CDU in der Griechenlandkrise Eine unklare Gefechtslage

Die Union macht neue Erfahrungen. Politik kann wehtun, Entscheidungen können schwerfallen. Die Griechenlandkrise verursacht feine Risse im Koalitionsgefüge.

 Ist Schäuble für Merkel entbehrlich? Zumindest der Finanzminister kokettiert mit seinem möglichen Rücktritt. Die Meinungsverschiedenheit mit der Kanzlerin zum Grexit schwelt weiter.

Ist Schäuble für Merkel entbehrlich? Zumindest der Finanzminister kokettiert mit seinem möglichen Rücktritt. Die Meinungsverschiedenheit mit der Kanzlerin zum Grexit schwelt weiter.

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Freundlich ist es in Berlin. Ein milder Sommerhauch bläht die Flaggen über dem Reichstag. Nur in den Zimmern der Macht ist es gerade ziemlich frostig.

Schroff zu sein, mitunter gar schneidend kalt, gewürzt mit einem beißend-brillanten Hauch ätzender Ironie - auf diese Rolle hat im Berliner Politikbetrieb Wolfgang Schäuble ein Monopol. Jedenfalls, wenn man dem gängigen Bild folgt. Aber Angela Merkel ist ebenfalls in vielen Rollen gut. Doch, doch, eiskalt abtropfen lassen - das hat auch sie im Repertoire. Und am Wochenende hat sie eine bemerkenswerte Talentprobe hingelegt.

In einem raunenden Interview hatte der Finanzminister so eine Andeutung gemacht. Gefragt wurde, ob er mit der Kanzlerin Meinungsverschiedenheiten über den Griechenlandkurs habe. Nicht doch, sagt Schäuble. Kanzlerin und Finanzminister hätten eben ihre eigenen Rollen, und Politiker ihre "Verantwortung aus ihren Ämtern". So weit, so harmlos. Aber dann zwei Hammersätze: "Zwingen kann sie niemand. Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten." Schäuble unterlaufen solche Formulierungen nicht. Was er gesagt hat, ist eine Warnung. An die Kanzlerin.

Und was macht Merkel? Bleibt nichts schuldig: "Bei mir hat niemand um Entlassung gebeten", sagt sie schnippisch. Überhaupt habe sie jetzt nicht die Absicht, diese Diskussion weiterzuführen. "Der Finanzminister wird jetzt genauso wie ich Verhandlungen führen." Ein kühler Kanzlerkonter. Ein Ordnungsruf. Sie gibt die Richtlinien vor. Sie allein.

Ein sanfter Ritt

Der Fraktion schaudert es. Das Regieren unter der Kanzlerin Merkel war für die Unionsabgeordneten seit 2005 ein sanfter Ritt. In ihrer ersten großen Koalition führte Merkel mit sicherer Hand durch die Finanzkrise. Und die vergangene Legislaturperiode mit dem Juniorpartner FDP war - sind wir ehrlich - eine Zeit gepflegter Langeweile. Die Beliebtheit der Kanzlerin sicherte Ruhe im Wahlkreis und die intellektuelle Schärfe Schäubles gab das wohlige Gefühl, auch inhaltlich auf ganz sicherem Boden zu stehen.

So war es und ist es nicht mehr. Griechenland hat alles verändert. Die Unionsabgeordneten machen neue Erfahrungen: Politik kann wehtun. Entscheidungen können schwerfallen und das Gewissen kann beißen. Und jetzt auch noch das: diese feinen Risse im Gefüge der Macht. Merkel will die Griechen um jeden Preis im Euro halten. Und Schäuble? Im Prinzip auch. Aber nicht um jeden Preis. Lieber Grexit als ein Aufweichen aller Grundsätze von Haushaltsdisziplin und Verlässlichkeit. So muss man ihn wohl verstehen. Die Kompassnadel der Abgeordneten beginnt zu oszillieren - da ist Spielraum zwischen Merkel und Schäuble. Spielraum? Man könnte auch sagen eine Kluft. Ein wachsender Spalt. Dazwischen ein Abgrund, der Angst machen kann.

