Analyse Der Mahner Scholz und das Ende goldener Zeiten

Berlin · Erstmals seit Jahren gibt es einen Dämpfer bei den zu erwartenden Steuereinnahmen. Im Geldausgeben war diese Koalition bisher groß - doch Forderungen, mit einer Steuerreform das Land gerechter und krisenfester zu machen, erteilt Finanzminister Scholz eine Absage.

Oberster Kassenwart: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im Bundestag.

Foto: Gregor Fischer

Für Olaf Scholz sind es gute Zahlen, die er im dunklen Säulensaal des Bundesfinanzministeriums vorträgt. Denn die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen wachsen weiter: 6,7 Milliarden Euro mehr bis 2022 als bei der letzten Schätzung prognostiziert.

Aber: Sie wachsen nur noch ein bisschen, und selbst das schmale Plus kann noch zu optimistisch gerechnet sein. Gut sind die Zahlen für Scholz dennoch: Er kann damit alle Rufe nach einer Steuerreform abblocken.

"Die Bäume wachsen nicht in den Himmel", sagt er gewohnt nüchtern und mahnt, dass man auch für schwierigere Zeiten gewappnet sein muss. Man müsse sich auf eine Normalisierung der Einnahmen einrichten.

Bei der letzten Schätzung wurde im Mai noch ein Plus von 63,3 Milliarden Euro bis 2022 errechnet - jetzt kommen nur 6,7 weitere Milliarden hinzu. Es werden erstmals seit langem für 2019 sogar die Einnahmen um 2,3 Milliarden Euro nach unten korrigiert, in anderen Jahren wachsen sie.

"Größere neue Spielräume sind nicht sichtbar", betont Scholz. Die Koalition ist vor allem groß im Geldausgeben - das Zeitfenster für eine Reform mit spürbaren Steuersenkungen scheint sich nun zu schließen. Denn die Einnahmen des Bundes werden sogar nur um zwei Milliarden Euro wachsen im Vergleich zur Mai-Schätzung, der Rest der Mehreinnahmen entfällt auf Länder und Kommunen. Für das laufende Jahr werden nun Einnahmen von insgesamt 775 Milliarden Euro erwartet.

Die Rekordbeschäftigung beschert bisher sprudelnde Steuereinnahmen, dazu niedrige Zinsen, die Grundlage für Haushalte ohne neue Schulden - Scholz betont: Die "Schwarze Null" wird auch weiter stehen.

Mit dem vielen Geld wird allen ein wenig gegeben - aber einen richtigen Knüller hat man bisher nicht ins Schaufenster gestellt. Es ist so etwas wie die letzte Hoffnung der SPD, dass der Absturz gebremst werden kann, wenn 2019 reihenweise Projekte der Koalition in Kraft treten - vom Familienentlastungsgesetz mit einem Volumen von 9,8 Milliarden Euro über das Kitagesetz mit mehr kostenloser Betreuung bis hin zu Rentenverbesserungen und einer Entlastung der Bürger bei den Krankenkassenbeiträgen um fast sieben Milliarden Euro.

Zudem gibt der Staat, was er gerade bei mittleren Einkommen durch die "kalte Progression" zu viel abkassiert, 2018 im Schnitt 104 Euro je Steuerzahler, im kommenden Jahr über das Entlastungsgesetz zurück. Eines der teuersten Vorhaben, das Baukindergeld, erfreut sich bisher großer Beliebtheit, bis Mitte Oktober gab es knapp 25.000 Anträge für den Zuschuss von 12.000 Euro je Kind bei Kauf oder Bau eines Eigenheims.

Und daneben wird besonders die Generation 60+ von der Koalition mit Milliardengeschenken bedacht, Beispiele sind die Rente mit 63 und die Mütterrente. Das erste Projekt wollte die SPD, das zweite die CSU.

Doch trotz Rekordeinnahmen und Schuldentilgung wagt die Koalition aus Sicht vieler Kritiker keinen großen Wurf, um die Bürger nachhaltig zu entlasten. Warum gibt es zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer keine Reform? Schließlich war der Satz von 19 statt zuvor 16 Prozent 2007 in schlechteren Zeiten eingeführt worden. Ohnehin versteht kaum jemand das Dickicht von reduziertem und regulärem Satz - eine Petition gegen die bisherigen 19 Prozent Mehrwertsteuer für Tampons ("Die Periode ist kein Luxus") fand bereits rund 90 Unterstützer.

Die Mehrwertsteuer ist mit rund 20 Milliarden Euro im Monat neben Lohn- und Einkommenssteuer die wichtigste Einnahmequelle. Gerade in Zeiten, wo die Umfragen für Union und SPD abstürzen und alle ein Signal des Aufbruchs statt Geldverteilen mit der Gießkanne fordern, lautet das Signal von Scholz vor allem: In der Welt ist was los, große Reformsprünge nicht drin. Den geringen Spielraum will er für Steuerrabatte nutzen, damit die Forschungsförderung angekurbelt wird.

Aber eine sich verschärfende Ungerechtigkeit ist zum Beispiel aus Sicht des Steuerzahlerbundes, dass der Spitzensteuersatz immer früher greift. Während die durchschnittlichen Bruttolöhne seit 2010 stark gestiegen sind, wurde die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz nur geringfügig angehoben, kritisiert Präsident Reiner Holznagel. Die Folge: Schon Einkommen ab 55.000 Euro müssen den vollen Satz zahlen. Holznagel fordert, dass der Spitzensteuersatz erst ab 80.000 Euro greift. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) verweist auf die hohen Steuerlasten für Unternehmen - gerade US-Präsident Donald Trump hat mit seinen Steuersenkungen den Druck noch mal erhöht in Sachen Wettbewerbsfähigkeit. "Deutschland entwickelt sich vom Hoch- zum Höchststeuerland", kritisiert Hauptgeschäftsführer Joachim Lang.

Die Steuerlast der Unternehmen sollte daher von über 30 Prozent auf maximal 25 Prozent sinken. Doch Scholz hat Steuersenkungsplänen von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine klare Absage erteilt.

Ganz anders argumentiert die Linke, deren Chef Bernd Riexinger sieht die Polarisierung im Land in einer sozialen Schieflage begründet. "In Deutschland besitzen die 45 reichsten Haushalte so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung." Gerade die SPD müsse eine gerechtere Besteuerung von Einkommen, Vermögen und Kapital durchsetzen. Andere fordern mehr Investitionen, um Straßen und Schulen zu sanieren.

Aber die Wolken verdunkeln sich am Konjunkturhimmel. Scholz sieht auch dank der soliden Haushaltsführung genug Krisenpuffer - das große Problem: andere Staaten in der EU, angefangen Italien, haben den nicht mehr. Und die Solidarität für große Krisenrettungspakete ist in Deutschland stark gesunken. Ein Ausdruck dessen ist die Alternative für Deutschland (AfD), die sich gegründet hat wegen einer als alternativlos verkauften Euro-Rettungspolitik von Angela Merkel.