The Million Dollar Hotel

Als Gott den Menschen den Sinn für Humor schenkte, war Wim Wenders bekanntlich gerade auf der Toilette. Nun aber hat sich das Bild dieses ernsthaften deutschen Filmemachers dramatisch gewandelt.

"The Million Dollar Hotel", das Wenders-Werk, mit dem die 50. Internationalen Filmfestspiele in Berlin eröffnet werden, besitzt Witz, Esprit, Leichtigkeit; eine halbe Stunde lang.

Danach tritt der Film den Rückzug in jene Bezirke an, in denen unendlich tief empfunden und prätentiös geredet wird.

Ein Mann ist vom Dach des Million Dollar Hotels in Downtown Los Angeles gefallen. Mord? Selbstmord? Zufall? Ein Fall, soviel ist klar, für Special Agent Skinner vom FBI, der es mit einer stattlichen Anzahl von, vorsichtig ausgedrückt, persönlichkeitsgestörten Hotelinsassen zu tun bekommt.

Das Million Dollar Hotel ist ein richtiges Kuckucksnest.

Es ist das Jahr 2001, und ein Mann, der schon früher einmal aus der Zukunft kam, schlüpft in die Rolle des FBI-Agenten: Mel Gibson. Hier darf er Mad Mel sein, der Polizist als Psychopath - ein naher Verwandter von Robocop.

Er steckt in einem High-Tech-Stützkorsett, da ihm einst ein unterdessen chirurgisch entfernter dritter Arm aus dem Rücken gewachsen war. Nun ist er im Wortsinn unbeugsam.

Gibsons herrlich ausgespielte Allmacht stößt an ihre Grenzen, wenn er Leute wie den spleenigen Dixie (Peter Stormare) ausquetschen will, den, wie er vorgibt, "in Vergessenheit geratenen Beatle". Dixie residiert in einem Hotelzimmer, das eine Hommage ist an die psychedelischen Sechziger, an die Beatles - und an seinen eigenen Größenwahn.

Die Konfrontationen zwischen Gibson und Stormare gehören zu den schönsten Szenen im Werk von Wim Wenders, der zuletzt viel Geschick (und geschäftliches Gespür) dabei bewies, junggebliebene Sangesgreise aus Kuba aufzunehmen.

Eine meisterhafte Miniatur ist der märchenhafte Beginn des neuen Films. Der Morgen dämmert in Downtown Los Angeles. Jeremy Davies als Tom Tom ist aufs Dach des Hotels gestiegen und läuft los.

Die Zeitlupe verlangsamt die Bewegungen des jungen Mannes, der nicht aufhört zu laufen. Und dann springt er, und Bono singt: "For the first time I feel love."

Tom Tom ist das Zentrum und der - aus dem Jenseits berichtende - Erzähler des Films. Dessen Geschichte ist dem Kopf des U2-Sängers Bono entsprungen. Nicholas Klein, der für Wenders bereits das Drehbuch zu "Am Ende der Gewalt" geschrieben hat, hat die Idee fürs Kino ausgearbeitet.

"The Million Dollar Hotel" vereint Elemente des Thrillers, der Lovestory, der Medienkritik ("Nicht alles, was im Fernsehen vorkommt, ist wahr"), der Kunstbetriebssatire.

Der Film ist eine Hommage an die Ausgeflippten, die Außenseiter, die auf sympathische Weise Verrückten, denen Wenders sich nahe fühlt und die von sich sagen: "We''re all fucked up."

"The Million Dollar Hotel" ist auch eine Liebeserklärung an die wunderschöne Schauspielerin Milla Jovovich, von der Phedon Papamichaels Kamera nie genug bekommen kann. Eloise, in die sich Tom Tom unsterblich verliebt hat, bewegt sich wie das Prinzip Romantik durch den Film.

"Ich kann nicht sterben", sagt sie. "Ich existiere nicht. Ich bin Fiktion." Wie Jeremy Davies'' Tom Tom besitzt sie eine engelhafte Unschuld, die sich im Milieu des Hotels exotisch ausnimmt. Wenders und sein Kameramann evozieren dieses Milieu mit starken, poetisch aufgeladenen Hell-Dunkel-Kontrasten.

Sie erfinden für die sich entfaltende Liebesgeschichte und den nach kurzer Zeit merkwürdig stagnierenden Kriminalfall wechselnde, unwirklich und geheimnisvoll anmutende Perspektiven.

Dem stilistischen Ehrgeiz ist eine These hoffnungslos unterlegen, die Wenders hier ins Recht setzen will: dass großes, wahres, unbedingtes Gefühl den seelisch Labilen vorbehalten sei.

Eine sympathische Idee, die leider durch nichts belegt ist. In "The Million Dollar Hotel" wird sie durch die ermüdende Psycho-Gestik der beiden Hauptfiguren und den angestrengten lyrischen Ton nicht glaubhafter.

(Film-Kritik aus dem General-Anzeiger)

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