einiger Zeit eine Elitehochschule schaffen, aber das gäbe politisch einen Riesenärger", meint Faltings. Röckner ist weniger pessimistisch: Unter den Nazis im Zweiten Weltkrieg habe die Mathematik vielleicht stärker als viele Wissenschaften gute Leute wie den Juden Felix Hausdorff verloren. "Wir brauchten lange Zeit, um uns davon zu erholen." Inzwischen habe Deutschland auf dem internationalen Mathematik-Parkett wieder Fuß gefasst, etwa durch den Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Martin Grötschel. Auch kämen mehr junge Mathematiker auf Professuren. Das bringe einen "Energieschwung".

Schlechter sehe es bei der Schulbildung aus, weil viele Lehrpläne in den vergangenen Jahren abgespeckt worden seien. Es sei ein Kraftakt, Studenten angesichts der hohen Anforderungen an den Unis zu halten, sagt Röckner. Der hoffnungsvolle Nachwuchs werde bei Wettbewerben wie den Mathe-Olympiaden gesucht. Dort also, wo auch Scholze seine ersten Erfolge feierte und den Grundstein für seine Ausnahmekarriere legte. Auch wenn er das selbst wohl anders ausdrücken würde.

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