Film ist in Russland verboten Aasgeier und Artisten in „The Death Of Stalin“

Totalitärer Terror und satirischer Biss: Armando Iannuccis Film „The Death Of Stalin“ findet eine wunderbare Balance für ein ernstes Thema.

 Sowjet-Elite vor Stalins Sarg: (von links) Dermot Crowley, Paul Whitehouse, Steve Buscemi, Jeffrey Tambor und Paul Chahidi. FOTOS: AP

Sowjet-Elite vor Stalins Sarg: (von links) Dermot Crowley, Paul Whitehouse, Steve Buscemi, Jeffrey Tambor und Paul Chahidi. FOTOS: AP

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Der Chef stirbt, und sie sind alle dabei: Nikita Chruschtschow, Georgi Malenkow, Lasar Kaganowitsch und Lawrenti Beria. Während Josef Stalin im März 1953 nach einem Schlaganfall im eigenen Urin hilflos am Boden liegt, haben die Mitglieder der Sowjet-Elite die Zukunft im Blick – die jeweils eigene, versteht sich. Sie erscheinen wie Aasgeier, die erwartungsvoll die noch lebende Beute umkreisen. Und wie Artisten auf dem Hochseil, die sich vorm Absturz fürchten. Der Diktator könnte sich noch einmal berappeln, ein Kontrahent könnte die Macht erobern – was dann?

Der schottische Filmemacher und Komiker Armando Iannucci hat den ersten Höhepunkt seines Films „The Death Of Stalin“ – ab Donnerstag im Kino – meisterhaft vorbereitet. Der Abend des Schlaganfalls gestaltet sich in Stalins Haus als zwanghaft aufgeräumter Herrenabend, mit schlechten Witzen, bedrohlichen Pausen und dem obligatorischen Western im Heimkino des Diktators. Die Protagonisten gewinnen schnell Konturen. Chruschtschow (Steve Buscemi), der sein strategisches Genie hinter albernen Clownerien und blitzschnellen Repliken verbirgt.

Malenkow (Jeffrey Tambor), der Feigheit mit opportunistischem Kalkül vereint. Wjatscheslaw Molotow (Michael Palin), der nichtsahnend auf der Todesliste landet. Und zuletzt Beria (Simon Russell Beale), der Chef der sowjetischen Geheimdienste, der als regimetreuer, machiavellistischer Strippenzieher agiert. Beria ist Stalins williges Werkzeug, der Mann der Todeslisten. Den Mord an einem Ehepaar vertraut er einem namenlosen Soldaten mit der Empfehlung an: „Erschieß sie vor ihm, aber pass auf, dass er es sieht.“ Beria ist auch ein pädophiler Vergewaltiger.

Jetzt könnte sich ein großes Problem für Iannuccis Film auftun. Es ist nämlich so, dass „The Death Of Stalin“ im Gewand der Komödie daherkommt. Der Film basiert auf dem Comic von Fabien Nury und ist von Iannucci sowie den Drehbuchkollegen David Schneider, Ian Martin und Peter Fellows in eine vitale, raue, wahnwitzig intelligente Kinokomödie übersetzt worden. Man kann gar nicht anders, als über die satirisch überzeichneten Figuren und ihre Pirouetten auf eisglattem Parkett zu lachen. Selbst die vielen Flüche sind hinreißend.

Dem Regisseur, Kopf hinter der US-Fernsehserie „Veep“ mit Julia Louis-Dreyfus, gelingt das Kunststück, das Publikum nie vergessen zu lassen, dass hier Verbrecher am Werk sind, Agenten staatlich organisierter Auslöschung. Die Komik im Film, der spielerisch mit Fakten umgeht, transportiert immer eine zweite Dimension: den historisch belegten Horror. „The Death Of Stalin“ ist auch eine Studie der Tyrannei. Untertitel des Werkes: „A Comedy Of Terrors“.

Iannucci zeigt, wie totalitäre Verhältnisse auf Befehlsempfänger und Führungspersonal wirken. Die da oben werden wahlweise paranoid, kultivieren ihre Eitelkeit oder leben wie Beria ihre pathologischen Neigungen aus. Der Film steht auf einem einfachen Handlungsfundament: Stalin stirbt, und alle drehen durch. Das will man den Menschen in Russland 2018, wo Stalin in manchen Milieus immer noch verehrt wird, nicht zumuten. Der Film „The Death Of Stalin“ findet sich auf dem Index verbotener Werke.

Die Russen verpassen ein fabelhaftes Ensemblespiel, rasante Dialoge, die auch vor kruden Effekten nicht zurückschrecken. Jeffrey Tambor als Malenkow, von 1953 bis 1955 Vorsitzender des Ministerrats, will die Würde des Amtes auch optisch ausdrücken. Er trägt nun ein Korsett und färbt sich die Haare pechschwarz. „Hat dir Coco Chanel auf den Kopf geschissen?“, fragt ihn ein provokanter Kollege. Malenkow versteht die Anspielung nicht. Seine Antwort: „Nein, hat er nicht.“

Rupert Friend hat unvergessliche Auftritte als Stalins total verpeilter Sohn Wassily. Adrian McLoughlin als Stalin verkörpert ein Monster, das aussieht wie ein Biedermann. Paddy Considine vermittelt eine Ahnung von der Todesangst eines Moskauer Radiomannes, der dem Diktator den Mitschnitt eines Radiokonzerts schuldet. Ist leider vergessen worden.

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