Neuer Trend Die Generation 40 plus plant den Neustart

Werner Eichhorst, Experte des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), über einen neuen Trend.

 Weiß um die Chancen und Risiken der beruflichen Neuorientierung ab 40: Werner Eichhorst. FOTO: IZA

Weiß um die Chancen und Risiken der beruflichen Neuorientierung ab 40: Werner Eichhorst. FOTO: IZA

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Herr Dr. Eichhorst, vom Ende des 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Lebenserwartung der Deutschen von rund 40 auf etwa 80 Jahre verdoppelt. Welche Folgen hat das für die Erwerbsbiografien?

Werner Eichhorst: Zum einen können die Beschäftigten jetzt einen deutlich längeren Ruhestand genießen als früher. Zum anderen erwägen heute immer mehr Arbeitnehmer der Generation 40 plus einen beruflichen Neustart. Und auch die Zahl derjenigen, die diesen Neustart tatsächlich vollziehen, wächst merklich. Zwar gibt es noch keine belastbaren Statistiken, aber hier zeichnet sich ein neuer Trend ab.

Was sind die Gründe dafür, in der Mitte des Erwerbslebens zu neuen Ufern aufzubrechen?

Eichhorst: Klagen über mangelnde Aufstiegschancen oder schlechte Bezahlung spielen kaum eine Rolle. Ausschlaggebend ist meist eine allgemeine Unzufriedenheit mit der bisherigen Arbeit, die insgesamt als wenig sinnvoll angesehen wird. Es ist ja auch unerfreulich, jeden Tag mit einem langen Hals zur Arbeit zu gehen, das wirkt sich auch aufs Privatleben negativ aus. Bei den Neustartern handelt es sich übrigens durchweg nicht um berufliche Versager, sondern im Gegenteil um Leute, die in ihrem bisherigen Erwerbsleben, gemessen an Kategorien wie Gehalt und Position in der Unternehmenshierarchie, überdurchschnittlich erfolgreich waren.

Birgt gerade bei den Erfolgreichen eine berufliche Neuorientierung mit, sagen wir, 45 Jahren nicht erhebliche Risiken?

Eichhorst: Chancen und Risiken sollten sich in jedem Fall zumindest die Waage halten. Wir raten auch nicht dazu, von heute auf morgen alles hinzuschmeißen. Stattdessen sollten die Wechselwilligen beispielsweise in Teilzeit gehen und ihren angestrebten neuen Beruf erst einmal als Nebentätigkeit ausüben. So lässt sich allmählich ein zweites Standbein aufbauen. Es kommt natürlich auch darauf an, ob man eine gewisse berufliche Durstphase finanziell durchstehen kann. Wichtig ist, mit Blick auf die neuen beruflichen Perspektiven rechtzeitig geeignete Kontakte zu knüpfen. Wer sich beispielsweise selbstständig machen will, sollte unbedingt nach möglichen Unterstützern und Geschäftspartnern Ausschau halten.

Allerdings dürften selbst beste Kontakte nichts nutzen, wenn man seine Stimmen noch nie geschult hat und plötzlich meint, Opernsänger werden zu müssen.

Eichhorst: Daraus würde natürlich nichts. Man kann niemandem empfehlen, ins kalte Wasser zu springen und danach unterzugehen. Beim beruflichen Neustart ist Realismus gefragt – man sollte schon den Weg kennen, der zum neuen Ziel führt. Dabei dürfte es vorteilhaft sein, bereits erworbene Kompetenzen und Fertigkeiten nutzbringend in den neuen Beruf einzubringen.

Die IG Metall hat im Frühjahr 2015 für die Stahl- und Elektroindustrie einen Rechtsanspruch auf Bildungsteilzeit durchgesetzt, der auch der Generation 40 plus neue berufliche Chancen außerhalb der Branche eröffnen soll. Ein zukunftsweisender Weg?

Eichhorst: Ich kann keine Zwischenbilanz der Bildungsteilzeit ziehen. Aber generell ist dieses Modell schon deshalb sinnvoll, weil wir davon ausgehen müssen, dass nicht sämtliche Arbeitsplätze in der Metallindustrie langfristig gesichert sind. Grundsätzlich ist alles gut, was Weiterbildung im Berufsleben erleichtert und damit den Horizont der Beschäftigten erweitert – letztlich auch mit Blick auf eine berufliche Neuorientierung.

Sollten beruflich gefrustete Angehörige der Generation 40 plus sich nicht einfach schriftlich auf Stellenangebote bewerben, die ihnen sympathischer als der eigene Job erscheinen?

Eichhorst: Das können sie natürlich tun. Allerdings müssen sie damit rechnen, dass ihre anonyme Bewerbung allein wegen des Alters beim Adressaten im Papierkorb oder elektronischem Mülleimer landet. Wenn man älter als 50 Jahre ist, wird es ganz schwierig. Ich würde statt der Papierform eher auf persönliche Netzwerke setzen oder eine Jobmesse besuchen. Dort können gerade ältere Arbeitnehmer mit der eigenen Persönlichkeit überzeugen.

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