"Destroyer" neu im Kino Nicole Kidman als wandelndes Wrack

BONN · In dem Film „Destroyer“ verkörpert US-Star Nicole Kidman eine verhärmte Gesetzeshüterin mit psychischem Knacks. Selten sah man ein Psychogramm so furios, präzis und rücksichtslos in die Leinwand geätzt.

 Fleckige Haut, stumpfes Haar: Nicole Kidman als Erin Bell.

Fleckige Haut, stumpfes Haar: Nicole Kidman als Erin Bell.

Foto: Concorde

Wie in Zeitlupe öffnen sich die Augen, gerötet und wässrig unter runzligen Lidern. Erin Bell sieht furchtbar aus. Fahle, fleckige Haut, stumpfes Haar. Ein einziger Blick in dieses früh verhärmte Gesicht erzählt eine lange Geschichte von schlimmen Tagen, noch schlimmeren Nächten – von einem gründlich misslungenen Leben.

Nicole Kidman verkörpert diese Frau, die vor 17 Jahren als forsche FBI-Agentin undercover in eine Bankräuber-Gang eingeschleust wurde und dort jenen Knacks bekam, der sie allmählich zum wandelnden Wrack gemacht hat.

Mit viel Mut zur Hässlichkeit

Nun gibt es berechtigte Vorbehalte gegenüber jenen Mut-zur-Hässlichkeit-Nummern, bei denen Stars ihre Schönheit generös an der Garderobe abgeben, um nach Drehschluss damit zu prahlen, wie gefährlich sie doch gerade mit der dunklen Seite geflirtet hätten.

Von solcher Effekthascherei ist Karyn Kusamas Los-Angeles-Thriller „Destroyer“ jedoch glücklicherweise weit entfernt. Nicole Kidman, die schon in „The Hours“ als auffällig unattraktive Virginia Woolf überzeugt hatte, verkörpert diese gefallene Gesetzeshüterin mit einer bohrenden Intensität, die nie billig um die Sympathie der Zuschauer buhlt. Selten sah man ein Psychogramm so furios, präzis und rücksichtslos in die Leinwand geätzt wie hier – am ehesten noch von Charlize Theron in „Monster“.

Und obwohl Kusamas Film eine ausgeglühte Seelenlandschaft spiegelt, kommt er mit verblüffend wenig Dialog aus: Erins todmüde Blicke, ihr unsicherer Gang und der in all ihrem Fatalismus noch lodernde Zorn sagen alles. Gleich zu Beginn stakst sie, zum Unmut ihrer Kollegen immer noch im Dienst, steifbeinig zu einem Tatort. Toter Mann in der Betonbrache, Blut und ein paar Dollars, die per Sicherheitstinte entwertet sind. Deren Violett wird zu einer Leitfarbe des Films, zum Symbol geplatzter Hoffnungen. Noch wichtiger für Erin aber sind jene drei wie Einschusslöcher tätowierten Punkte im Nacken der Leiche. Sofort erkennt sie das Markenzeichen jener Bande, die sie und ihr Partner Chris (Sebastian Stan) damals infiltrieren mussten. Und sie weiß: Deren Boss Silas ist wieder auf freiem Fuß.

Fintenreicher Story-Aufbau

Dies könnte der Startschuss zu einem geradlinigen Rachethriller sein, doch den verweigern die Drehbuchautoren Phil Hay und Matt Manfredi raffiniert. Während die Polizistin verbissen ihrer Nemesis nachjagt, fräst sich die Story in schlaglichthaften Rückblenden in den dunklen Kern des Dramas. Wobei man das, was Erin gebrochen haben mag, zwar irgendwie ahnt, in seiner verheerenden Tragweite aber erst spät begreift.

Dem jüngeren Ich der Heldin darf Kidman dann wieder ihre Porzellanhaut und verführerische Jugend geben, außerdem einen Hunger, den selbst riskanteste Ermittlungsarbeit nicht stillen kann. „Du willst mehr“, erkennt Silas, der bei Toby Kebbell weniger diabolische Grausamkeit als tiefenentspannte Unberechenbarkeit ausstrahlt. Überhaupt wirkt die Gruppe um den Boss und seine blonde Freundin Petra (Tatiana Maslany) wie eine dauerbekiffte Hippie-Kommune, in der nur gelegentlich Russisches Roulette gespielt wird.

Wenn es dann freilich gewaltsam zur Sache geht, zeigt Karyn Kusama jene kompromisslose Härte, die schon ihr Boxerinnen-Debüt „Girlfight“ (2000) zum Shootingstar des Sundance-Festivals gemacht hatte. Straff choreografiertes Adrenalinkick-Kino wie von Kathryn Bigelow. Und das funktioniert sowohl in der Gegenwart der reaktivierten Gang wie in deren blutiger Vergangenheit.

Ästhetisch sind diese Ebenen dank Julie Kirkwoods Kamera geschickt voneinander abgesetzt: Das aktuelle L.A. wirkt farblich ausgedörrt, zudem oft so diffus gleißend, als ob ein verkaterter Trinker in den viel zu frühen Tagesanbruch blinzelte. Die satteren Töne gehören jener Zeit, in der noch alles möglich schien.

Was seither alles schief gelaufen ist, sieht Erin an ihrer verstockten Tochter Shelby (Jade Pettyjohn), die nicht bei ihr lebt, kaum mit ihr spricht und obendrein mit einem nicht ganz ungefährlichen Macker herumhängt. Mit verzweifelter Energie versucht die Mutter, all dies zu ändern, denn es wird immer klarer: Der eigentliche „Destroyer“ ist weniger Silas als sie selbst. Sie hat die Liebe zu Chris ebenso zerstört wie ihr eigenes Glück und das ihrer Tochter. Abel Ferraras schuldbeladener „Bad Lieutenant“ lässt böse grüßen. Kidmans Figur gleicht auch einer Untoten auf der Geisterbahn. Dort begegnen ihr die Überlebenden der Bande ebenfalls als Zombies – krebszerfressen ans Bett gefesselt, angstgelähmt oder schnöde verlassen wie Petra. Geborgenheit, gar Heimat gibt es in dieser Gespenstergeschichte ohnehin nirgends, schon gar nicht bei den vielen Fahrten durch die Stadt der Engel. Denn der fehlt die innere Mitte ebenso wie der Hauptfigur.

Also eines langen Tages Reise in die Nacht? Irgendwie schon, wenn da nicht diese ungeheure Dringlichkeit wäre, mit der Erin Bell gegen jede Wahrscheinlichkeit um Vergebung kämpft. Den entscheidenden Showdown liefert sie sich nicht mit Silas, sondern mit Shelby in einem tristen Schnellrestaurant.

Verrückte Wanderung im Gebirge

Dabei kann sich die Tochter zuerst partout an kein positives Kindheitserlebnis erinnern. Aber war da nicht ganz früher jene verrückte Wanderung im Gebirge, als es zu schneien begann, dunkel wurde und das kleine Mädchen sich auf dem Rücken der Mutter trotzdem seltsam sicher fühlte?

Eine bizarr-poetische Episode, von der Regie bewusst in schöner Traumschwebe gehalten. Näher als in dieser Erinnerung ihrer Tochter wird Erin ihrer eigenen Erlösung nie mehr kommen.

In Köln in den Kinos Cinedom, Metropolis und Rex am Ring.

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