Sommer-Pressekonferenz Deutschland blockiert Ausweitung der Zollunion mit Türkei

Berlin · Die Bundeskanzlerin stellt sich knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl den Fragen der Hauptstadt-Journalisten. Sie hat ihnen eine Überraschung mitgebracht. Deutschland will die Türkei jetzt da treffen, wo es weh tut: Es geht um den Handel mit der EU.

Die Bundesregierung schaltet im Konflikt mit Ankara einen Gang hoch. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte am Dienstag in Berlin an, Deutschland werde die Verhandlungen über eine Ausweitung der Zollunion zwischen der Europäischen Union und der Türkei blockieren.

Die Kanzlerin will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk schon an diesem Mittwoch darüber informieren.

Merkel sagte: "Ich sehe nicht und wir sehen nicht als Bundesregierung, dass wir in den nächsten Monaten ein Mandat erteilen könnten, um über die Zollunion zu sprechen, solange die Situation so ist wie sie jetzt ist." Die CDU-Chefin verwies darauf, dass Gespräche über die Ausweitung der Zollunion von den EU-Mitgliedern einstimmig beschlossen werden müssten.

Die EU-Kommission reagierte nüchtern auf die Ankündigung Merkels. "Nach Ansicht der Kommission würde eine Modernisierung der Zollunion beiden Partnern wesentliche wirtschaftliche Vorteile bringen", sagte eine Sprecherin am Dienstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Wenn es die Umstände zuließen, sei der Ausbau der Zollunion einer der Bereiche von gemeinsamen Interesse, in denen die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei vertieft werden könne.

Im Bundestagswahlkampf nahm Merkel mit der klaren Ansage SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz etwas den Wind aus den Segeln. Schulz hatte ihr vorgeworfen, sie reagiere auf Provokationen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu zögerlich. "Wie lange wollen wir tatenlos zusehen, dass Herr Erdogan uns an der Nase herumführt?", fragte Schulz mit Blick auf den Journalisten Deniz Yücel und andere in der Türkei inhaftierte Deutsche.

Merkel wies den von Journalisten zuletzt mehrfach geäußerten Vorwurf zurück, sie lulle die Wähler ein und gehe der Auseinandersetzung mit ihrem Herausforderer Martin Schulz aus dem Weg. Wenn manche glaubten, "schön ist Wahlkampf nur, wenn man sich gegenseitig beschimpft, dann ist das nicht die Vorstellung, die ich von Wahlkampf habe". Sie finde die Wahlkampfveranstaltungen nicht langweilig, "sondern für mich ist das spannend, interessant und jeden Tag trifft man auf neue Menschen."

Die Kanzlerin betonte in ihrer Sommer-Pressekonferenz, sie habe sich von ihrer Willkommenspolitik für Flüchtlinge nicht verabschiedet. Die von ihr angeregten Schritte gegen Schlepper, für mehr Entwicklungshilfe und eine humanitäre Unterbringung in Libyen seien "dem gleichen Geist entsprungen" wie die Hilfe für Flüchtlinge im Sommer 2015. Dass sie damals entschieden habe, die Grenze für Flüchtlinge offen zu halten, sei eine wichtige und richtige Entscheidung in einer humanitären Ausnahmesituation gewesen.

Jetzt aber seien Maßnahmen gefragt, um langfristige Lösungen zu finden. Diese seien "davon geleitet, dass wir uns eben nicht einfach abschotten und einfach so weitermachen können", betonte die Kanzlerin. Die Europäer könnten nur dann in Wohlstand und Sicherheit leben, "wenn wir über den Tellerrand schauen und uns mit unserer Nachbarschaft und mit ihrer wirtschaftlichen Entwicklung befassen". Merkel wiederholte ihre Kritik an EU-Staaten, die sich gegen eine "faire Verteilung" der Flüchtlinge in Europa sträubten.

Auf kritische Fragen zur Zusammenarbeit mit Niger in der Flüchtlingspolitik und beim Grenzschutz antwortete die CDU-Vorsitzende, Deutschland dürfe sich nicht "drücken". Es sei falsch, einem Staat wie Niger, der auch von islamistischen Terrorgruppen herausgefordert werde, nicht zu helfen, nur weil vielleicht das Risiko bestehe, einzelne der Gewehre, die man geliefert habe, könnten von Terroristen erbeutet werden. Merkel betonte: "Mein Maßstab heißt: Geht es hinterher einigen besser als vorher?"

Die Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, warf Merkel vor, sie gebe sich in der Migrationspolitik zwar rhetorisch "human". Gleichzeitig kooperiere sie aber mit autokratischen Regimen, damit "die Abwehrfront gegen Flüchtlinge nicht mehr auf dem Mittelmeer, sondern mitten durch Afrika gezogen wird".

Auf den Umgang ihrer Partei mit der Alternative für Deutschland angesprochen, sagte die CDU-Chefin, es werde weiterhin keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Missbilligend äußerte sie sich über CDU-Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt, die in der vergangenen Woche einem Antrag der AfD-Fraktion für die Einsetzung einer Enquete-Kommission Linksextremismus zugestimmt hatten. Eine Äußerung des AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland nannte Merkel "rassistisch". Gauland hatte am vergangenen Wochenende davon gesprochen, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) in der Türkei zu "entsorgen".

Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch sagte der "Welt": "Es ist richtig, Gauland scharf zu kritisieren, aber dann muss es auch Konsequenzen bis hin zum Funktionsentzug geben für die Abgeordneten in Sachsen-Anhalt, die mit der AfD zusammenarbeiten."

Der CDU-Fraktionschef im Landtag von Sachsen-Anhalt, Siegfried Borgwardt, verteidigte seine Fraktion gegen Merkels Kritik. Er sagte, die CDU habe dem Antrag zugestimmt, um zu verhindern, dass der AfD das ihr zustehende Minderheitenrecht verwehrt werde. Dies sei aber nicht als "Zusammenarbeit" zu werten. Seine Fraktion respektiere und teile Merkels Auffassung, sagte Borgwardt der Deutschen Presse-Agentur.

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