Filmkritik zu „Licorice Pizza“ Unkaputtbar und hinreißend frisch
Bonn · In „Licorice Pizza“ geben Cooper Hoffman und Alana Haim ihre beeindruckenden Debüts. Regisseur Paul Thomas Anderson reist in dem Film zurück in die Zeit seiner eigenen Kindheit in Los Angeles. Unsere Kritik zum neuen Kino-Highlight.
Ich werde dich nie vergessen. Und du wirst mich auch nicht vergessen”, sagt Gary (Cooper Hoffman) und strahlt über das ganze Gesicht. Der Junge ist 15 und sich vollkommen sicher, in Alana (Alana Haim) die Frau seines Lebens gefunden zu haben. „Ätzend” entgegnet die Angebetete und dreht sich ein wenig zur Seite, damit ihr Gegenüber nicht sieht, wie sie in sich hineinschmunzelt. Alana ist 25 Jahre alt. Was soll sie schon mit so einem Bürschchen anfangen?
Aber der junge Mann hat seine Qualitäten. Schließlich hat es Gary als Kinderstar in Hollywood schon zu bescheidenem Ruhm und Wohlstand gebracht und betreibt mit seiner Mutter eine florierende Agentur. Vor allem aber hat er etwas, was Alana fehlt und ihr imponiert: einen unbekümmerten Tatendrang. Wenn er etwas anfängt, kommt Gary gar nicht auf die Idee, mit seinem Vorhaben scheitern zu können. Aber an der sarkastischen Alana beißt er sich die Zähne aus. Dass zwischen ihnen trotz einer langsam aufblühenden Freundschaft nie etwas laufen wird, macht sie von Anfang an und immer wieder deutlich.
Wenn es mit der Liebe nichts wird, könnte man ja erst einmal zusammen Geschäfte machen, denkt sich Gary. Man schreibt das Jahr 1973 in Los Angeles. Eine Zeit, in der – zumindest in der Welt von Paul Thomas Andersons „Licorice Pizza“ – alles möglich zu sein scheint. Als Gary in einem Laden das erste Wasserbett sieht, ist auch das eine Liebe auf den ersten Blick und eine illustre Geschäftsidee. Es dauert nicht lange, dann haben Gary und Alana einen blühenden Wasserbettenvertrieb am Start.
Radiowerbung, Telefonmarketing und Auslieferung werden mit einer Handvoll loyaler Schulfreunde erledigt, die am Tresen so lässig eine Limo bestellen wie andere einen Wodka-Martini. „Findest du es komisch, dass ich mit Gary und seinen 15-jährigen Freunden rumhänge?“, fragt Alana ihre Schwester und beantwortet die Frage gleich selbst. Deshalb versucht sie es ab und zu mit Erwachsenensachen.
Der berühmte, deutlich ältere Filmstar Jack Holden (Sean Penn) erweist sich als noch größeres Kind, und auch der progressive Bürgermeisterkandidat, in dessen Wahlkampagne Alana sich unentbehrlich macht, ist auf privater Ebene eine Enttäuschung. Selbst wenn sich ihre Wege immer wieder trennen und Gary mit seinem neu eröffneten Flipper-Spielsalon zur hippen Kiezgröße im San Fernando Valley aufsteigt, verliert der Langzeitverehrer Alana nie aus den Augen.
Mit „Licorice Pizza“ reist Regisseur P.T. Anderson („Der seidene Faden“) zurück in die Zeit seiner eigenen Kindheit und Jugend in Los Angeles. Das politische Geschehen von der Watergate-Affäre bis zur Ölkrise wird nur kurz tangiert. Was hier zählt, ist der agile, optimistische, jugendliche Gemütszustand in dieser Zeit, der nicht exemplarisch, sondern spezifisch an dem platonischen Liebespaar vorgeführt wird. „Licorice Pizza“ ist kein Film, der sich über seine mäandernde Handlung erzählt, sondern über Stimmung und Charaktere. Und mit Gary und Alina stellt Anderson ein wunderbar klischeefreies, romantisches Duo ins Zentrum, dessen Beziehungsdynamik so unberechenbar über die Leinwand schießt wie eine Flipperkugel in Garys Spielsalon.
Cooper Hoffman – Sohn des verstorbenen Philip Seymour Hoffman – und Alana Haim, die gemeinsam mit ihren Schwestern in der Band Haim schon drei Alben veröffentlicht hat, geben beide hier ihr Schauspieldebüt. Ihre unverbrauchte Frische ist die Geheimwaffe des Films. Cooper Hoffman ist hinreißend als unkaputtbarer, romantischer Held und optimistischer Geschäftsmann. Aber die eigentliche Entdeckung ist Alana Haim. Geradezu furios begibt sie sich in die Rolle der Mittzwanzigerin, die mit den pubertierenden Jungs sehr viel mehr Spaß hat als in der Erwachsenenwelt. Um das platonisch-romantische Epizentrum lässt Anderson kleine Geschichten und Anekdoten aus der Stadthistorie und dem Hollywood-Betrieb tanzen. Das verhilft nicht nur Sean Penn und Tom Waits zu markanten Gastauftritten, sondern auch Bradley Cooper, der als psychopathischer Liebhaber Barbra Steisands im weißen, tief ausgeschnittenen Glitzer-Outfit durch den Film marodieren darf. (Der Film läuft in Bonn im Rex und im Woki)