Kritik zum Kino-Neustart "The Banshees of Inisherin" ist ein meisterhafter Film

Bonn · Witz und Lebensweisheit: Martin McDonaghs meisterhafter Film „The Banshees of Inisherin“ erzählt vom abrupten Ende einer Männerfreundschaft.

 Brendan Gleeson (links) als Colm Doherty und Colin Farrell als Pádraic Súilleabháin in „The Banshees Of Inisherin“.

Brendan Gleeson (links) als Colm Doherty und Colin Farrell als Pádraic Súilleabháin in „The Banshees Of Inisherin“.

Foto: dpa/-

Menschliche Nähe ist niemals einfach und häufig kompliziert. In Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“ sind zwei Männer, Vladimir und Estragon, in einer Schicksalsgemeinschaft vereint, aus der es kein Entrinnen gibt: Sie warten (vergeblich) auf Godot. Estragon brachte die erzwungene Zweisamkeit auf eine berühmte Formel: „Rühr mich nicht an! Nichts fragen! Nichts sagen! Bleib bei mir!“ Das war 1955.

68 Jahre später begegnet das Kinopublikum in Martin McDonaghs Film „The Banshees of Inisherin“ zwei Nachfahren der Beckett-Tramps. Sie heißen Colm und Pádraic, verkörpert von Brendan Gleeson und Colin Farrell. 2008 machten sie sich in McDonaghs „Brügge sehen ... und sterben?“ als philosophierende Profikiller unsterblich. Jetzt bilden sie auf der fiktiven Insel Inisherin vor der Westküste Irlands ein Freundespaar, das Geborgenheit im Ritual findet: beim täglichen Bier in der Dorfkneipe. Die Handlung spielt im Jahr 1923, in dem der irische Bürgerkrieg endet und in dessen Folge der irische Freistaat entsteht. Die Gewalt auf dem Festland ist im Film nur wie ein entferntes Grollen wahrnehmbar. Auf Inisherin beschäftigen sich die Menschen vor allem mit sich selbst.

Er mag ihn nicht mehr

1923 bedeutet eine Zäsur im Leben von Pádraic und Colm. „I just don’t like you no more“, eröffnet Colm seinem konsternierten Freund. Er mag ihn einfach nicht mehr. Colm kündigt die Beziehung auf, weil er den ausgewiesenen Menschen- und Tierfreund Pádraic plötzlich für beschränkt und langweilig hält. Weil er überdies der Endlichkeit seiner Existenz bewusst ist, an der Bedeutung von Kunst zweifelt, aber der Welt noch etwas hinterlassen will: eine eigene Komposition. Pádraic lässt das alles nicht gelten und provoziert damit einschneidende Maßnahmen der neben seiner Schwester Siobhán (Kerry Condon) für ihn wichtigsten Bezugsperson.

Das Männer-Drama entfaltet sich in Form einer Tragikomödie mit Dialogen voller Witz und Lebensweisheit, unerwarteter szenischer Pointen und sinnlicher, oft obszöner irischer Sprachmusik; die beherrscht auch ein Priester virtuos. Man kann den Film als Liebesunglücksgeschichte lesen und als Sinnbild des Lebens betrachten mit seinen Verheißungen und Verletzungen, Erfolgsspuren und Sackgassen. McDonagh und sein fabelhaftes Ensemble sind dabei textlich immer auf der Höhe von Beckett. Dabei erscheint keine Szene wie abgefilmtes Theater, hier triumphiert Kino als Kunstform. Farrell und Gleeson erschaffen unvergessliche Figuren. Colm brütende Unnachgiebigkeit kontrastiert mit Farrells hilflosen Versuchen, das Unabwendbare zu verhindern. In einer hochemotionalen Szene im Pub konfrontiert er betrunken den abtrünnigen Freund und versucht ihn davon zu überzeugen, dass Menschenfreundlichkeit intellektuelle Unzulänglichkeit aufwiege, sogar Musik, Poesie und Malerei. Ein atemberaubender, zu Herzen gehender Moment.

Die beiden Hauptdarsteller sind eingebunden in ein starkes Netzwerk von Nebenfiguren: Siobhán, der Kerry Condon eine feurige Lebensenergie verleiht; Dominic (Barry Keoghan), der nach Zuneigung süchtige (angebliche) Dorftrottel; sein Vater (Gary Lydon), der übergriffige Polizist; Jonjo Devine (Pat Shortt), der skurrile Kneipenwirt. Auch die Tiere spielen mit. Hund, Kuh, Pferd und vor allem Mini-Esel Jenny entwickeln ein eigenes Rollenprofil.

Carter Burwell liefert das musikalische Fundament des knapp zweistündigen Films, in dem Gleeson seine Komposition „The Banshees of Inisherin“ selbst vorstellt. Kameramann Ben Davis versteht sich als Seelenlandschaftsmaler, seine poetische Bildersprache passt sich den aufgerufenen Gefühlen an. Sie feiert auch die Schönheit Irlands und verwandelt das Meer gleichsam in den Fluss Styx, an dessen Ufer eine bleiche Todesfee („Banshee“) einladend winkt.

Der Besucher verlässt das Rex-Kino beglückt, bewegt und aufgewühlt. Was tun? Vielleicht ein Besuch im Irish Pub. The Fiddlers ist gleich nebenan. (Der Film läuft im Rex in Bonn)

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