"The Square" neu im Kino Im Sturm der Verunsicherung

Der Film „The Square“ spürt Rissen in der Oberfläche der modernen westlichen Gesellschaften nach. Das lädt zu Diskussionen ein.

 Dieser Film lädt sein Publikum zu Diskussionen ein: Szene aus „The Square“ mit Elisabeth Moss. FOTO: ALAMODE

Dieser Film lädt sein Publikum zu Diskussionen ein: Szene aus „The Square“ mit Elisabeth Moss. FOTO: ALAMODE

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Am Eingang der Ausstellung müssen sich die Besucher entscheiden, welchen Weg sie einschlagen. „Ich vertraue den Menschen“, steht unter dem einen Knopf. „Ich misstraue den Menschen“ unter dem anderen. Wer den Vertrauensknopf drückt, wird in einen Raum weitergeleitet und durch ein Schild dazu aufgefordert, dort Handy und Brieftasche auf den Boden zu legen, wo sie nach dem Besuch wieder abgeholt werden können.

Zögernd folgen die beiden Mädchen der Anweisung und werfen noch einmal einen Blick zurück, bevor sie weitergehen. Es sind solche Momente der Verunsicherung, die der schwedische Regisseur Ruben Östlund in „The Square“ zum Erzählprinzip macht. Es ist leicht, einen Knopf zu drücken, Bekenntnisse abzugeben, aber wie verhalten wir uns, wenn unsere Worte und Ansichten in konkretes Handeln umgesetzt werden müssen?

Diese Grundfrage formuliert Östlund immer und immer wieder in den verschiedensten Varianten und stellt damit die westliche Gesellschaft mit ihren liberalen Vorstellungen gründlich auf den Prüfstand.

Im Epizentrum dieses cineastischen Sturms der Verunsicherung steht der Kurator eines Stockholmer Museums für moderne Kunst Christian (Claes Bang) – ein smarter Enddreißiger mit strotzendem intellektuellen Selbstbewusstsein. Als auf einem belebten Platz eine hysterisch schreiende Frau auf ihn zurennt und ihn um Hilfe bittet, stellt sich Christian gemeinsam mit einem anderen Passanten dem Verfolger entgegen, der sein Vorhaben abrupt aufgibt.

Noch außer Atem vor Angst und Stolz stellt Christian fest, dass ihm Handy und Brieftasche gestohlen wurden und er offensichtlich Opfer eines Trickbetruges wurde. Kein großes Drama für den Besserverdiener, eher eine gute Geschichte, die man auf der Arbeit zum Besten geben kann. Aber als ein Kollege am Computer Christians Handy ortet, beschließen die beiden Männer im Übermut, das Recht in die eigene Hand zu nehmen.

Das setzt eine Kette von Reaktionen und Gegenreaktionen in Gang, welche die liberalen Anschauungen des gut situierten Kunstmanagers einem harten Realitätstest unterziehen. Szene für Szene treibt „The Square“ Risse in die polierte Oberfläche der modernen westlichen Gesellschaft, die sich in ihren humanistischen Posen gut gefällt, aber im konkreten zwischenmenschlichen Handeln versagt.

Östlund lässt nicht locker und spitzt alle Fragen stets auf die ganz persönliche Verantwortung zu, die wir für uns, unsere Nächsten und unsere Gesellschaft tragen. Immer wieder rückt er Obdachlose und Bettler ins Bild, an denen die Passanten achtlos vorbei gehen, weil ihr Anblick die Selbstverständlichkeit des eigenen Wohlstands infrage stellt.

Dabei nimmt der Film nie die Haltung moralischer Vorwurfshuberei ein, sondern entwickelt einen unnachgiebig analytischen Blick auf Anspruch und Wirklichkeit unseres Seins.

„The Square“, der in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, ist ein Film von ebenso tiefgreifender wie produktiver Beunruhigung, über den man nicht nur abends am Kneipentresen, sondern auch noch morgens am Frühstückstisch debattieren möchte, weil er den unaushaltbaren Widersprüchlichkeit unserer Zeit direkt ins Auge blickt.

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