100 Jahre Familienbetrieb Die Haribo-Familie

Haribo ist nicht nur seit 100 Jahren Familienbetrieb. Auch manche andere Familie aus Bonn und der Region ist dem Goldbären & Co seit Generationen verbunden. Das passt ins Bild: Denn als Ausbildungsbetrieb setzt Haribo konsequent auf Nachhaltigkeit

100 Jahre Familienbetrieb: Die Haribo-Familie
Foto: Benjamin Westhoff

Einfach die Urstadtstraße geradeaus und dann links. Alternativ geht es auch den Langwartweg entlang und dann rechts herum: In der Mittagspause ist Karl-Heinz Lohmüller immer zu Fuß die 300 Meter vom Bonner Haribo-Werk nach Hause gelaufen. Dort wartete bevorzugt deftige rheinische Küche auf dem Tisch als willkommener Kontrast zu den Süßigkeiten im Werk, die Lohmüllers Arbeitsalltag bestimmten. „Wir Kinder haben den Vater immer schon hinter dem Fenster erwartet“, erzählt Lohmüllers Sohn Andreas. Haribo gehörte damals im Hause Lohmüller immer irgendwie zur Familie. Und so ist es geblieben. Zwar hatte Andreas selbst nach Abitur und Bundeswehrzeit zuerst andere Pläne. Aber dann hat der Junior von Paul Riegel ein Angebot bekommen, als „Feuerwehrmann für alles“ in der Produktion anzufangen, das er auf keinen Fall ausschlagen wollte.

Es gibt etliche Familien in Bonn und der Region, die seit Jahrzehnten eng mit dem Familienunternehmen Haribo verbunden sind. Darunter sind nicht nur Rheinländer, sondern auch viele ehemalige Gastarbeiter aus früheren Anwerbestaaten in Südeuropa, der Türkei, Marokko und Tunesien. „Auch wenn es sonntags beim Fußball auf dem Sportplatz in Dottendorf hart zuging, waren wir spätestens Montagfrüh am Werkstor wieder ein Team“, sagt Andreas Lohmüller.

Dabei ist die Chance auf eine Stelle kein Erbrecht oder Selbstläufer. Jede Generation muss sich jedes Mal aufs Neue beweisen, um ihren Platz im Unternehmen zu finden. Bei der Familie Lohmüller war es Karl-Heinz, der 1950 als erster ins Unternehmen kam. Die Menschen in der gerade gegründeten Bundesrepublik standen damals am Beginn der „Wirtschaftswunderjahre“. Nach den Rationierungen der Nachkriegszeit kamen allerorten Mettigel, Sonntagsbraten mit Rahmsoße, Götterspeise und Buttercremetorte auf den Tisch. Auch Süßwaren standen bei Klein und Groß hoch im Kurs. Lohmüller war gelernter Bäcker. Bei Haribo wurde der 19-Jährige aber zuerst als Lackierer benötigt. Doch schon bald lernte er in der Lakritz-Küche dazu, dann in der Dragee-Herstellung und den Gießabteilungen. Dabei wurden zwei wichtige Menschen auf ihn aufmerksam: Einerseits war es Paul Riegel, der die Produktion steuerte und Lohmüller schließlich zum Betriebsleiter im Bonner Werk beförderte. Andererseits war es Ruth aus der Fruchtgummi-Gießerei, die ihn heiratete. Die Ehe hält bis heute. Die Liaison mit Haribo dauerte immerhin 44 Jahre. Im April 1994 ging Karl-Heinz Lohmüller in den Ruhestand. Vorher nahm er noch die 94 Tage verbliebenen Resturlaub.

Nur einer war nur kurz bei der Abschiedsparty für den verdienten Haribojaner: sein Sohn Andreas. Paul Riegel machte ihn schließlich am Arbeitsplatz des Vaters im Büro ausfindig und sagte ihm: „Sie sitzen schon am richtigen Platz und sind noch jung. Ich schaue mir für ein halbes Jahr an, wie Sie den Job Ihres Vaters machen, und wenn Sie es gut machen, sind Sie der neue Werkleiter.“ Den Werkleiter-Posten hat Andreas Lohmüller dann auch 20 Jahre ausgeübt, bis eine neue Herausforderung auf ihn zukam. Schon als Schüler hatte er in den Ferien bei Haribo gejobbt. „Du kannst jeden Urlaub machen, aber du musst ihn selbst bezahlen“, hatte Vater Karl-Heinz ihn dazu motiviert. 1985 hatte Andreas dann ähnlich wie sein Vater 35 Jahre zuvor mit einem Sack Dextrose für die Fruchtgummimasse in der Produktionsküche angefangen. Eigentlich wollte er ins kreative Fach gehen und Grafik-Design studieren. Aber dann kam Paul Riegel mit der Idee für ein Trainee-Programm um die Ecke. Lohmüller junior schlug ein. Monatelang lernte er Lakritz kochen, maschinell Formen prägen, Fruchtgummimassen färben und aromatisieren und die Figuren gießen. Kurz, die Haribo-DNA ging ihm in Fleisch und Blut über. Und er wurde zum Multiplikator. Ob in Linz in Österreich oder in der Provence in Frankreich – wo immer neue Werke hinzukamen, brachte Andreas Lohmüller als Entsandter aus Bonn sein Haribo-Rezeptbuch mit. Andreas Lohmüller ist nach einiger Zeit in anderen Haribo-Werken seinem Vater in Bonn immer mehr zur Hand gegangen. Noch bei jenem denkwürdigen Treffen im April 1994 hat Paul Riegel den erst 30-Jährigen dann konsequenterweise zum Nachfolger bestimmt. Eine Tellerwäscher-Karriere made in Kessenich. Später übernahm er in der Unternehmens-Holding die neu geschaffene Leitungsstelle für internationale Entwicklung und Rezepturen. „Man gab mir einen Tag Bedenkzeit“, erinnert er sich, „aber was gab es da zu überlegen“.

Noch heute hält der Alltag für den 57-Jährigen wie für andere Mitarbeiter bisweilen Überraschungen und Prüfungen bereit. Es ist eben wie in einer großen Familie. Da wird auch mal gestritten – und geneckt. „Im Bonner Werk haben mir die Kollegen im Vorbeigehen oft die neue Musterware – von der es immer nur eine Handvoll gibt – vom Tisch weggenascht. Auf Dauer war das wirklich anstrengend. Und da hatte ich eine Idee: Als Fischverabscheuer bestellte ich Fischaroma und ließ Produktstücke in Fischform gießen. Als die lieben Kollegen dann mal wieder bei den ,Musterprodukten‘ zugriffen und ihr Gesicht verzogen, hab ich mich schlappgelacht. Ab da klaute dann keiner mehr die Musterware von meinem Tisch“, erinnert sich Lohmüller lachend und ergänzt: „Ein Glück, dass wir eigentlich nur Süßes und Saures herstellen“.

Mit der Zeit hat Haribo seine Ausbildungsangebote immer weiter professionalisiert. Ausgebildet wird für den eigenen Bedarf. Eine sehr gute Betreuung durch die Ausbilder, ein ausgeklügeltes Patensystem in den jeweiligen Abteilungen, eine perfekte Prüfungsvorbereitung für bestmögliche Ergebnisse sowie ein ansprechendes Ausbildungsgehalt und viele weitere Sozialleistungen machen Haribo als Ausbildungsunternehmen interessant. Und das in kaufmännischen und IT-Berufen ebenso wie bei klassischen technischen Berufen oder in der Lebensmitteltechnik. Die Chancen auf Übernahme sind sehr gut, „denn unsere top-ausgebildeten Nachwuchskräfte, in die wir gerne Zeit und Mühe investieren, möchten wir natürlich später unternehmensintern einsetzen“, sagt Andreas Lohmüller.

Als einer der Ersten hat im Jahr 2011 sein eigener Neffe Hans-Jürgen Lohmüller die Ausbildung zur neuen Fachkraft für Lebensmitteltechnik angetreten. „Mir wurde da echt nichts geschenkt“, verrät der heute 39-Jährige, der wie seine Großeltern und sein Onkel in Dottendorf wohnt. Um sich selbst zu beweisen, ist er fern der Verwandtschaft im Solinger Werk eingesetzt worden und dort inzwischen vom Maschinenführer und Abteilungsleiter zum Produktionsplaner mit erweiterten SAP-Kenntnissen aufgestiegen. Der Name der Familie sei wie eine Verpflichtung, jeden Tag das Beste zu geben, meint er. Schon deshalb, weil man sich am Wochenende beim Kaffeetrinken im Familienkreis regelmäßig über neue Produkte oder News aus der Haribo-Welt unterhält.

Ob auch Andreas Lohmüllers Sohn Niklas irgendwann bei Haribo landet, ist noch nicht zu sagen. Im Moment hat der 20-Jährige andere Pläne. Aber in den Ferien hat auch er schon mal im Unternehmen ausgeholfen. „Ich habe ihm gesagt, du kannst überallhin in Urlaub fahren“, lacht Andreas Lohmüller mit Schalk in den Augen, „aber verdienen musst du ihn selbst“.

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