Preisgekrönter Musiker "Shut Up And Play The Piano": Doku über Chilly Gonzales

Berlin · Dreieinhalb Jahre begleitet der Journalist Philipp Jedicke den Grammy dekorierten Musiker Jason Charles Beck alias Chilly Gonzales. Herausgekommen ist sein erster Dokumentarfilm "Shut Up And Play The Piano".

 Der Musiker und Komponist Chilly Gonzales kombiniert Respekt und Respektlosigkeit gegenüber der Klassik.

Der Musiker und Komponist Chilly Gonzales kombiniert Respekt und Respektlosigkeit gegenüber der Klassik.

Foto: RapidEye Movies

Das Finale der Filmdokumentation "Shut Up And Play The Piano" von Philipp Jedicke könnte irrwitziger kaum sein. Und verdeutlicht zugleich, dass bei seinem Protagonisten Chilly Gonzales (46) Respekt und Respektlosigkeit gegenüber der Klassik koexistieren können.

Mit schweißnassem Haar, Pantoffeln und im schwarzen Satin-Bademantel liegt der kanadische Piano-Entertainer auf seinem Klavier, eingerahmt von dem 52-köpfigen Radio-Symphonieorchester Wien. "Und jetzt Crowdsurfing, los!", ruft er und lässt sich vom Publikum auf Händen durch den Saal tragen, während die Musiker des Orchesters den opulenten Soundtrack dazu spielen.

Da kann sich selbst Chefdirigent Cornelius Meister das Grinsen nicht verkneifen. Dabei hatte jener zuvor gar nicht mal so schmeichelnde Worte über Gonzales’ Fingerfertigkeit verloren. Er würde handwerklich nicht aus der Masse herausstechen, so der Orchesterleiter, und schlimmer noch: "Ich weiß gar nicht, ob der an einer deutschen oder österreichischen Musikhochschule die Aufnahmeprüfung für Klavier bestehen würde." Doch "Gonzo", wie ihn Freunde nennen, hat sich so eine überlebensgroße Bühnenfigur erschaffen, dass solche Worte an ihm abprallen dürften.

Oder etwa doch nicht? Die Dokumentation offenbart nämlich nicht nur seinen Größenwahn, sondern auch einige Selbstzweifel. Beispielsweise wenn der Künstler gesteht, dass er noch mal neu Noten habe lernen müssen und ihm das seinen Amateurstatus bewusst gemacht hätte. "In einer perfekten Welt könnte ich ein normaler Musiker sein", sagt Gonzales indes in einer anderen Szene fast ein wenig sehnsuchtsvoll.

Doch wie ist er überhaupt zu dem Künstler geworden, der er heute ist? Jedicke beleuchtet dafür das ambivalente Verhältnis zum Vater, einem ambitionierten Geschäftsmann, sowie dem Bruder Christophe Beck, der als Komponist für Hollywood-Filme finanziell noch erfolgreicher musiziert als Gonzales. "Ich wollte nicht nur besser als mein Bruder sein, sondern auch tiefgründiger", erklärt Gonzales seine Art der Abgrenzung. Zwischendurch wird immer wieder Schriftstellerin Sibylle Berg eingeblendet, die dem Musiker erstaunlich zahme Fragen stellt.

Ansonsten begeistert an der Doku das bisher unveröffentlichte Material aus Gonzales’ Privatarchiv: Man sieht den Künstler als glatzköpfigen Frontmann der Grunge-artigen Rockband Son. Oder beim frühen Freestyle-Rap-Jam in Toronto mit den Kolleginnen Peaches und Leslie Feist, die längst selbst erfolgreiche Popstars sind und mit ihrer Bewunderung über den Kumpel nicht hinterm Berg halten. Auch an die Zeit Ende der Neunziger, als aus Jason Charles Beck der Wahl-Berliner Gonzales wurde, der sich mit einer Pressekonferenz zum "Präsidenten des Berliner Undergrounds" empfahl, wird erinnert. Und man wird das Gefühl nicht los, dass es damals noch etwas wilder zuging in den Indie-Clubs der Hauptstadt.

Shut Up And Play The Piano, Deutschland 2018, 85 Min., FSK ab 0, von Philipp Jedicke, u.a. mit Chilly Gonzales, Sibylle Berg, Peaches, Leslie Feist, Jarvis Cocker

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