Bertelsmann-Studie Etablierten Parteien laufen die bürgerlichen Wähler weg

Gütersloh · Bei der Bundestagswahl schauten viele auf das Abschneiden der AfD. Laut einer neuen Studie gab es in der bürgerlichen Mitte die größten Verschiebungen - und eine neue Konfliktlinie.

 Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hat sich der Kampf um die politische Mitte "massiv verschärft".

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hat sich der Kampf um die politische Mitte "massiv verschärft".

Foto: Maurizio Gambarini

Die etablierten Parteien haben bei der Bundestagswahl laut einer Studie nicht nur am rechten Rand Wähler verloren, sondern auch massiv in der bürgerlichen Mitte. Demnach haben vier von zehn Wahlberechtigten dieser Gruppe ihre Stimme nicht gegeben oder die AfD gewählt.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh mit dem Titel "Populäre Wahl". Demnach verloren CDU/CSU in dieser Gesellschaftsgruppe bei der Wahl vor gut zwei Wochen 15 Prozentpunkte, während die AfD um den gleichen Wert zulegte.

"Die etablierten Parteien verlieren in der bürgerlichen Mitte deutlich an Terrain. Der Kampf um die Mitte hat sich massiv verschärft", erklärte der Autor der Studie, Robert Vehrkamp. Das hat Folgen für die Koalitionsbildung. Eine große Koalition aus Union und SPD würde demnach nur noch 42 Prozent und ein Jamaika-Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen nur 39 Prozent aller Wahlberechtigten aus der bürgerlichen Mitte repräsentieren.

Für die Studie hat die Bertelsmann-Stiftung die Wahlberechtigten in Deutschland in zehn Milieu-Gruppen unterteilt. Urheber dieser Definition ist das Sinus-Institut für Markt- und Sozial-Forschung. Das Milieu der bürgerlichen Mitte bildet dabei 13 Prozent aller Wahlberechtigten ab und steht laut Beschreibung für ein leistungs- und anpassungsbereites Bürgertum. Dabei bejaht diese Gruppe die gesellschaftliche Ordnung und wünscht sich, beruflich und sozial etabliert zu sein. Allerdings gibt es hier eine wachsende Überforderung und Abstiegsängste.

"In der bürgerlichen Mitte gibt es eine Erosion, darum müssen sich die etablierten Parteien kümmern. Sonst werden sie das verloren gegangene Terrain nicht wieder zurückgewinnen", sagte Studienautor Vehrkamp der Deutschen Presse-Agentur.

Nach Auswertung der Daten haben die Gütersloher Forscher eine neue Konfliktlinie der Demokratie ausgemacht. Die Wählerschaft ist demnach gespalten in die Skeptiker und Befürworter der Modernisierung. Diese Trennlinie hat das Wahlverhalten nach Überzeugung der Studienautoren entscheidend geprägt. Auf der einen Seite stünden Milieus, die sich mit Begriffen wie Tradition oder Besitzstandswahrung identifizierten. Für Milieus, die der Modernisierung offen gegenüber stehen, stünden Begriffe wie Grenzüberwindung und Beschleunigung.

"Die AfD wurde ganz überwiegend von Menschen gewählt, die der sozialen und kulturellen Modernisierung zumindest skeptisch gegenüberstehen", befand Vehrkamp nach Auswertung der Zahlen. 65 Prozent aller AfD-Wähler kommen aus Milieus, die eher modernisierungsskeptisch sind. Damit habe die AfD im Parteienspektrum ein Alleinstellungsmerkmal, heißt es in der Studie. Die Wähler aller anderen Parteien im Bundestag sind in der Mehrheit Modernisierungsbefürworter: Bei der CDU/CSU sind es 52 Prozent, bei der SPD 56, der FDP 59 und der Linken 62 Prozent. Spitzenreiter sind mit 72 Prozent die Wähler der Grünen.

Die Vorsitzenden der Linken, Katja Kipping, bezeichnete in einer Reaktion auf die Studie den Verlust der bürgerlichen Mitte und der prekären Milieus für die Volksparteien CDU und SPD als "das Erbe ihrer eigenen, zutiefst anti-sozialen Politik."

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