Feuilleton - Das Musical "The Black Rider"

Das Meisterwerk

Die "Frankfurter Rundschau" schwärmte von "wunderbaren Bildkompositionen", die "Süddeutsche" gar von einem musikalischen "Geniestreich". Dem Kritikerlob der deutschen Feuilletons stimmte in seltener Einhelligkeit auch das Publikum zu: Fürs Hamburger Thalia-Theater wurde das Musical "The Black Rider" nach der umjubelten Uraufführung am 31. März 1990 zu einem seiner größten Erfolge.

Lediglich der ortsansässige "Spiegel" rümpfte ob des Spektakels, das Robert Wilson effektvoll in expressionistischem Dekor inszenierte, die Nase: "Es ist die ,Cats'-Version für Intellektuelle und Snobs", mäkelte das Magazin.

So ganz falsch ist die Einschätzung gewiss nicht. Hamburg hatte sich im Jahr der "Black Rider"-Uraufführung als erste wirkliche Musical-Stadt in Deutschland etabliert.

Und Thalia-Intendant Jürgen Flimm war, als er den amerikanischen Regisseur und Bühnenmagier Robert Wilson den Auftrag für die vier Millionen Mark teure Musicalproduktion erteilte, an einem anspruchsvolleren Gegenentwurf zu den beiden Lloyd-Webber-Produktionen "Cats" und "Phantom der Oper" gelegen. Dafür griff man auf ein urdeutsches Thema zurück, nämlich auf die alte Volkssage vom Freischütz, die schon Carl Maria von Weber zu einer Oper inspiriert hatte und nun auch das Gerüst für "The Black Rider" bilden sollte.

Wilson versicherte sich populärer Helfer: Für die ironisch gebrochene amerikanische Sicht auf das deutsche Thema sorgten der damals 40-jährige Tom Waits, der die Musik schrieb, und der greise Pop-Poet William S. Burroughs, der die schauerlichen Texte dazu dichtete.

Die Geschichte kennt man: Der Schreiber Wilhelm möchte die Försterstochter Käthchen heiraten, darf aber nicht, weil ihr standesbewusster Vater auf einem Waidmann als Gatten besteht. So einer wie der Jägerbursche Robert wäre recht, der nach dem Wahlspruch lebt: "Wer denkt, taugt nichts als Mann."

Kein Wunder, dass Käthchen von Wilhelm nicht lassen möchte. Um sich als Schwiegersohn zu qualifizieren, muss der Geliebte jedoch erst einmal schießen lernen. Der Schreiber erweist sich da als ziemlich untalentiert, so dass er die Hilfe des diabolischen Stelzfuß nur zu gern annimmt. Stelzfuß stellt Wilhelm eine Hand voll "Freikugeln" zu Verfügung, mit denen er alles zu treffen vermag, was er will. Der leichte Erfolg bei der Jagd macht den Schreiber regelrecht süchtig.

"In wenigen Tagen hatte Wilhelm sich an seine Glückskugeln so gewöhnt, dass er in ihrem Gebrauch nichts bedenkliches mehr ahnte", heißt es in der Volkssage. Nachdem er seinen Vorrat verbraucht hat, gießt er sich in der Wolfsschlucht neue Freikugeln. Doch Stelzfuß, der hinzukommt, verlangt einen Preis: "Sechs für dich und eine mir - deine treffen, meine äffen . . ." Das Ende ist tragisch: Die letzte Kugel gehorcht Stelzfuß' bösem Zauber, und Wilhelm trifft beim entscheidenden Probeschuss das Käthchen.

"The Black Rider" ist vor allem ein Musical von Tom Waits. Mehr noch als Burroughs Texte, die aus der Freischütz-Sage - durchaus autobiografisch motiviert - eine Drogen-Allegorie machen, sorgen seine Songs für die dämonische Atmosphäre. Es ist eine höchst eigenwillige Mischung aus schrägem Vaudeville, billigem Varieté und wunderhübschen, ja kitschigen Melodien, die allerdings durch die grelle akustische Inszenierung eine herbe Grundierung erhalten.

Nach dem großen Erfolg in Hamburg trat das Wilson/Burroughs/Waits-Musical einen regelrechten Siegeszug durch die deutschen Theaterhäuser an: Dortmund, Bonn, Köln, Braunschweig, Ulm und Berlin haben längst ihre eigenen Inszenierungen. Und "The Black Rider" regte etliche Nachahmer an, die ebenfalls mit einem schrägen Singspielen dem Siegeszug der Lloyd-Webber-Musicals die Stirn bieten wollten. Am erfolgreichsten vielleicht in Köln mit Georg Ringsgwandls "Die Tankstelle der Verdammten".

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