Snow Cake

Das Autisten-Porträt lebt von Wechselbädern der Gefühle und szenischen Pointen

Snow Cake
Foto: Kinowelt

Dass Alex (Alan Rickman) nicht gerne spricht, ahnt man schon bei der Eingangssequenz. Da sieht man den Engländer, wie er im Flugzeug gedankenverloren und traurig auf das Foto eines jungen Mannes starrt.

Es ist diese Traurigkeit, die wenig später Vivienne, eine junge Anhalterin, dazu bringt, ausgerechnet ihn in dem Diner im kanadischen Ontario anzusprechen. Unterwegs auf den verschneiten Straßen Ontarios beginnt ein launisch-verschmitzter Dialog, bei dem Alex den Redeschwall des Mädchen mit süffisanter Ironie kontert. Als Alex ihr offenbart, dass er wegen Totschlag im Gefängnis gesessen habe, bleibt sie gelassen.

Gerade hat man sich eingerichtet in dem spleenigen Roadmovie, da schießt ein Lastwagen ins Bild und katapultiert den Zuschauer in eine neue Ausgangslage. Alex, zu dessen ehe schon tonnenschweren Traumata sich nun noch eine tote Tramperin gesellt, beschließt die Mutter des Mädchens, Linda (Sigourney Weaver), ausfindig zu machen. Doch beim Kondolenzbesuch muss er feststellen, dass die Frau sich mehr um den Müll sorgt als um das Ableben ihrer Tochter. Linda ist Autistin und in ihren Gefühlsausbrüchen unberechenbar.

Da Lindas Eltern gerade nicht auffindbar sind, beschließt Alex, bis zur Beerdigung zu bleiben - oder bis zum Tag, an dem der Müll weggebracht werden muss, denn das ist eine Aufgabe, die Linda keinesfalls selber bewältigen kann. Davor hat sie panische Angst. Dafür liebt sie den Schnee umso mehr. Wie ein kleines Kind beim ersten Schneefall wälzt sie sich im kalten Weiß und stopft sich den Mund voll Schnee, als sei es eine Köstlichkeit.

So verspielt Linda auch sein kann, so barsch reagiert sie auf andere Menschen. Das muss Alex nicht nur am eigenen Leibe erfahren, auch Maggie (Carrie-Anne Moss), die hilfsbereite und hübsche Nachbarin, bekommt ihr Fett weg.

Von Wechselbädern der Gefühle und szenischen Pointen lebt Marc Evans' Tragikomödie "Snow Cake". Die Ticks der Autistin locken Alex aus der Reserve. Immer stärker sieht er sich gezwungen, seine eigene Vergangenheit zu bewältigen, um wieder Boden unter den Füßen zu finden. Auf seine eigene Art ist auch Alex ein Autist, nur dass sich sein Zustand, anders als der von Linda, nachhaltig beeinflussen lässt.

Wie schon Dustin Hoffman in "Rain Man" gibt sich auch Sigourney Weaver bei der Darstellung von Lindas Autismus alle Mühe, möglichst authentisch zu erscheinen. Noch stärker als ihr zuweilen überpointiertes Spiel wirkt aber Alan Rickman, dessen allmähliches Auftauen den Film prägt. Sein Werdegang ist ein trotziges Plädoyer für Vergebung und Toleranz.

Ganz großes Kino ist dem Amerikaner Evans bei seinem seelischen Schneegestöber aber dennoch nicht gelungen. Dafür wirkt der Film im seinem Aufbau zu vorhersehbar. Die Entwicklungsschritte sind so ordentlich aufgereiht wie die Schneekugeln in Lindas Wohnung.

(Film-Kritik aus dem General-Anzeiger)

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