Die Stille nach dem Schuss

Die alte DDR darf danke sagen. Danke, Volker Schlöndorff. Er hat dem untergegangenen Staat ein Denkmal gebaut, eines, über das sich vor allem die alten Kämpen freuen werden.

Zum Beispiel die Leute von der ehemaligen Staatssicherheit. Sie waren, bedeutet uns der Filmemacher, doch eigentlich ganz nette Kerle. Nehmen wir Erwin. "Ich heiße Erwin", sagt der sympathische Mann mit den sanften Augen.

Erwin, dargestellt von dem sympathischen Schauspieler Martin Wuttke, ist Offizier der Stasi und heißt eine Gruppe von Aussteigern der RAF (Rote Armee Fraktion) im Arbeiter- und Bauernstaat DDR willkommen.

Die Details des informellen Asyls erörtert man im Rahmen eines gemütlichen Grillabends mit Radeberger Pilsener und Thüringer Würstchen. Nun sind sie mittendrin - im "Leben der Arbeiterklasse".

Was Volker Schlöndorff in seinem Film "Die Stille nach dem Schuss" erzählt, gehört zu den bizarren Pointen der deutsch-deutschen Geschichte. Doch geht es dem Regisseur, der gemeinsam mit Wolfgang Kohlhaase das Drehbuch erarbeitet hat, nur am Rande um den bundesdeutschen Terrorismus und dessen Stasi-Kontakte.

Seine Hauptfigur Rita (Bibiana Beglau), die gleichsam neu geboren wird und in eine von der Stasi erfundene Identität schlüpft, entdeckt die DDR. Ihren Aufenthalt dort empfindet sie mitnichten als zynische Strafe des Schicksals, ganz im Gegenteil.

Die Chiffre DDR, im allgemeinen Verständnis Synonym für kleinbürgerlichen Mief und die Farbe Grau, erscheint ihr gleichbedeutend mit Glück und individueller Erfüllung.

Dazu tragen nicht zuletzt die netten Leute von der Stasi bei. Die Diktatur trägt hier ein menschliches, immer gutgelauntes Antlitz. Einer bewundert die Kämpfer aus dem Westen und bemerkt kess: "Manchmal denke ich, die Luft ist bei uns ein bisschen raus."

Ein anderer, Genosse General, empfindet Verständnis für die Aktivisten des Terrorismus: "Wir sind doch auch Romantiker." Die RAF-Romantiker hinterlassen auch in Schlöndorffs Film eine Blutspur, ihre inhumanen Parolen und totalitären Debatten erlauben keinen Zweifel daran, wes Geistes Kinder sie sind.

Doch Rita, die Bibiana Beglau mit einer übermächtigen Sehnsucht erfüllt, verdankt dem System DDR eine ganz und gar erstaunliche Metamorphose.

Sie kuschelt sich ein ins wärmende Kollektiv, die Tristesse von Ost-Fernsehen und organisierter Zerstreuung empfindet sie als Segnung; gleichermaßen ihre Affären mit Fabrik-Kollegin Tatjana (Nadja Uhl) und Bademeister Jochen (Alexander Beyer).

Und als der Staat am Ende ist, belehrt sie die sich gen Westen orientierenden Ostler: "Ihr wisst nicht, was ihr verliert. Das war doch ein großer Versuch hier."

Wie sie zum Vernichtungsfeldzug der RAF und zur Verklärung der DDR gekommen ist, behält Schlöndorff dem Publikum weitgehend vor. Er inszeniert Ritas Geschichte als große Lovestory: Frau liebt Staat.

Es ist Rita, die da spricht - eine Kunstfigur, zusammengesetzt aus den realen Biografien von Inge Viett, Silke Maier-Witt und Susanne Albrecht. Doch aus Rita spricht wohl auch der Filmemacher Volker Schlöndorff, der mehr über die DDR wissen wollte.

Was er gelernt hat, ist in diesem Filmmärchen zu sehen: Es wird jene glücklich machen, die den rauen Wind der Freiheit nicht zu schätzen wissen und sich zurücksehnen in die Zeit, als drüben alles Idylle war.

(Film-Kritik aus dem General-Anzeiger)

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