Unterwegs mit dem Nachtwächter in Königsfeld Durch die Pfaffen-Porze

KÖNIGSFELD · Zum zehnjährigen Bestehen der historischen Wegweiser an den Häusern in Königsfeld hat Nachtwächter Karl-Heinz Kurth einen besonderen Rundgang organisiert.

 Nachtwächter Karl-Heinz Kurth in Königsfeld: Zwölf ist das Ziel der Zeit.

Nachtwächter Karl-Heinz Kurth in Königsfeld: Zwölf ist das Ziel der Zeit.

Foto: Martin Gausmann

"Liebe Leut' lasst Euch sagen..." - Nachtwächter Karl-Heinz Kurth war in seinem Element. Zum zehnjährigen Bestehen der historischen Wegweiser an den Häusern in Königsfeld hatte er einen besonderen Rundgang organisiert. Er führte nicht nur an entlegene Orte im Dorf, sondern hatte auch für jeden Winkel eine passende Geschichte parat. Zahlreiche Besucher - darunter Ortsbürgermeister Hans-Josef Zipp und Verbandsbürgermeister Johannes Bell - waren der Einladung gefolgt.

"Denkt der sieben Worte nach, die der Herr am Kreuze sprach", sagte der Nachtwächter bei klirrender Kälte, aber bester Laune. Zahlreiche Besucher hatten sich im Schatten der Pfarrkirche versammelt. Die Stimmen hallten durch den sternklaren Abend. Ist der Dorfkern heute auch ausschließlich beschauliches Wohngebiet - kaum ein Auto störte den Nachtwächter -, so erwachten doch die alten Betriebe und Verwaltungsstätten in den Geschichten zu neuem Leben. Wo in entkernten und frisch renovierten Häusern das Leben stattfindet, pulsierte Jahrhunderte lang das öffentliche Treiben.

Mit Hammerklang wurden in der Alten Schmiede Pferde beschlagen, zähneknirschend die Abgaben für das Reich im Zehnthof eingetrieben, und der frisch eingesetzte Bürgermeister stand in Streit mit dem Pfarrer, der ihm dafür mal eben das Haus wegnahm und damit nach Niederzissen vertrieb. Vor den Augen der Zuhörer baute sich die 1830 abgerissene Wasserburg wieder auf, die einst über das Vinxtbachtal geblickt hatte, gesäumt von zahlreichen Weihern. Aus dem letzten erhaltenen Bruchstein entstand wieder das Nordtor, "Pfaffen-Porze" genannt. Beim Gang durch die "Krumme Gasse" erlebte auch das jüdische Königsfeld eine Auferstehung. Früher war Levi kein unüblicher Name in Königsfeld. Jüdische Kinder gingen in das "Judenschule" genannte Bethaus, im eigenen Schächtbetrieb wurden die rituellen Schlachtungen vollzogen. Heute halten nur noch der jüdische Friedhof und einige Hinweistafeln die Erinnerung daran aufrecht.

"Habet acht auf Feuer und das Licht, dass unserer Stadt kein Leid geschieht", rief der Nachtwächter seinen Zuhörern zu. Das Jahr 1710 stellte eine Zäsur in der Geschichte des Ortes dar.

In jenem Jahr brannten zahlreiche Häuser bis auf die Grundmauern nieder, und sogar die Nikolaus-Kirche musste mit einer abenteuerlichen Balkenkonstruktion gestützt werden. Nachtwächter wurden damals als Hüter über das Feuer in der Stadt gestärkt. So hatte die Gruppe schon den Experten an der Hand, als Karl-Heinz Kurth Pechfackeln zur besseren Ausleuchtung verteilte.

Auch jenseits von Katastrophen gab es Konflikte aller Art, die der Nachtwächter in Erinnerung rief.

Als sich die Nachkommen Gerhards von der Landskrone über den Besitz der Stadt nicht einigen konnten, wurde die Stadt in drei Bezirke geteilt, jeder mit eigenem Gefängnis. Des Weiteren forderten die Anwohner beim Neubau der Kirche eine Empore, diese wurde aber aufgrund eines bestimmten Pfeilers nicht genehmigt. So wurde schließlich dermaßen lange an dem Pfeiler herumgewerkelt, bis dieser rein zufällig umstürzte. Das zustimmende Schmunzeln in der Gruppe zeigte: Den Königsfeldern ist bis heute Praxisnähe kein Fremdwort.

Die Aufgabe des Nachtwächters war es, nachts durch die Straßen und Gassen der Stadt zu gehen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Er warnte die schlafenden Bürger vor Feuern, Feinden und Dieben. Er überwachte das ordnungsgemäße Verschließen der Haustüren und Stadttore, und häufig gehörte es auch zu den Aufgaben des Nachtwächters, die Stunden anzusagen. Er hatte das Recht, verdächtige Personen, die nachts unterwegs waren, anzuhalten, zu befragen und notfalls zu verhaften. In Königsfeld blieb alles ruhig. Karl-Heinz Kurth brauchte nicht einzugreifen und konnte sich dem Verkünden der Uhrzeiten widmen.

Um Mitternacht hieß es: "Hört, ihr Leut, und lasst euch sagen: Unsere Glock hat zwölf geschlagen! Zwölf, das ist das Ziel der Zeit! Mensch bedenk' die Ewigkeit!"

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