Marlene

Schon zu Lebzeiten war sie Legende. Irgendwann schien alles an ihr unwirklich, das Datum der Geburt, ihre Leinwand-Persönlichkeit als unnahbarer Vamp, ihre Affären, ihre Schönheit, zuletzt sogar ihr Leben selbst.

Marlene Dietrich (1901-1992) ist eine der wenigen Leinwandidole von zeitloser Qualität. Nach Maximilian Schells einfühlsamer dokumentarischer Annäherung "Marlene" von 1984 bestreitet nun Joseph Vilsmaiers Film den ganz anderen Weg eines ungeschlacht emotionalen Kintopps.

Die Handlung setzt ein im Jahre 1929. Marlene ist eine erfolglose Schauspielerin in Berlin, verheiratet mit dem biederen Rudi Sieber, mit dem sie eine kleine Tochter hat.

Der amerikanische Regisseur Joseph von Sternberg besetzt Marlene gegen die Widerstände des Stars Emil Jannings in der Hauptrolle des Films "Der blaue Engel" und nimmt sie noch am Premierenabend mit nach Hollywood.

Hier blüht der Mythos Marlene zu voller Größe. Leinwand-Image und Privatleben scheinen untrennbar miteinander zu verschmelzen.

Die Brücken zur Heimat aber bricht sie auch als internationaler Superstar nie ab. Vor allem die Liebe zu einem Offizier und Gutsherrn namens Carl (Heino Ferch) treibt Marlene immer wieder nach Europa. In den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs findet die große, heimliche Liebe ein jähes Ende.

Marlene ist Kult. Sie selbst und eine Menge Leute haben dafür gesorgt, und es ist dieser Fundus, aus dem sich der nun vorliegende melodramatische Bilderbogen speist.

Mit der Begeisterung eines Fans hat der Journalist Christian Pfannenschmidt in seinem ersten Drehbuch für einen Kinofilm zusammengerafft, was es an Spektakulärem, Halbwahrem und hinlänglich Bekanntem zu erfahren gab, und in jenen anekdotischen Erzählstil destilliert, der schon in Vilsmaiers Kassenhit "Comedian Harmonists" zu beobachten war.

Entsprechend hechelt die für deutsche Verhältnisse recht aufwendige Produktion etwas atemlos durch 16 aufwühlende Jahre zwischen Berlin und Hollywood.

Vilsmaier klotzt mit Stars in historischen Rollen (unter anderem Armin Rohde als Emil Jannings, Heiner Lauterbach als Erich Pommer, Herbert Knaup als Rudi Sieber, Christiane Paul als Kindermädchen Tamara), und sie alle spielen außerordentlich gut.

Mehr als schillernde Schlaglichter sind dabei aber kaum einmal herausgekommen. Das Drehbuch liefert keinen Raum zur Entwicklung, und die Regie beschränkt sich aufs Illustrative.

Lediglich der bislang vor allem als Bühnenakteur bekannte Hans Hermann Meyer kann als exzentrischer Regie-Visionär Joseph von Sternberg nachhaltige schauspielerische Akzente setzen, was einmal mehr Vilsmaiers Geschick für Besetzung unterstreicht.

Der wirkliche Coup aber gelang mit Katja Flint in der Titelrolle. Nicht nur erwirkt die bislang eher kühle Aktrice eine erstaunliche äußere Ähnlichkeit mit dem Vorbild, in den besten Momenten - interessanterweise beides Sangesnummern, einmal vor Soldaten an der Front und das berühmte letzte Konzert in der Carnegie Hall 1975 - geht die 39-Jährige in Gestik und Mimik vollkommen in der Rolle auf.

In diesen Augenblicken entfalten sich Persönlichkeit und Größe, die meiste Zeit sonst erlebt man ein leidlich unterhaltsames Bilderbuch, das jeglichen Ansätzen zur dramatischen Vertiefung aus dem Weg gegangen ist.

Dazu auch: "Jeder hat seine eigene Marlene im Kopf" - Interview mit Joseph Vilsmaier

(Film-Kritik aus dem General-Anzeiger)

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