"Apokalyptisch" Doppeltes Erdbeben bringt Italien die Angst zurück

Rom · Wie ein Fluch liegen die Naturgewalten über dem Zentrum Italiens. Fast exakt zwei Monate nachdem ein schweres Erdbeben mehreren Orten Verwüstung und Tod gebracht hat, bebt es wieder, ähnlich stark. Was es wirklich angerichtet hat, wird erst bei Tageslicht sichtbar.

Sie sind sowieso schon verunsichert, verängstigt, getroffen von dem Erdbeben vor zwei Monaten. Nun wiederholt sich der Schrecken für die Menschen in Mittelitalien.

Die Erde bebt schon wieder und dieses Mal gleich mehrfach. Erst mit einer Stärke von 5,5. Wenig später folgt ein noch kräftigeres Beben von etwa 6.

Das Zentrum liegt am Mittwochabend nur etwas weiter nördlich der Gegend, die bei dem Erdstoß vom 24. August - der ebenfalls eine Stärke dieser Größenordnung hatte - verwüstet wurde und fast 300 Tote zu beklagen hatte. Doch wenige Stunden danach lautet die Einschätzung vom Zivilschutz: Die Situation sei "weniger dramatisch als gedacht".

Ein Todesopfer wird in der Nacht bekannt. Die Carabinieri berichten von einem 73-Jährigen, der offenbar wegen des Erdbebens einen Herzinfarkt erlitt und starb. Der Zivilschutz bestätigt einen Verletzten, die Kommunen sprechen von einigen Leichtverletzten.

War es Glück im Unglück? Waren die Menschen angesichts der Uhrzeit ohnehin draußen - oder wegen des ersten Bebens beim zweiten Erdstoß bereits auf der Straße? Das wirkliche Ausmaß wird wohl erst bei Tagesanbruch zu sehen sein: Denn im Ort Ussita in den Marken spricht der Bürgermeister bereits nach dem zweiten starken Beben von "apokalyptischen" Szenen. "Die Gegend unseres Ortes ist am Ende", sagt Marco Rinaldi einem TV-Sender. Obwohl auch dort noch nicht klar ist, was das Erdbeben wirklich angerichtet hat, Rinaldi sagt: "Wir sind auch wirtschaftlich am Ende. (...) Welchen Morgen haben wir?"

Auch in der kleinen pittoresken Stadt Visso müssen sich schlimme Szenen abgespielt haben. "Die Wände sind über mir zusammengestürzt (...) Ich bin geflüchtet, und alles war staubig. Die Leute haben geschrien", berichtet eine Frau der Nachrichtenagentur Ansa. In der Stadt brechen Menschen in Panik aus, weinen.

Zuhause bleiben in der verregneten, kühlen Nacht die wenigsten. Im kommunalen Einsatzzentrum versuchen sich beunruhigte, müde Bürger von dem Schock zu erholen. Auf die Frage eines Fernseh-Teams, ob sie fürs Erste dort bleibe, fragt eine Frau zurück: "Was soll ich sonst tun?"

"Es schien so, als hätte sich die Sache beruhigt", sagt ein älterer Herr. "Die Häuser hier sind einfach. Es kommt alles zusammen." Bürgermeister Giuliano Pazzaglini ist gefasst, sagt aber auch: "Die einzige Sicherheit ist, dass man die Erdbeben nicht vorhersehen kann."

Der Bürgermeister von Castelsantangelo, das Dorf mit etwa 300 Einwohnern liegt am nächsten zum Zentrum des Bebens, erzählt von beträchtlichen Schäden. Der Ort habe keinen Strom, liege im Dunkeln, es regne. "Wir warten darauf, dass Gott sich beruhigt", so Mauro Falcucci laut Ansa. "Das historische Zentrum ist in eine Staubwolke gehüllt." Viele Häuser seien aber seit dem Beben im August nicht bewohnbar gewesen, was ihm Hoffnung gebe, dass keine Opfer zu beklagen seien.

Selbst im mehr als 120 Kilometer entfernten Rom wackeln Wände und Tische, Menschen rennen erschrocken auf die Straße, es gibt Risse in Gebäuden. Sogar das Außenministerium wird evakuiert.

Eines ist sicher: Die Angst ist zurück. Wenn sie überhaupt seit dem Schrecken vom August gewichen ist. Denn Orte wie Amatrice, Accumoli und Arquata del Tronto - letzterer liegt nur 25 Kilometer Luftlinie von dem jetzigen Zentrum entfernt - leben wie die gesamte erdbebengefährdete Gegend in den letzten Wochen und Monaten mit ständigen Nachbeben. Immer wieder sind auch stärkere darunter - bisher war aber keines so stark wie das jetzige. Geologen halten einen Zusammenhang mit dem Erdstoß im August für sehr wahrscheinlich.

"Natürlich weckt das wieder die Angst", sagt der Bürgermeister von Amatrice, Sergio Pirozzi. Seine Stadt liegt immer noch in Schutt und Asche. Erst vor kurzem wurden die Zeltstädte abgebaut. Viele Menschen leben in Wohnwagen oder Zelten in Gärten oder in Notunterkünften andernorts. Jetzt sollen hier wieder einige Unterkünfte für mögliche neue Opfer geöffnet werden.

Damals kam der Erdstoß der Stärke 6,2 mitten in der Nacht, viele Menschen wurden in ihren Betten begraben, hatten keine Zeit mehr, nach draußen zu laufen. Dieses Mal war es kurz nach 19.00 Uhr, als der erste Stoß die Menschen aufschreckte. Wieder trifft es eine bergige Region rund um den Nationalpark Monti Sibillini. Der Bürgermeister von Ussita sagt, ihm mache lediglich Hoffnung auf weniger Opfer, dass die Menschen zum Zeitpunkt des Erdbebens auf die Straße laufen konnten.

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