Filmkritik zu "Die Blumen von gestern" Kurze Momente des Glücks

BONN · Lars Eidinger und Adèle Haenel spielen in Chris Kraus neuem Film "Die Blumen von gestern". Als Holocaustforscher arbeiten sie nicht nur die Geschichte auf, sondern auch die damit eng verwobenen, eigenen Familienschicksale.

 Neurotische Figuren: Lars Eidinger und Adèle Haenel in "Die Blumen von gestern".

Neurotische Figuren: Lars Eidinger und Adèle Haenel in "Die Blumen von gestern".

Foto: Edith Held

Totila Blumen (Lars Eidinger) ist ein Mann, der sich nicht im Griff hat. Er sagt ständig Dinge, die man nicht sagt und die er auch gar nicht so meint. In Rage geraten neigt der Mittvierziger auch zu Handgreiflichkeiten. Gerade ist er über seinen neuen Vorgesetzten, gespielt von Jan Josef Liefers, hergefallen und hat ihm einen Zahn ausgeschlagen.

Totila Blumen ist Holocaustforscher. Sein Großvater war als SS-Offizier für die Liquidierung der Juden in Riga verantwortlich und der Enkel versucht nun mit seiner unermüdlichen Arbeit verwandtschaftliche Wiedergutmachung zu betreiben. In die Stagnation der Schuldneurosen kommt frischer Wind, als Zazie (Adèle Haenel) beim Institut anheuert. Ihre jüdische Großmutter wurde von den Nazis ermordet.

Auch Zazie hat die Holocaustforschung zu ihrem Beruf gemacht und steht ihrem neuen Kollegen an Impulsivität und Verrücktheit in nichts nach. Mit „Die Blumen von gestern“ will Regisseur Chris Kraus („Poll“) „Licht und Luft“ an ein Thema lassen, das ihn selbst seit 16 Jahren beschäftigt.

Damals fand er heraus, dass sein Großvater als Mitglied der SS-Einsatzgruppen an der Ermordung zahlreicher Juden beteiligt war. Bei seinen Recherchen traf der Regisseur in den Archiven auf Enkel von Holocaustopfern. Aus diesen Begegnungen entstand die Grundidee zu „Die Blumen von gestern“, der das Thema aus der Perspektive der dritten Generation beleuchtet.

Der Film schlägt von der ersten Minute an eine forsche Gangart ein, nennt die Dinge direkt beim Namen und lässt die Widersprüche rasant aufeinanderprallen. Die Qualität von „Die Blumen von gestern“ ist, dass der Film ein scheinbar gründlich durchdekliniertes Thema auf erfrischende Weise neu betrachtet, indem er es strikt persönlich behandelt und in seinen neurotischen Figuren die verstörenden Facetten in all ihrer Ambivalenz zum Klingen bringt.

Lars Eidinger arbeitet sich tief in die Neurosen seiner Figur ein, ohne sie zur Karikatur verkommen zu lassen. Ihm gegenüber steht die hochbegabte Adèle Haenel („Das unbekannte Mädchen“), die Zazies Stimmungen unberechenbar wie eine Flipperkugel durch den Raum schießen lässt.

Den beiden Protagonisten folgt man gern bis in die letzten Seelenwinkel und sogar hin zu einem kurzen Moment von Glück, Versöhnung und Leichtigkeit, der schon bald wieder vom Wind der Historie verweht, aber nie ganz verloren gehen wird.

Läuft in der Neuen Filmbühne in Beuel und im Kinopolis in Bad Godesberg

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