Kinofilm „Die Frau im Nebel“ Verhöre wie ein Rendezvous

Bonn · Park Chan-wook schlägt mit dem Film Noir „Die Frau im Nebel“ ein neues Kapitel im eigenen künstlerischen Schaffen auf. Unsere Kritik zum Kino-Neustart.

Tang Wei (hinten) als Song Seo-rae und Kyung-Pyo Go als Soo-wan in dem Film „Die Frau im Nebel“.

Tang Wei (hinten) als Song Seo-rae und Kyung-Pyo Go als Soo-wan in dem Film „Die Frau im Nebel“.

Foto: epd/Plaion Pictures

Mit dem Oscar für „Parasites“ und dem Netflix-Hit „Squid Game“ bekommt der koreanische Film in den letzten Jahren die internationale Aufmerksamkeit und das globale Publikum, das er schon lange verdient. Zu den interessantesten Regisseuren der Halbinsel gehört nach wie vor Park Chan-wook („Oldboy“/ „Die Taschendiebin“). Mit „Die Frau im Nebel“, der im letzten Jahr in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde, schlägt Park nun ein neues Kapitel im eigenen künstlerischen Schaffen auf. Die Textur offener und subtiler Gewalt, die sich durch seine bisherigen Filme gezogen hat, wird hier über Bord geworfen, obwohl es sich bei „Die Frau im Nebel“ eigentlich um einen Kriminalfilm handelt.

Am Fuß eines Berges wird die Leiche eines erfahrenen Kletterer mittleren Alters gefunden. Als Kommissar Hae-jun (Park Hae-il) die junge Witwe vernimmt, zeigt Seo-rae (Tang Wei) keinerlei Trauergefühle. DNA-Spuren unter den Fingernägeln machen sie zur Verdächtigen. Hae-jun entwickelt schon bald eine obsessive Faszination für die junge Frau. Tag und Nacht observiert er die Verdächtige. Wenn sie am Abend vor dem Fernseher mit einer brennenden Zigarette einschläft, imaginiert er sich wie einen Geist ins Wohnzimmer und fängt die herunterfallende Asche auf. Selbst die Verhöre im Revier gleichen eher einem Rendezvous.

Wenn die beiden im Büro mittags das Sushi-Spezial-Menü verzehren und danach gemeinsam den Tisch abwischen, wirken sie schon wie ein eingespieltes Ehepaar. Das Alibi der Verdächtigen hält allen Prüfungen stand, ein Abschiedsbrief des Verstorbenen belegt dessen Selbstmord und zwischen der schönen Witwe und dem verheirateten Kommissar beginnt eine zarte Affäre. Aber dann stolpert Hae-jun über ein kleines Detail, das die Untersuchungsergebnisse in ein neues Licht stellt.

Der Ermittler, der sich in eine geheimnisvolle Verdächtige verliebt und dabei seine kriminalistische Objektivität verliert, ist ein klassisches Film-Noir-Motiv, das auch schon Alfred Hitchcock in „Vertigo“ oder Paul Verhoeven in „Basic Instinct“ aufgenommen haben. Aber Park macht daraus seinen ureigenen Noir-Film, der mit poetischer Bildsprache, einem wendungsreichen Plot und romantischer Zärtlichkeit aufgeladen ist. Wenn die Hand des Kommissars und die der Verdächtigen mit Handschellen verbunden auf der Rückbank des Polizeiwagens nebeneinander liegen, ist dies ein Sehnsuchtsbild von einfacher, poetischer Strahlkraft.

In seinem Umgang mit den Anziehungsmächten von Liebe und Obsession wirkt „Die Frau im Nebel“ altmodisch und gleichzeitig hochmodern. Noch nie wurde die zeitgenössische Kommunikationstechnologie im Kino derart romantisch in Gebrauch genommen. Smart Watch und Voice Mails werden zu Gefühlsspeichermedien. In besonders emotionalen Situationen greift die chinesischsprachige Verdächtige zur Übersetzungs-App, um ihren Gefühlen mit der koreanischen Stimme von Google Translate Ausdruck zu verleihen. Dem gegenüber stehen Bilder von machtvollen Berglandschaften und wilden Meeresküsten, in denen die Empfindungen der Figuren expressiv gespiegelt werden. Hauptdarsteller Park Hae-il („The Host“) beherrscht die Kunst des fein kalibrierten Understatements ebenso wie die wunderbare Tang Wei (Ang Lees „Gefahr und Begierde“), die mit zärtlicher Intransparenz die Geheimnisse ihrer Figur hütet und alle Femme-Fatale-Klischees souverän aushebelt. (Der Film läuft in Bonn im Rex)

„Frau im Nebel“; Südkorea 2022, 139 min, R: Park Chan-wook D: Park Hae-il, Tang Wei, FSK 16

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