"Sofortprogramm Saubere Luft" Bund zückt das Diesel-Scheckbuch

Berlin · Im Streit um Diesel-Fahrverbote kommt der Bund den Kommunen entgegen und legt beim Förderprogramm "Saubere Luft" eine große Schippe drauf. Gelöst sind die Probleme damit aber noch lange nicht. Denn bei einem Hauptproblem der Dieselkrise hilft Geld allein nicht weiter.

 Bundeskanzlerin Merkel zusammen mit Vertretern der Kommunen im Kanzleramt in Berlin.

Bundeskanzlerin Merkel zusammen mit Vertretern der Kommunen im Kanzleramt in Berlin.

Foto: Kay Nietfeld

Fast eine weitere Milliarde Euro an Bundesgeld soll den Städten helfen, Diesel-Fahrverbote zu vermeiden und die oft zu starke Luftverschmutzung in den Griff zu bekommen.

Ein laufendes Förderprogramm für Projekte in Kommunen werde um 500 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro aufgestockt, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einem Treffen mit Vertretern von Städten und Ländern in Berlin. Hinzu kommen 432 Millionen Euro, um Nachrüstungen bei Kleinlastern von Handwerkern oder Lieferdiensten zu unterstützen.

Kommunen forderten mehr Nachdruck bei Angeboten für Besitzer älterer Diesel-Pkw, denen Fahrverbote in abgasgeplagten Städten drohen. Verbraucher- und Umweltschützern reicht mehr Geld auch nicht.

Vor dem Treffen mit der Bundesregierung hatte es viel Ärger gegeben. Städte forderten mehr und längerfristige Mittel. Sie warfen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vor, ihnen den "schwarzen Peter" zuzuschieben.

Scheuer sagte, der Bund unterstütze betroffene Kommunen massiv. Die technischen Vorschriften für Hardware-Nachrüstungen für Pkw werde sein Ressort noch in diesem Jahr vorlegen, nicht wie geplant Anfang 2019. Ab dem 2. Januar könnten Nachrüster Bauteile entwickeln, was nach deren Angaben etwa sechs Monate dauere.

Dann werde man "unglaublich schnell" in die Genehmigungsverfahren gehen. Zu den Kosten, die nicht bei Autobesitzern landen sollen, gibt es bisher unterstützende Zusagen von Daimler und Volkswagen - viele weitere Hersteller fehlen jedoch.

Gerichte haben inzwischen Fahrverbote für ältere Diesel in mehreren Städten angeordnet, die schon 2019 umgesetzt werden sollen. Insgesamt hielten 65 Städte im vergangenen Jahr den Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel nicht ein. Davon liegen 15 bei mehr als 50 Mikrogramm. Für sie hat die Bundesregierung zusätzliche Maßnahmen beschlossen. Dieselfahrer solle von besonderen Rabatten der Autobauer profitieren, wenn sie auf ein weniger umweltbelastendes Fahrzeug umsteigen. Zudem soll es Angebote für Hardware-Nachrüstungen geben, also Umbauten an Motoren für eine bessere Abgasreinigung.

Das "Sofortprogramm Saubere Luft" wendet sich nicht an Autobesitzer, sondern an die Städte. Es läuft von 2017 bis 2020 und hat bisher ein Volumen von einer Milliarde Euro, die deutschen Autobauer beteiligen sich mit 250 Millionen Euro. Bei den zusätzlichen Bundesmitteln von 500 Millionen Euro geht es nach Angaben eines Regierungssprechers um weitere Verpflichtungen, die der Bund im nächsten Jahr eingehen kann. Diese Ermächtigungen können dann für die Jahre ab 2020 in Anspruch genommen werden. Das hatte der Haushaltsausschuss des Bundestags in seinen Abschlussberatungen zum Etat 2019 beschlossen.

Die Kommunen hatten vor dem Treffen mit Merkel mehr Geld sowie eine Verstetigung der Mittel verlangt. Das Programm unterstützt etwa die Anschaffung von Elektrobussen, die Einrichtung von Ladesäulen, die Digitalisierung der Verkehrsleitung gegen Staus und Stockungen sowie die Nachrüstung von Diesel-Bussen mit besserer Abgasreinigung.

Engpässe hatte es unter anderem beim Wunsch nach E-Bussen gegeben. Mit den zusätzlichen Mitteln könnten die von Städten beantragten Elektrobusse "im Wesentlichen" gefördert werden, sagte Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth. Es werde die Anschaffung von etwa 450 E-Busse gefördert. Der Bundestag habe bereits in der letzten Woche die Aufstockung beschlossen, sagte SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. Jetzt liege es an den Bundesministerien, die Fördermittel unbürokratisch und schnell für die Kommunen zur Verfügung zu stellen. "Von den Kommunen erwarte ich, dass sie zügig Anträge stellen."

Verbraucherschützer forderten, alle in- und ausländischen Hersteller müssten Nachrüstungen an Diesel-Pkw unterstützen. "Es darf keine Zweite-Klasse-Dieselfahrer geben", mahnte Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Nachrüstungen mit bestimmten Katalysatoren sollen die Stickoxid-Belastung weiter senken, nachgerüstete Fahrzeuge sollen von Fahrverboten ausgenommen sein.

Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) verlangte mehr Nachdruck bei den Maßnahmen für ältere Diesel-Pkw. Die Förderung für Umrüstungen kommunaler Fahrzeuge und Busse betreffe in seiner Stadt maximal sieben Prozent des gesamten Stockoxid-Ausstoßes. Angebote der Autobauer für den Kauf modernerer Fahrzeuge müssten besser werden, Hardware-Nachrüstungen noch 2019 möglich sein.

"Für die Städte bleibt die Automobilindustrie gefordert, Hardware-Nachrüstung und Umtauschprämien flächendeckend anzubieten und nicht nur in 15 Städten", sagte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Benjamin Stephan von Greenpeace forderte: "Verkehrsminister Scheuer muss VW, Daimler, BMW und Co. in die Verantwortung nehmen und sie zu verbindlichen Hardware-Nachrüstungen zwingen." Sonst verpuffe die Extra-Milliarde weitgehend wirkungslos.

Kanzleramtsminister Helge Braun rief die Kommunen auf, das Förderprogramm des Bundes zu nutzen. "Wichtig ist nun, dass alle auf den Weg gebrachten Maßnahmenpakete zügig und wirksam von allen Beteiligten in ihren jeweiligen Verantwortlichkeiten umgesetzt werden", sagte der CDU-Politiker der "Rheinischen Post". Bisher seien Bescheide über 600 Millionen Euro übergeben.

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