Holocaust-Gedenktag in Ahrweiler Ein erschütternder letzter Brief

AHRWEILER/SIEGBURG · Judaismusforscher Matthias Bertram hat Dokumente einer jüdischen Familie aus Ahrweiler und Siegburg gesammelt. Sie dokumentieren das Leid der Juden während der Nazizeit.

„Geliebte Tochter! Hoffen Dich gesund; wir sind es auch noch. Am 20. Juli werden wir nach dem Osten abreisen und nicht mehr schreiben können. Behalte Mut und Gottvertrauen. 1000 Küsse, Vati und Mutti.“ Es war Max Heli, der diese Zeilen gemeinsam mit Ehefrau Cäcilia, genannt Illa, am 18. Juli 1942 als letztes Lebenszeichen an seine Tochter Alice Heli in England verfasst hat. Geschrieben hat er sie in Siegburg, von wo aus die Familie über Köln zur Vernichtung in den Osten transportiert wurde. Der erschütternde letzte Brief ist auf einem Vordruck des Auslandsdienstes des Deutschen Roten Kreuzes verfasst worden.

Das Original ist im Besitz von Meir Heli, der als orthodoxer Jude in Jerusalem lebt und es über den Ahrweiler Judaismusforscher Matthias Bertram dem General-Anzeiger für den heutigen Holocaust-Gedenktag zur Verfügung stellt. Max und Illa Heli stammten aus Ahrweiler, waren Mitglieder einer wohlhabenden Familie, deren Mitglieder auch in Dernau wohnten. Sie sind die Großeltern von Meir Heli gewesen.

Großmutter Illa war nach ihrer Hochzeit mit Max Heli nach Siegburg gezogen. Nachdem ihnen von den Nazis die Berufsausübung nahezu unmöglich gemacht wurde, schafften sie es 1939, ihre Kinder Manfred und Alice mit einem der letzten Kindertransporte nach England zu retten. Max und Illa wurden im Juli 1941 gezwungen, mit anderen in das Judenhaus in der Brandstraße 44 in Siegburg zu ziehen. Am 20. Juli 1942 wurden Max und Illa über das Lager Much zu den Messehallen nach Köln und von dort nach Minsk deportiert. Ein von diesem Tage nur zufällig erhaltenes Foto, das in Besitz von Matthias Bertram ist, zeigt, wie die Aktentasche von Max Heli von einem Gestapo-Beamten durchsucht wird. Es war das letzte Bild von ihm.

Haus wurde 1906 erbaut

Das Stammhaus der Familie steht an der Ahrweiler Niederhutstraße. Es wurde 1906 von Meirs Urgroßvater Josef Heymann erbaut. Dort lebte Illa mit Mutter Meta und ihren Schwestern Rosalie, Sophia, Bertha und Bruder Moses. „Alle wurden mit Teilen ihrer Familie von den Nazi-Schergen deportiert und ermordet“, berichtet Bertram in seinem Buch „In einem anderen Land“, das eine Art Aufarbeitung der jüdischen Geschichte im Ahrtal ist.

Überlebt hat den Holocaust Meirs Großmutter Meta Heymann, über deren forschen Umgang mit den Nazis verbriefte Begebenheiten Zeugnis ablegen. Sie war Witwe des Kaufmanns Moses Heymann (1886-1933) und nach der NS-„Machtergreifung“ zunehmend Repressalien ausgesetzt, weil die Ahrweiler Kunden trotz Verbotes immer noch in ihrem Geschäft an der Niederhutstraße einkauften. In Ruhe gelassen wurde die streitbare Witwe von dem braunen Mob erst, als sie die Offiziersuniform ihres Mannes aus dem Ersten Weltkrieg mit dem Pour le Mérite, dem höchsten Orden des Kaiserreiches, in ihrem Schaufenster ausstellte. Den Orden hatte sich Moses Heymann auf den Schlachtfeldern in Flandern und vor Verdun verdient. Daneben ein Schild: „Das taten wir für Deutschland.“ Josef Heymann war unter anderem Mitglied des Stadtrates von Ahrweiler gewesen. Witwe Heymann verkaufte am 23. März 1938 ihr Haus und flüchtete mit dem Erlös nach Jerusalem. Meta Heymann, geborene Gottlieb, hatte einen Neffen, Fred Gottlieb. Dieser veröffentlichte später in den USA sein Buch „My Childhood in Siegburg 1928-1939“.

Ausschluss jüdischer Mitglieder

Die ersten Schikanen hatte Meta Heymann bereits ganz zu Beginn der Nazi-Diktatur von den „ersten Damen“ der Kreisstadt erfahren. Sie wurde in der Sitzung des „Vaterländischen Frauenvereins“ am 7. März 1933 ausgeschlossen. Seit 1925 war sie Mitglied des in diesem Jahr neugegründeten Vereins, hat Kreisarchivar Leonhard Janta recherchiert. Die Situation im Verein nach der „Machtergreifung“ verdeutlicht das Protokoll der Sitzung, das im Kreisarchiv liegt: „Es wird vorgeschlagen, die Neuwahl einer Vorsitzenden sowie der Schriftführerin hinauszuschieben, bis sich die politische Lage geklärt und beruhigt hat.“ Der Ausschluss jüdischer Mitglieder hatte begonnen.

Und im Ahrweiler Kreishaus zog mit Landrat Peter Simmer am 16. Februar 1934 ein Nazi ein. In seinem ersten Bericht an die Staatspolizeistelle Koblenz führte der neue Landrat über den „Stand der Judenfrage“ am 8. März 1934 aus, dass „sich die Juden inzwischen weitgehend vom öffentlichen Leben fernhielten. Falls sie dennoch teilzunehmen versuchten, so wurden sie von Mitgliedern der NSDAP daran gehindert“. Der Terror hatte seinen Anfang genommen. Die Schoah forderte letztlich sechs Millionen Menschenleben.

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