Anspruchsvoller Whodunit Mystery-Horror von Format: Wenn "The Limehouse Golem" kommt
"The Limehouse Golem" ist ein anspruchsvoller Whodunit, angesiedelt in einer armseligen Gegend des viktorianischen London. Nicht nur Genre-Fans dürften sich von seiner Ausstattung, differenzierten Rollenfiguren und einigem psychosozialem Tiefgang gern fesseln lassen.
Es ist eine Elendswelt, wie man sie aus Dickens-Romanen zu kennen glaubt - und wo jederzeit ein Sherlock Holmes einem grausamen Verbrechen auf der Spur sein könnte.
Den Londoner Hafenbezirk Limehouse des Jahres 1880 malt der Regisseur Juan Carlos Medina ("Painless") atmosphäreträchtig und detailliert in düsteren Farben, nur wenig erhellt von flackerndem Gas- oder Kerzenlicht. Seeleute, Kleinhöker, gefallene, verlassene Frauen und hungernde Kinder hausen hier in engen Gassen in verkommenen Katen. Freude scheint allein das Varieté zu bieten, in dem der drastische Star-Clown Dan Leno (Douglas Booth) vor tobender Menge brilliert.
Kein Wunder, dass in solchem Umfeld "The Limehouse Golem" umgeht - so denn auch der Titel des britischen Mystery-Horror-Thrillers. Jemand, der schon mehrere Anwohner getötet hat. Und zwar so bestialisch, dass es sich nach Meinung der Leute dabei nur um den Golem handeln kann - jene aus der jüdischen Mythologie überlieferte Lehmfigur, die über gewaltige Kräfte verfügt.
Der elegante, seltsam introvertiert wirkende Inspektor Kildare (Bill Nighy, "The Best Exotic Marigold Hotel") soll den Fall lösen und dafür sorgen, dass wieder Ruhe im Viertel einkehrt. Schnell stößt er auf Lenos Bühnen-Kollegin Elizabeth Cree (Olivia Cooke), die ihren Mann vergiftet haben soll - und in die Vorfälle verwickelt sein könnte.
"The Limehouse Golem" nach dem Roman "Dan Leno & The Limehouse Golem" von Bestsellerautor Peter Ackroyd ist ein anspruchsvoller Whodunit, von dem sich nicht nur Genre-Fans gern fesseln lassen dürften. Die Ausstattung prunkt nicht zuletzt mit ihrer warm erleuchteten Music-Hall samt deren exzentrischer Akteure.
Der berühmteste von ihnen, Dan Leno, führt als eine Art Wegweiser durch den Film. Den Komiker, der sein Publikum mit furiosen Revuenummern leidender Frauen fasziniert, gab es wirklich. Er wurde reich und begeisterte selbst Edward VII., so dass man ihn "The King’s Jester" nannte - den "Narren des Königs". Von Lenos Sketch "Mrs. Kelly" ist im Internet eine Tonaufnahme von 1901 zu finden.
Eine andere real existierende Person, Karl Marx, taucht als eher entbehrliche Randfigur im Lesesaal der British Library auf. Indes gewinnt die spannende Genre-Story durch vielschichtige Rollenfiguren zusehens weiter an Format. Anrührend verkörpert etwa Cooke als angeklagte Mrs. Cree erst das misshandelte Mädchen, das mit naiver Begeisterung und Talent zur Bühne strebt, um dann als Ehefrau eines Autors einen respektablen sozialen Stand einzunehmen. Der nun schwer in Gefahr ist. Ihr Gegenspieler, Top-Mime Nighy, war erst kurzfristig als Scotland-Yard-Inspektor eingesprungen. Ursprünglich hatte Alan Rickman den Part übernehmen sollen - doch der Weltstar starb Anfang 2016.
Der von Nighy eindrucksvoll nobel und sympathisch dargestellte Kildare ist, wie man im Kollegenkreis über ihn raunt, "nicht der Typ, der heiratet". Man ahnt, dass dieser Vertreter der Staatsgewalt als damaliger Homosexueller noch ein ganzes anderes Leben unter Verschluss zu halten hat. Wie es überhaupt den eigentlichen Wert von "The Limehouse Golem" ausmacht, dass Menschen auftreten, deren Innen- und Triebleben im schwelenden Kontrast zur gesellschaftlichen Ordnung ihrer Zeit stehen.
"The Limehouse Golem", GB 2016, 105 Minuten, FSK: keine Angabe, von Juan Carlos Medina, mit Bill Nighy, Olivia Cooke, Douglas Booth.