Felicia, mein Engel
Die Menschen haben eine gute Meinung von Mr. Hilditch. Er ist zwar etwas eigenbrötlerisch und sein überkorrektes Auftreten mit der adretten Kleidung verführen zu witzigen Bemerkungen.
Aber als Kantinenchef ist Mr. Hilditch über jeden Zweifel erhaben; er behandelt seine Angestellten fair und er kocht ganz fantastisch. Keine Frage, Mr. Hilditch ist ein netter Mann.
Das findet auch die junge Felicia, die von Irland her ins englische Birmingham gekommen ist, um hier den Soldaten zu suchen, der sie zu Hause geschwängert hat.
In Atom Egoyans neuem Film "Felicia, mein Engel" arrangiert Mr. Hilditch nach einer zufälligen Begegnung weitere planmäßige, bietet Felicia Hilfe bei der Suche und schließlich auch Unterkunft in seinem Hause an.
Wie er es auch schon bei zahlreichen anderen jungen Frauen getan hat, die dann auf Nimmerwiedersehen verschwanden.
Es sind zwei seltsame Schicksalswege, die der kanadische Filmautor Egoyan in seinem jüngsten Film zusammenführt. Das Mädchen und der Mann, beide sind sie Außenseiter, geplagt von einem bizarren Trauma. Felicia ist der, wenngleich zögerliche, so doch aktive Part.
Sie hat sich gegen die streng katholische Obhut des Vaters aufgelehnt, indem sie schwanger wurde und dann die Flucht in eine eigene Zukunft ergriffen. Hilditch hingegen ist in der Vergangenheit gefangen. Seine Mutter, eine populäre Fernsehköchin, verfolgt ihn ebenso auf Videobändern wie die jungen Frauen, deren Leben er nimmt.
Dieses Charakter-Doppel spiegelt seine Komplexität nicht nur im Erzählerischen, sondern auch auf der bildlichen Ebene.
Kunstvoll hat Atom Egoyan die seelischen Abgründe und Hintergründe seiner Protagonisten in zahlreich eingestreuten Rückblenden eingefangen, die den Handlungsfluss immer wieder umleiten und erst gegen Ende des Films ein vollständiges Charakterbild ergeben.
Eingebettet ist der Beziehungsknoten ins erzählerische Motiv der Suche. Felicia, in filigraner Unschuld verkörpert von Elaine Cassidy, sucht ihren Geliebten, Hilditch ein neues Opfer, um die innere Seelenpein zu lindern.
Bob Hoskins liefert ein perfektes Abbild eines in Obsessionen Gefangenen, der sich nur noch in Bluttaten Luft machen kann, die er eigentlich zutiefst verabscheut.
Es ist seine hypnotische Schauspielkunst, die dem Film eine zunehmend morbide Faszination einimpft. Egoyans Inszenierung entspricht den ausgedehnten Kamerafahrten durch Hilditchs riesiges Landhaus, das wie ein Museum ausgestattet ist.
Zugleich aber schreckt Egoyan vor dem offenen Thrill zurück. Er zitiert ganze Hitchcock-Passagen bis ins Bild hinein; wenn Hilditch mit tödlichem Trank die Treppe hinauf zu Felicias Zimmer geht, dann ist das ein unmittelbares Zitat auf Cary Grant, der in "Verdacht" mit dem Glas Milch zu Ingrid Bergman geht.
Aber wo Hitchcock seine Geschichten zuletzt im Nervenkitzel verdichtete, da bleibt Egoyan Beobachter im Theoretischen. Der Kanadier ist eher an inneren Vorgängen denn an äußerer Aktion interessiert, was hier zum Bumerang wird.
"Felicia, mein Engel" bleibt selbst dann noch bei Andeutungen, als längst alles klar ist. Er bindet, aber er fesselt nicht, weil sein Regisseur wieder einmal zu sehr mit dem Kopf gearbeitet hat.
(Film-Kritik aus dem General-Anzeiger)