Bad Neuenahr Diskussion über die Herausforderungen von "Demografie und Pflege"
BAD NEUENAHR · Krankenschwestern, die den Rollator über den Krankenhausflur schieben und wegen ihres eigenen Alters so Essen, Medikamente und Gerätschaften zu ihren noch älteren und gebrechlicheren Patienten bringen müssen. Schon das Bild auf Plakat und Begleitbroschüre zum Seminar "Demografie und Pflege im Kreis Ahrweiler" war provokant. Und das Thema bot durchaus "ethischen Sprengstoff".
Das konstatierte im Verlauf des Abends mit fünf Vorträgen und Diskussionen zwischen Fachleuten und Laien im Bad Neuenahrer Krankenhaus Maria Hilf auch Moderatorin Karin Reicherz von der Marienhaus Akademie, als es um eine "personalisierte Medizin" als möglichen Ausweg aus dem Pflegedilemma in einer überalterten Gesellschaft ging. Dabei könne in nicht allzu ferner Zukunft per Massendiagnostik durch Gentests herausgefunden werden, wer im Alter voraussichtlich eine Prävalenz für welche Krankheit(en) aufweist, so dass jeder schon in jüngeren Jahren gezielt gegensteuern könne.
"Was nimmt uns dieses Wissen an Lebensqualität? Bedeutet nicht manche Krankheit auch eine andere Sinnfindung? Und: Was soll das bei der Prognose Demenz bringen?", lauteten die kritischen Stimmen. Es seien auch bei der Aids-Behandlung Fortschritte gemacht worden, die noch vor Jahren unvorstellbar gewesen seien, war die Antwort.
Unstrittig war für Redner und Zuhörer der gut besuchten Veranstaltung, dass neben der Energiewende die Überalterung das größte Problem sei, vor der Deutschland steht. Zusammenfassen lassen sich die besonderen Herausforderungen so: Weniger Menschen überhaupt und weniger Pflegende, deren Durchschnittsalter wegen des mangelnden Nachwuchses zudem noch steigt, werden künftig in immer kürzerer Zeit mehr und immer kränkere Patienten behandeln müssen, wenn nicht drastisch gegengesteuert wird. Gründe dafür seien die Demografie und wirtschaftliche Zwänge: Der Abbau von Krankenhäusern, weniger Betten und als Folge kürzere Verweildauer der Patienten in Kliniken sowie mehr Bürokratisierung und Leistungsdruck. Aber auch zunehmende Technisierung und komplexere Krankheitsbilder.
Laut Thomas Lepping, Chefarzt der Akutgeriatrie und Frührehabilitation, wird die Krankheitsrate (Morbidität) von 2015 bis 2025 von fünf auf 15 Prozent steigen. Eine zunehmende Rolle spielten künftig kardio-vaskuläre sowie neurodegenerative Erkrankungen wie Hypertonie, Diabetes, Herzinsuffizienz, Parkinson und Demenz.
"Wir spüren Fachkräftemangel bisher schon im ärztlichen Dienst, aber die Pflege hat bereits deutlich aufgeholt und wird diesen noch überrunden", prognostizierte Marienhaus-Klinikum-Geschäftsführer Christof Schenkel-Häger. Sechs Prozent weniger Ausbildungsplätze in der Pflege im Jahr 2012 in Deutschland stellte Pflegedirektor Blerim Hetimi eine Steigerung der Pflegebedürftigen von heute knapp zwei auf vier Millionen im Jahr 2050 gegenüber.
Unterstrichen wurde das von Landrat Jürgen Pföhler, der in seinem Grußwort anmerkte, dass Pflegekräfte im Krankenhaus bereits jetzt ihrem Beruf durchschnittlich nach 14 Jahren den Rücken kehrten, in der Altenpflege sogar schon nach 8,5 Jahren. Das rasant gesteigerte Arbeitstempo und immer mehr Aufnahmen und Entlassungen durch die kürzere Verweildauer, empfand Stationsleiterin Bettina Scherer als besonders belastend. Auch angesichts weniger junger Menschen müsse es einerseits gelingen, viel stärker als bisher die Pflegekräfte gesund und zufrieden im Beruf zu halten und andererseits den Pflegeberuf für junge Leute attraktiv zu gestalten, sagte Birgit Schmid von der Marienhaus Akademie.