Längst ist eine unklare Gefechtslage entstanden. Fraktionssitzung am vergangenen Donnerstag. Der Tag vor der Bundestagssitzung, in der über die Verhandlungen zu einem weiteren Hilfspaket für Athen entschieden werden soll. Viele Abgeordnete sind noch unentschlossen. Merkel beginnt. Nüchtern wie immer legt sie die Alternativen da. Erste Prämisse, zweite Prämisse - gezogener Schluss. Wie im Logik-Seminar. Dann Schäuble. Die Zweifler hoffen. Möge doch wenigstens der Finanzminister, ein Erz-Europäer wie er im Buche steht, werben für das Paket, mit Herz und Leidenschaft, damit diese nagenden Zweifel verschwinden. Was dann passiert, beschreibt ein Teilnehmer so: "Nüchtern wie ein Buchhalter, ohne Engagement und sehr formalistisch" habe der Finanzminister vorgetragen. Seine Rede, wohlgemerkt mit dem Ziel, Zustimmung für das Paket zu sammeln, facht alle Zweifel neu an. Nach zweieinhalb Stunden Debatte ist die Stimmung am Boden. Einer fasst den allgemeinen Eindruck so zusammen: "Restlos überzeugt vom Merkel-Kurs wirkte er nicht."

Der Kerneuropäer

Kann das sein? Glaubt Schäuble nicht an Merkels Kurs? Schäuble ist überzeugter, begeisterter Europäer. Kerneuropäer. Das ist der Punkt. Er hatte schon 1994 zusammen mit Karl Lamers ein Papier vorgelegt, das für eine EU eintrat, die "mehrere Geschwindigkeiten" zulässt. Ein fester Kern solle vorangehen. Dazu sollten Deutschland und Frankreich gehören. Interessant ist die Begründung dafür: Aufgabe des Kerns sei es, "den zentrifugalen Kräften in der immer größer werdenden Union ein starkes Zentrum entgegenzustellen". Und warum? Um "damit die Auseinanderentwicklung zwischen einer eher Protektionismus-anfälligen Südwest-Gruppe unter einer gewissen Anführung von Frankreich und einer stärker dem freien Welthandel verpflichteten Nord-Ost-Gruppe unter einer gewissen Anführung durch Deutschland entgegenzutreten".

Man könnte meinen, das Papier beschreibe den heutigen Status quo in der Union. Der Kern ist wichtiger als jeder einzelne Staat an der Peripherie. Wenn es so gemeint ist, dann kann sich Griechenland warm anziehen. Die Kanzlerin auch.

Die Führung ertragen

Schäuble hat einmal gesagt, eine seiner Stärken sei es, "Führung zu ertragen". Das war zu einer anderen Zeit. Und gemünzt war es auf Helmut Kohl, in einer untergegangenen Zeit, als die beiden noch miteinander reden konnten.

Mit Angela Merkel kann er immer reden. Es ist eine andere Beziehung. Kohl war es, der Wolfgang Schäuble förderte. Wolfgang Schäuble hat in gewissem Sinne Angela Merkel entdeckt. Er hat sie als Parteivorsitzender zur Generalsekretärin gemacht. Damals, als die Union im Spenden-Trauma versank. Sie sollte sozusagen ein Werkzeug sein zur Herstellung neuen Selbstbewusstseins. Heute ist Schäuble - politisch gesehen - ein Werkzeug zur Merkel'schen Machtsicherung. Sie braucht ihn. Die Fraktion schätzt Merkel, weil sie Wahlsiege garantiert. Aber Schäuble vertraut sie, weil sie seine intellektuelle Kraft respektiert. In dieser Situation Führung zu ertragen - erfordert vieles, auch Selbstverleugnung. "Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können", sagt Schäuble.

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