Roman von Ian McEwan Emma Thompson brilliert im Kinofilm "Kindeswohl"

Bonn · Eine Familienrichterin trifft eine weitreichende Entscheidung, die das Leben eines Jungen auf den Kopf stellt. Geht ihre Verantwortung auch über das reine Urteil hinaus?

Fiona Maye (Emma Thompson) ist eine erfahrene und angesehene Familienrichterin am Londoner „High Court“ und muss jeden Tag über Fälle entscheiden, von denen fast jeder eine eigene griechische Tragödie verdient hätte. Komplizierte moralische und juristisch einwandfreie Urteile zu treffen, ist Fionas Tagesgeschäft, dem sie mit hohem Engagement und scharfem Verstand nachgeht.

Dass diese Arbeit oberste Priorität genießt, belastet die langjährige Ehe mit dem Universitätsdozenten Jack (Stanley Tucci). Aber der nächste dringende Fall liegt schon auf dem Tisch. Der siebzehnjährige Adam (Fionn Whitehead) ist an Leukämie erkrankt. Eine Bluttransfusion könnte ihn retten. Aber der junge Mann gehört den Zeugen Jehovas an, deren Glaube die Vermischung von Blut verbietet.

Nach Vernehmung der Zeugen fällt Fiona eine unkonventionelle Entscheidung: Sie besucht Adam im Krankenhaus und trifft auf einen aufgeschlossenen jungen Mann, der fest zu seinem religiös motivierten Entschluss steht. Die kurze, intensive Begegnung scheint beide jedoch aus der eigenen Umlaufbahn zu werfen. Fiona ordnet die lebensrettenden Maßnahmen an, und einige Wochen nach seiner Genesung lauert Adam ihr auf der Straße auf, um sich zu bedanken. Der junge Mann sucht die Nähe zu seiner Retterin, und Fiona fällt es zunehmend schwer, die berufliche Distanz zu wahren.

Mit „Kindeswohl“ nach dem Roman und Drehbuch von Ian McEwan rückt Regisseur Richers Eyre eine äußerst vielschichtige und moderne Frauenfigur ins Zentrum. Die brillante Emma Thompson spielt eine Frau, die beruflich eine enorme Verantwortungslast trägt und in eine persönliche Krise geraten plötzlich an die ihre Grenzen gelangt. „Kindeswohl“ erzählt aus dem Augenwinkel viel über die Einsamkeit, mit der Frauen den Preis für ihre Karriere bezahlen. Gleichzeitig gelingt es Thompson, das Porträt einer Frau zu zeichnen, die mit ihrem Beruf fast schon organisch verwachsen zu sein scheint. Sie füllt ihre Rolle mit einer sehr britischen Beherrschtheit aus, die sie im Laufe der Handlung zunehmend unterminiert. Der junge Mann, der auf sie zustürmt, löst in Fiona verdrängte Sehnsüchte aus, in denen sich mütterliche Gefühle und eigene Liebesdürftigkeit vermischen.

Zu sehen, wie Thompson all diese widerstrebenden Emotionen auf die Leinwand bringt, ohne dass Intellekt und Stärke ihrer Figur mit den üblichen Karrierefrauenklischees abgestraft werden, ist schlichtweg herzzereißend.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort