Analyse Fällt Merkel der Migrationspakt doch noch auf die Füße?

Berlin · Angela Merkel wirkt gelöster als bei früheren Generaldebatten im Bundestag. Unverhofft könnte sie aber auf dem Parteitag in gut zwei Wochen ein Problem bekommen - mit dem UN-Migrationspakt.

Es ist Angela Merkels erster größerer Auftritt im Bundestag seit der Ankündigung ihres Rücktritts auf Raten am 29. Oktober. Der Verzicht auf den CDU-Vorsitz und die Ansage, das sei ihre letzte Legislaturperiode als Kanzlerin, sollte eigentlich ein Befreiungsschlag sein.

Sie wollte wieder mehr Bewegungsfreiheit für das Regierungshandeln bekommen und sich nicht die ganze Zeit mit unionsinternen Querelen rumschlagen müssen.

Doch nun könnte ihr ein Problem auf die Füße fallen, das eigentlich gar kein so großes zu sein scheint - der Globale Migrationspakt. Die Kanzlerin geht am Mittwoch in der Generaldebatte über den Haushalt ihres Amts zunächst in ihrer bekannt unaufgeregten Art auf die künftigen Wohltaten der Regierung ein. Dann streicht sie die Digitalisierung wieder als große Zukunftsaufgabe heraus, sie blickt auf die Gedenktage zum Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren zurück und hebt die dringende Notwendigkeit einer europäischen Zusammenarbeit heraus - bis sie zum Thema Migrationspakt kommt. Und hier wird die Kanzlerin emotional.

Der Streit darum ist nach Überzeugung des CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt vor allem auf ein Kommunikationsversagen des Auswärtigen Amtes und dessen SPD-Ressortchef Heiko Maas zurückzuführen. Das Außenamt hat den Pakt in den Vereinten Nationen verhandelt, die gesamte Regierung aber hat es versäumt, ihn den Bürgern nahezubringen. So sei "der fatale Eindruck entstanden, die Regierung habe etwas zu verheimlichen", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dem "Cicero".

Man habe sehr wohl über den Pakt für Migration gesprochen, hält Merkel dem entgegen. Ein Ansatz der Vereinbarung sei, dass "sich Menschen verpflichten, überall mit Menschen vernünftig umzugehen". Grundsätzlich gelte: Flucht und Migration in der Welt müssten selbstverständlich international gelöst werden. "Entweder man gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken. Das ist Nationalismus in reinster Form. Das ist kein Patriotismus. Denn Patriotismus ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und Win-Win-Situationen akzeptiert."

Die AfD hatte die Debatte über den Migrationspakt angeheizt, ohne dass zunächst aus der großen Koalition eine nennenswerte Gegenreaktion kam. FDP-Chef Christian Lindner warnt in der Debatte, das Handelsabkommen TTIP sei von der politischen Linken durch Desinformation kaputt gemacht worden. "Das darf jetzt beim UN-Migrationspakt nicht von der politischen rechten Seite sich wiederholen."

Die Souveränität Deutschlands sei von dem Pakt nicht berührt, er sei nicht verbindlich, macht Merkel deutlich. Diesen Punkt greift AfD-Chef Alexander Gauland in der Debatte genüsslich auf. Der Pakt solle weltweite Migration ordnen, illegale Einwanderung eindämmen und das Schlepperwesen bekämpfen, heiße es. Aber "könnten Sie der Öffentlichkeit einmal erklären, wie das funktionieren soll mit einem völlig unverbindlichen Papier", fragte er in Richtung Regierungsbank.

Nicht weniger genüsslich verweist Gauland auf Kritiker im Lager der Kanzlerin. Spahn wolle auf dem CDU-Parteitag über den Pakt abstimmen lassen, sagt der AfD-Chef. Und der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer argumentiere, das Papier öffne Flüchtlingen Tür und Tor. "Hören Sie auf, Ihre Politik an Illusionen auszurichten", ruft Gauland Merkel zu.

Spahn, der sich um den CDU-Vorsitz bewirbt, lehnt den Pakt nicht grundsätzlich ab, wie er selbst sagt. Er sieht aber erheblichen Diskussionsbedarf, auch in der eigenen Partei. Dafür solle auf dem Parteitag in gut zwei Wochen in Hamburg Platz eingeräumt werden, meint er. Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) unterstützt Spahn, er forderte sogar eine Abstimmung über den Pakt auf dem Parteitag. Spahn, der während der Debatte auf der Regierungsbank kurz mit Merkel spricht, könnte die Gemengelage gelegen kommen, um im Rennen um den Parteivorsitz gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz aufzuholen.

Sollte es auf dem Parteitag in Hamburg wider Erwarten zu einer Abstimmung kommen - in der CDU scheint inzwischen ja vieles möglich - und das Abkommen dann in der jetzigen Form abgelehnt werden, hätte Merkel ein Problem. Der Pakt, mit dem die Vereinten Nationen erstmals Grundsätze für den Umgang mit Migranten festlegen wollen, soll nämlich schon wenige Tage später bei einem Gipfeltreffen in Marokko verabschiedet werden.

Dobrindt, ein Befürworter des Paktes, stellt in der Debatte schon mal klar: "Wie wir Migrationspolitik gestalten, entscheiden wir hier im Deutschen Bundestag und nicht woanders. Hier werden die Gesetze dafür gemacht. Und wir bleiben dabei: Wir wollen bei der Migration steuern und begrenzen." Und die Kanzlerin dürfte sich bei einer neuen Parteispitze ohnehin eher an die Unionsfraktion halten.

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