Burleske - Berlin der 1920er Jahre Damals, heute, immerdar

Mit „Glanz auf dem Vulkan“ feiert die M&G Showcompany im Pantheon das Berlin der 1920er Jahre. Als Madame Glanz führt Evi Niessner zwei Stunden durch die turbulente Metropole zwischen Aufbruch und Untergang

 Sei ein Glanz: Das  Ensemble der  M&G Showcompany zeigt, wie das geht

Sei ein Glanz: Das Ensemble der M&G Showcompany zeigt, wie das geht

Foto: Andrey Kezzyn

Berlin 1931: Am Bahnhof Friedrichstraße steht die 18-jährige Doris aus Köln in einem Nerz, den sie an der Garderobe eines Theaters hat mitgehen lassen. Sekretärin, das war sie mal. Nun ist sie hier, um ein „Glanz“ zu werden – ein Star. Dabei hat die Stadt einen Großteil des eigenen Glamours längst eingebüßt. Er währte bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 etwa fünf Jahre. Als 1932 der Roman „Das kunstseidene Mädchen“ in Berlin erscheint, halten Weltwirtschaftskrise und Notverordnung die Weltstadt bei Tage und dieses Sündenbabel bei Nacht bereits im Würgegriff. Und nach der Machtergreifung 1933 muss sich auch die Autorin Irmgard Keun vor dem nationalsozialistischen Terror in Sicherheit bringen.

Ihre Doris aber hat Literaturgeschichte geschrieben – als Prototyp aus Siegfried Kracauers 1930 veröffentlichter, soziologischer Studie „Die Angestellten“ und als Protagonistin derer, auf die das Berlin der Weimarer Republik einen unwiderstehlichen Reiz ausübt. Eben so, wie Evi Niessner es beschreibt: „Deinen Zauber kann niemals recht ergründen, wer ihn sucht.“

Der Satz stammt aus dem Titelstück „Glanz auf dem Vulkan“, das sie zusammen mit ihrem Mann und Bühnenpartner Mr. Leu eigens für das gleichnamige Programm der M&G Showcompany geschrieben hat. Seit der Premiere am 20. Dezember 2019 in Mainz sind die beiden mit ihrem Ensemble auf Tournee und gastieren am 2. und 3. April nun auch im Bonner Pantheon Theater.

Dazu muss Niessner gedanklich nicht erst in die 1920er Jahre zurückreisen – sie kommt dort her. Hat ihre eigene Karriere doch vor 30 Jahren mit der Gründung des „Berliner Luft Ensembles“ und den Chansons, Schlagern und Couplets dieser Zeit begonnen. So nimmt es denn auch nicht wunder, dass die ausgebildete Opernsängerin gleich einige Favoriten aus jenen innovativen, widersprüchlichen und aufwühlenden Jahren an der Schnittkante zwischen Aufbruch und Untergang nennt: Irmgard Keun zählt dazu, ebenso wie der österreichische Kabarettist, Operetten- und Schlagerautor, Regisseur, Schauspieler und Conférencier Fritz Grünbaum, die Dichterin Mascha Kaléko, die Schriftstellerinnen Vicki Baum aus Berlin und Dorothy Parker aus New York sowie die Sängerin Claire Waldoff.

„Madame Glanz“ – Schöpferin, Gastgeberin, Moderatorin und gleichsam das Herz der Show – hat etwas von ihr. Keine Frage, aber beileibe nicht nur: Wer mag, kann in Madame zweifelsohne auch etwas von Josephine Baker, Rosa Valetti und Valeska Gert entdecken. Niessner hat diese Show kreiert und konzipiert, ihr Wohnzimmer im Rheingau für ein Jahr praktisch zur Kostümschneiderei umfunktioniert und neben dem „Glanz auf dem Vulkan“ auch das schwungvolle „Perlen, Sekt und Aprikosen“ komponiert.

Weitere Titel wie „Radio“, „Forever And A Day“ oder auch „Love Or Die“ stammen aus der Feder von Mr. Leu. Und sie alle liegen in Text, Melodie und Tempo so dicht an den Originalen dieser Zeit wie „Putting on the Ritz“ (Irving Berlin), „Minni The Moocher“ (Cab Calloway, Irving Mills) und „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ (Friedrich Hollaender), dass den Unterschied schwerlich bemerken dürfte, wer ihn nicht kennt. Die Musik legt vor den plastisch-perspektivischen Installationen des Hamburger Videokünstlers Domenico Toma den roten Faden aus.

