Filmkritik zu „Spencer“ Tanz im engen Korsett der Konventionen

Bonn · In „Spencer“ zeigt Pablo Larraín die Prinzessin von Wales in radikaler Subjektivität und beklemmenden Bildern. Kristen Stewart macht Diana im Kern zu ihrer eigenen Version. Unsere Kritik zum sehenswerten Kino-Neustart.

 Als wäre es Diana selbst: Kristen Stewart verkörpert die Prinzessin von Wales als Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Als wäre es Diana selbst: Kristen Stewart verkörpert die Prinzessin von Wales als Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Foto: dpa/KomplizenFilm

Eine Militärkolonne bahnt sich den Weg durch die winterliche Landschaft. Jeeps und Lastwagen fahren auf den gekiesten Wegen des königlichen Landsitzes vor. Bewaffnete Soldaten laden die Armeekisten ab und reihen sie sorgfältig in der Küche auf. In den Behältern befinden sich Früchte, Hummer, Fleisch- und Wurstwaren für das Weihnachtsmahl der britischen Königsfamilie. Dem militärischen Aufmarsch setzt Pablo Larraín zu Beginn seines Filmes „Spencer“ die Aufnahmen eines offenen Porsche-Cabriolets entgegen, das über die Landstraße saust. Darin sitzt mit wehender, blonder Föhnfrisur Diana (Kristen Stewart). Die Princess of Wales hat alle Sicherheitsauflagen hinter sich gelassen, ist einfach losgefahren und hat sich verirrt. „Wo bin ich?“, fragt sie an der Raststätte frappiert dreinschauende Restaurantgäste.

Die Frage ist für Diana, geborene Spencer, auch zehn Jahre, nachdem sie ins Haus Windsor eingeheiratet hat, schwer zu beantworten. Das Leben im königlichen Setting fühlt sich für sie nicht real an, es besteht aus einer endlosen Aneinanderreihung von Protokollvorschriften. In ihren Gemächern sind die Kleider für jede einzelne Mahlzeit an den drei Weihnachtstagen aufgereiht. „POW“ steht auf den Hüllen – die Abkürzung für „Princess of Wales“, aber auch für „Prisoner of War“. Sie hält das Kostüm vor ihren Körper. „Das passt nicht“ sagt sie. „Haben Sie es denn schon anprobiert?“ fragt die Ankleidedame. „Zu meiner Stimmung“ entgegnet Diana schnippisch. Stimmungen – dafür ist kein Platz im Weihnachtsplan, aber Lady Di ist voller ständig wechselnder Gemütslagen. Jede der zahllosen Mahlzeiten ist für die an Bulimie leidende Prinzessin eine Qual. Am Tisch reißt sie sich die Kette vom Hals und stopft die dicken Perlen zusammen mit der Suppe in sich hinein.

Eine Fantasie, wie sich zeigt, und nur eine von vielen Horrorvorstellungen, die Diana in jüngster Zeit heimsuchen. „Du musst in der Lage sein, deinen Körper dazu zu bringen, Dinge zu tun, die du hasst“, sagt Ehemann Charles (Jack Farthing) zu Diana, die verhindern will, dass die beiden Söhne gegen ihren Willen mit zur Fasanenjagd gehen müssen. Und dann steht sie plötzlich mitten in der Schusslinie und büxst vor versammelter Jagdgesellschaft mit den Jungs aus, um wenigstens einen Nachmittag lang bei Cola, Pommes und Kentucky Fried Chicken ein wenig Normalität zu spüren.

Mit dem 60.Geburtstag der Prinzessin der Herzen, die 1997 bei einem Autounfall umkam, wurde im vergangenen Jahr eine regelrechte Diana-Renaissance eingeleitet. Die 4.Staffel der Netflix-Serie „The Crown“ widmete der jungen Diana zwei vollständige Episoden. Am Broadway (und bei Netflix) feierte „Diana – das Musical“ kürzlich seine Premiere. Und nun nähert sich der chilenische Regisseur Pablo Larraín dem Phänomen Lady Di mit den Mitteln des Arthouse-Kinos. Sein „Spencer“ darf keinesfalls als historisch verbriefte Biografie missverstanden werden. Mit der Realität hat der Film genauso wenig zu tun wie mit den miefigen Konventionen des Biopics.

Wie schon in „Jackie“ (2016) über die frisch verwitwete Jackie Kennedy verschreibt sich Larraín auch in „Spencer“ der radikalen Subjektivität seiner weiblichen Hauptfigur. In beklemmenden Bildern und zu einem disharmonischen Musik-Score zeigt „Spencer“ eine Frau, die im engen Korsett königlicher Konventionen zu tanzen versucht und dabei stets zu ersticken droht. Kristen Stewart spielt die Frau am Randes des Nervenzusammenbruchs mit einer gezielt surrealen, kurzatmigen Präsenz, mit der sie die reale Figur nur skizzenhaft imitiert und im Kern zu ihrer eigenen Version macht.

Über weite Strecken wirkt „Spencer“ nicht nur in seinen albtraumartigen Ausflügen wie ein Horrorfilm. Die Geister der Vergangenheit scheinen in den königlichen Gemäuern, für die übrigens Schloss Nordkirchen im südlichen Münsterland als Kulisse diente, auch in der Gegenwart das Protokoll zu bestimmen. Der Weg aus dem goldenen Käfig führt für Diana durch das verlassene Elternhaus hin zu ihren Kindern, die sie immer wieder aus ihrer Depression herausreißen. Wenn sie mit den beiden Jungs im Porsche davonbraust, fühlt sich das fast schon wie ein Happy End an. Wüsste man es nicht besser. (Der Film läuft in Bonn im Rex, im Stern und im Kinopolis)

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