Tag der Deutschen Einheit Das denken Bonner über 30 Jahre Mauerfall
Barbara Genscher (83), Witwe des ehemaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP):
"Dem Tag der Deutschen Einheit waren vorangegangen die Ereignisse und die Lösung in der deutschen Botschaft in Prag sowie die friedlichen Demonstrationen in der DDR für die Freiheit. Die Worte meines Mannes auf dem Prager Balkon habe ich wie viele Bürger in Deutschland abends zu Hause vor dem Fernseher verfolgt. Das alles waren wichtige Bausteine auf dem Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands. Die Dankbarkeit dafür wird immer bleiben. Ich hatte stets das Gefühl, dass Ost- und Westdeutschland zusammengehören und es keine Trennung für die Ewigkeit ist. Dem Osten unseres Landes bin ich sehr verbunden und habe mit meinem Mann oft seine Heimat Halle besucht."

Hans Walter Hütter (64), Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn: "Der Tag der Deutschen Einheit hat für mich auch heute noch eine enorme Symbolkraft. Er steht nicht nur für den Abschluss eines rasanten Prozesses. Er steht auch für eine geglückte friedliche Revolution und für einen positiven Gründungsmythos. Doch wenn ich durch die neuen Bundesländer reise, spüre ich eine wachsende kritische Stimmung, die zumindest nach Fakten und Zahlen der wirtschaftlichen Situation widerspricht. Ich wünsche mir, dass der 3. Oktober bald wieder mit einem solch positiven Gefühl verbunden wird, wie das noch vor zehn Jahren der Fall war."

Jochen Stern (90), Schauspieler und Schriftsteller: "Der Tag der Einheit erinnert mich stets an jene Zeit, in der ich in der DDR als Jugendlicher in Frankfurt/Oder lebte, mit 19 Jahren 1947 verhaftet und später vor einem sowjetischen Militärtribunal in Potsdam wegen angeblicher Spionage und Zugehörigkeit zu einer illegalen Organisation zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde und insgesamt fast sieben Jahre im berüchtigten Bautzener Gefängnis einsaß. Der 3.Oktober 1991, den ich anlässlich der Feier in Bonn auf dem Marktplatz miterlebte, gab mir Genugtuung und Freude darüber, dass mein Schicksal gewissermaßen einen Beitrag zur Wiedervereinigung leistete."

Jutta Nellen (80) Diplom-Pädagogin: "Am 3. Oktober 1990 bin ich mit meinem Mann den Weg gegangen, auf dem ich 1952 als Zwölfjährige mit meiner Mutter und meiner Schwester mit einem Lotsen aus der DDR in den Westen geflüchtet bin. Das war an der damaligen Grenze im Harz. Wir sind zu meinem Vater nach Bonn gefahren. Er war vorher über Berlin ins Rheinland geflüchtet. Es war schon mein zweites Fluchterlebnis. Im Februar 1945 mussten meine Eltern, meine Schwester und ich aus unserer Heimat Pommern flüchten. Wir wurden getrennt und fuhren mit dem Vater auf einem Schiff nach Bornholm, wo wir aber nicht an Land durften. Das Schiff musste zurück, wir sind nach Berlin, wo wir die Mutter wiedertrafen. Wir flüchteten dann weiter nach Thüringen."

Dirk Kaftan (48) Generalmusikdirektor des Beethoven Orchesters Bonn: "Der Tag der Einheit war ein wichtiger Tag für mich. Die Flucht meiner Mutter aus der DDR in den Westen hat unsere Familie nachhaltig geprägt. Die Trennung von ihren Eltern und Brüdern war eine Tragödie. Zwar duften ihre Eltern mit Erreichen des Rentenalters ausreisen, aber zu ihrem großen Bruder war der Kontakt bis zur Wende verboten, weil er als Bildungspolitiker in Ost-Berlin arbeitete. Die Familie des anderen Bruders durften wir hin und wieder besuchen - die Reisen in und durch die DDR waren eindrückliche Erfahrungen. Jedes Mal, wenn ich heutzutage in Berlin unter dem Brandenburger Tor durchlaufe, kommen mir immer noch die Tränen."

Andreas Etienne (64) Kabarettist, Haus der Springmaus: "Für mich ist der Tag der Einheit immer noch ein Feiertag, an dem eine friedliche und erfolgreiche Revolution in unserem Land gefeiert wird. Ich habe schon zu DDR- Zeiten mit dem Springmaus- Ensemble im Osten gespielt, meine Frau ist die Agentin, die damals exklusiv DDR-Künstler in den Westen vermittelt hat, von denen einige heute immer noch gute Freunde von uns sind. Wir haben den Aufbau der Dresdner Neustadt miterlebt und sind mindestens einmal im Jahr dort, um unsere Freunde zu besuchen, genauso, wie sie jedes Jahr mit großer Begeisterung nach Bonn kommen."

Anne Kimmel (58), Inhaberin der Univers Reisen GmbH: "Als im August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen wurde, war ich selbst erst zwei Monate alt. Meines Erachtens wurde damals leider auch eine Grenze in unseren Köpfen zementiert, die bis heute nicht wirklich überwunden ist, obwohl wir heute schon länger ohne als mit der Mauer leben. Für mich ergibt sich durch die Wiedervereinigung eine große Chance, viele Reisen in den Osten unserer Bundesrepublik zu veranstalten und zu zeigen, dass auch dort - zumindest optisch - der Sozialismus weitestgehend verschwunden ist. Mein persönliches Lieblingsreiseziel ist das wundervoll wieder hergerichtete Dresden - ganz besonders zur Vorweihnachtszeit."

Jana Maier ( 26) Studentin: "Der Tag der Deutschen Einheit ist insofern nicht besonders, es wird ja auch nicht viel gefeiert. Aber das Ereignis ist bedeutend. Ich bin in Russland geboren und kam mit vier Jahren mit meiner Familie als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Wie es sich anfühlt, in einem geteilten Land zu leben, weiß ich deshalb nicht. Einen Eindruck davon habe ich bei einer Reise nach Korea bekommen. Ich bin froh, dass das hier nicht mehr so ist und alle willkommen sind. Dieses Jahr war ich bei einem Festival in Sachsen und bin dort durch viele Dörfer gereist. Da hat man schon einen Unterschied zum Westen gemerkt."

Johannes Mies (62) Elektromeister: "Für mich ist der Tag der deutschen Einheit nichts Besonderes, ich habe keine Beziehungen in den Osten. Aber an Genschers Balkon-Rede kann ich mich gut erinnern, da ging pure Freude durchs Land. Das habe ich auch von Kollegen aus Polen mitbekommen, die immer durch die DDR reisen mussten. Es ist einfach gut, dass aus den zwei geteilten Ländern eines geworden ist. Vor drei Jahren war ich in Thüringen, da war es sehr schön. Genauso wie auf einer Chorfahrt nach Dresden."

Aufruf von Verdi und EVGBilder aus Bonn und der Region vom großen Streiktag