Und die Arrangements von James P. Scannell vermögen mitunter sogar „das Tier“ am Klavier zu zähmen. So lautet seit der Premiere des Duos am 2. März 1996 nicht umsonst der zweite Künstlername von Mr. Leu – beruflich und privat seit 24 Jahren mit Evi Niessner verbunden. Gemeinsam haben die beiden seinerzeit die Showcompany gegründet und sich mit Ensemble-Programmen wie „Let‘s Burlesque“ und mit Solos wie „Chanson Divine – Evi Niesner singt Piaf“ sowie „Mr. Leu Waits – Invitation to the Blues“ einen Namen gemacht.

Aus lauter Lust und Liebe an der Kunst, wo – wie Niessner im Gespräch mit dem GA sagt – „zwei so gegensätzliche Charaktere wie wir uns finden. Daraus entsteht neue Energie. Diese Energie spüre ich in mir. Das muss in die Welt.“ Gemeinsam mit Mystere Leu (Gesang, Piano, Moderation, künstlerische Leitung und musikalische Leitung) und der kongenialen Band: Dass der „King of Saxofon“ Ben King Perkoff (Bariton, Gitarre), „Dr. Jazz“ Robin Draganic (Kontrabass, Gitarre) und „Dandy“ David Tröscher (Schlagzeug und Percussion) stilsicher auftreten, versteht sich.

Als Matrose und Verbrecherkönig zeigt der Artist Tigris (Hula Hoop und Kontorsion), was Körperbeherrschung wirklich ist und übersetzt „Gangsta’s Paradise“ gekonnt ins Jazz-Zeitalter. Und Uwe Czebulla, „Der Tänzer der Nacht“, verleiht dem 1925 von Otto Dix gemalten Porträt der lasterhaften Ikone Anita Berber lebendige Gestalt.

„Ich hätte nie die Courage gefunden, um zu leben, wenn ich nicht wüsste, dass ich sterben muss.“ Ein Zitat aus der Show, das den Geist dieser Zeit einfängt – zwischen Lebenslust und -last derer, die sich in der expressionistischen und freigeistigen, aber dem einzelnen Schicksal gegenüber völlig gleichgültigen Metropole durchschlagen. Der erste Teil der Show ist freundlicher, der zweite spürbar düsterer – die persönliche Handschrift jederzeit spürbar.

„Dabei hat sich unser Werk praktisch schon verselbstständigt. Es wirkt auch auf uns, während wir es aufführen.“ Und es gewinnt an Zuspruch, hörbar im Applaus und auch nachher im Foyer:. „Wenn man so ins Schwarze trifft, ist das ein erhabenes Glücksgefühl.“ Das freut die Familie, denn als solche sieht Niessner das Ensemble; nicht zusammengewürfelt, sondern mit der Zeit gewachsen.

Da wäre zum Beispiel die Tänzerin Tara D‘Arson alias Claire die Tollkühne – die erste Frau, die mit dem Motorrad die Welt umfährt. Lola la Tease ist „Isadora die Dame“, und Kinky La Blanche „Mitzi das Flappergirl“ eine weitere Frauenfigur der 1920er. „Es gab davon nicht die eine, es gab so viele“, sagt Niessner. Das Spannende und Neue damals war, sich in jeder Hinsicht von den Korsetts der Kaiserzeit zu befreien und ganz neu zu erfinden. „Diese Zeit war ein Stück weiter, als wir es heute sind.“

Hätte Evi Niessner also womöglich selbst gern in den 1920ern gelebt? „Nein“, sagt sie entschieden. „Ich seh’ mich genau richtig im Hier und Jetzt. Ich empfinde die Faszination viel stärker, weil ich sie mit Distanz sehen kann.“

Wenn die Show aber den einen oder anderen dazu inspiriere, etwas bunter und mutiger zu sein, die Angst vor Unangepasstheit zu überwinden und sich davon nicht beirren oder einengen zu lassen“, sei das etwas Gutes: „Damals, heute, immerdar“, wie Madame Glanz zum Schluss hinzufügt.

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