Interview mit Alexander Graf Lambsdorff "Das offene Europa verteidigen"

Bonn · Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff hält auch nach den Attacken von Paris ein Plädoyer für ein offenes Europa. Mit ihm sprach Ulrich Lüke.

 "Wir dürfen uns in der Art, wie wir leben wollen, nicht einschüchtern lassen", sagt Alexander Graf Lambsdorff.

"Wir dürfen uns in der Art, wie wir leben wollen, nicht einschüchtern lassen", sagt Alexander Graf Lambsdorff.

Foto: AFP

Ist nach den Ereignissen von Paris der Traum vom Europa ohne Grenzen ausgeträumt?
Alexander Graf Lambsdorff: Dann hätten die Terroristen gewonnen. Ich glaube, dass wir unser offenes Europa verteidigen müssen, nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinne. Wenn acht Terroristen 500 Millionen Europäerinnen und Europäer in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken könnten, wäre das ein fatales Signal.

Kann Angela Merkel ihre Flüchtlingspolitik jetzt noch durchhalten?
Lambsdorff: Sie scheinen davon auszugehen, dass Angela Merkel eine Flüchtlingspolitik hat. Eine Linie ist da aber nicht zu erkennen, denn sie fährt einen Zickzackkurs, der die Menschen im Land verwirrt, der die Helfer vor Ort frustriert, der Unruhe stiftet, statt eine Richtung vorzugeben. Die Bundeskanzlerin muss endlich zu einer richtigen Linie, zur richtigen Mischung aus Offenheit und Sicherheit, finden.

Markus Söder von der CSU fordert nach Paris Obergrenzen für die Flüchtlingsaufnahme...
Lambsdorff: Herr Söder sollte sich nach seinem Verhalten gründlich überlegen, ob er als Minister überhaupt noch tragbar ist - geeignet ist er sicher nicht, das hat seine Stellungnahme auf Twitter mehr als deutlich gezeigt.

Wie erklären Sie sich, dass es überhaupt zu den Anschlägen kommen konnte?
Lambsdorff: Der Islamische Staat führt aus seiner verqueren, ja perversen Sicht einen globalen Krieg gegen die "Ungläubigen". Frankreich ist ein Land, das für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und die universellen Menschenrechte steht. Es ist ein mutiges Land, das sich im Kampf gegen den IS engagiert, aber auch ein verwundbares Land. Und es ist Opfer unzulänglicher europäischer Zusammenarbeit. Denn ganz offensichtlich wurden die Anschläge ja einmal mehr teilweise in Belgien geplant, übrigens auch unser Nachbarland.

Wird in Europa nicht genug für die Sicherheit der Bürger getan?
Lambsdorff: Ich glaube, dass alle ihr Bestes tun. Aber wir müssen aufpassen, dass wir in den Diskussionen über unsere Sicherheitsdienste das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Wir brauchen einen starken Bundesnachrichtendienst, wir brauchen starke Verfassungsschutzbehörden, wir brauchen eine starke Polizei. Anders schaffen wir es nicht, radikale Kräfte zu überwachen und Anschlagspläne schon im Keim zu ersticken. Und die Achse Paris-Molenbeek zeigt, dass wir diese starken Behörden auch in und für Europa brauchen.

Haben Kritiker Recht, die vor einer Islamisierung Europas warnen?
Lambsdorff: Ich halte es für vollkommen verfehlt, eine Pauschalverurteilung über die bei uns lebenden und zu uns kommenden Muslime auszusprechen. Ganz im Gegenteil. Aber ich erwarte von den religiösen, politischen und kulturellen Führungsfiguren des Islam eine klare Ansage, dass dieses Verhalten nicht nur falsch ist, sondern es auch nicht unterstützt werden darf.

Was ist die Konsequenz aus den Pariser Anschlägen im Blick auf Syrien?
Lambsdorff: Glücklicherweise gibt es jetzt endlich die Wiener Beratungen unter Einbeziehung Russlands, des Iran und Saudi-Arabiens, das haben wir als Liberale seit Langem gefordert. Mit dem großen Flüchtlingsstrom fällt der Bundesregierung ihr jahrelanges Nichthandeln auf die Füße. Wenn in unmittelbarer Nachbarschaft Europas ein so blutiger Konflikt über so viele Jahre unbearbeitet abläuft, dann lässt uns das nicht unberührt.

Der Eindruck, dass es eine militärische Lösung geben muss, verstärkt sich...
Lambsdorff: Eine ausschließlich militärische Lösung gibt es nicht. Es kann nur politische Lösungen geben, die phasenweise mit militärischen Mitteln unterstützt werden können. Man darf also nicht, wie Grüne und Linke das tun, militärische Mittel ausschließen, aber alleine reichen sie sicher nicht aus. Deshalb ist der Prozess in Wien so zentral.

Gibt es eine generelle Konsequenz aus den Anschlägen für die westlichen Demokratien?
Lambsdorff: Ja. Europa ist ein Kontinent der Offenheit und der Lebensfreude, und genau dieses Gefühl sollten wir behalten. Wir dürfen uns in unseren Werten und in der Art, wie wir leben wollen, nicht einschüchtern lassen von einer menschenverachtenden und lebensfeindlichen Ideologie. Gleichzeitig müssen wir mit unseren Behörden dafür sorgen, dass junge Männer nicht radikalisiert werden und dass unsere Sicherheit gewährleistet bleibt.

Polen will jetzt noch nicht einmal die zugesagte kleine Zahl von Flüchtlingen aufnehmen. Ist das hinnehmbar?
Lambsdorff: Die neue polnische Regierung handelt leider so, wie wir das erwartet haben. Aber ich würde das nicht zu hoch hängen. Die Frage der Verteilung der Flüchtlinge bleibt auf der Tagesordnung. Auch Polen wird sich dem stellen müssen.

In Frankreich stehen demnächst Regionalwahlen an. Fürchten Sie weiteren Zulauf für den Front National?
Lambsdorff: Ja, leider. Es steht zu befürchten, dass die Marketenderin der Angst versuchen wird, aus den Anschlägen in Paris Profit zu schlagen. Hoffen wir, dass die demokratischen Kräfte das verhindern können.

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