Neu im Kino "Werk ohne Autor": Das Trauma wird zur Kunst

Florian Henckel von Donnersmarcks überladener Film „Werk ohne Autor“ orientiert sich frei an Gerhard Richter. Das auf Überwältigung ausgerichtete Werk ist von einer gewissen Seelenlosigkeit durchdrungen, meint unser Kritiker.

 Tom Schilling als Kurt Barnert in dem Film "Werk ohne Autor"

Tom Schilling als Kurt Barnert in dem Film "Werk ohne Autor"

Foto: epd

Sieh nicht weg!“ hatte die Tante den kleinen Neffen stets aufgefordert. Nun wird sie gewaltsam in den Krankenwagen gezerrt und schon bald zum Opfer des NS-Euthanasieprogramms werden. Der Junge sieht hin, hält jedoch die leicht gespreizte Hand eine halbe Armlänge vor die Augen. Die grausame Realität dahinter bleibt sichtbar, aber ihre Konturen verschwimmen. Florian Henckel von Donnersmarck hat diese Szene in seinem neuen Film „Werk ohne Autor“ als Schlüsselmoment ausgewiesen. Sie belegt einerseits die traumatische Erfahrung, die den Jungen und späteren Maler Kurt Barnert ein Leben lang verfolgen wird.

Zum anderen zeigt sie mit dem Blick durch die gespreizte Hand, wie durch den künstlerischen Eingriff die schmerzhaften Wirklichkeitserfahrungen kompensiert werden. Von Donnersmarck macht sich in seinem 188 Filmminuten umfassenden Werk auf die Suche nach den Quellen des künstlerischen Schaffens, und er tut dies vor dem Hintergrund der gewalttätigen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Nach dem kometenhaften Aufstieg mit seinem oscarprämierten Debüt „Das Leben der Anderen“ (2006) und dem enttäuschenden US-Debüt „The Tourist“ (2010) wurde es lange Zeit still um den deutschen Regiestar, der nun von der filmförderungsfreundlichen Heimat aus sein Karriere-Relaunch startet.

Als eigener Quell der Inspiration diente Donnersmarck dabei die Biografie des Malers Gerhard Richter, die hier jedoch großzügig mit fiktiven Zuspitzungen dramatisch aufgepolstert wurde. Der Film beginnt mit einem Rundgang durch die NS-Ausstellung „Entartete Kunst“. Die Werke der Moderne beeindrucken den zehnjährigen Kurt, auch wenn die ideologischen Ausschweifungen des Museumsführers (Lars Eidinger) ihn an seinem Berufswunsch zweifeln lassen.

Bald darauf wird die geliebte, schizophrene Tante (Saskia Rosendahl) abgeholt und im Konzentrationslager ermordet. Donnersmarck nimmt hier sein eigenes Credo allzu wörtlich und zeigt den Tod in der Gaskammer, den er mit schwülstigen Orchestertönen unterlegt. Damit nicht genug, holt er zu einer Parallelmontage aus, die die Ermordung im KZ mit der Bombardierung Dresdens und dem Tod von Kurts Bruder auf dem Schlachtfeld nebeneinander schneidet. Dass er mit dieser visuellen Gleichstellung von Vernichtungslagern und Alliiertenbombardierung ein beliebtes rechtsextremistisches Argumentationsmuster bedient, scheint dem Regisseur im Rausch der Inszenierung gar nicht bewusst zu sein. Donnersmarck hat Höheres im Sinn. Oben in den Wipfeln einer Eiche durchweht Kurt (Tom Schilling) mit dem Wind auch der Hauch künstlerischer Eingebung. Aber erst einmal muss das junge Genie auf die Kunsthochschule in der jungen DDR, wo er stolze Arbeiter und Bauern in Wandgemälden verewigt. Dort verliebt er sich in die Modegestalterin Elisabeth (Paula Beer) – die Tochter jenes SS-Gynäkologen Professor Seeband (Sebastian Koch), der mit seinem ärztliche „Gutachten“ die Ermordung der Tante angeordnet hat. Bald schon wird es dem Künstler zu eng im DDR-Korsett und er flüchtet in den Westen, wo an der Düsseldorfer Kunsthochschule die Avantgarde Feste feiert.

Und als er dann beginnt, das Foto seiner Tante abzumalen und durch Verwischungen zu verfremden, ist es erneut der Wind, der einen Fensterladen zuklappt, die Projektion des SS-Arztes direkt über die seines Opfers legt und für den Maler einen Moment der Offenbarung generiert. Das Trauma wird in Kunst verwandelt. Donnersmarcks dritter, sehr abendfüllender Spielfilm kommt fast in jeder Szene mit dem Gestus des Meisterwerkes daher, womit die Schlichtheit so mancher Erkenntnis nicht ohne Geschick übermalt wird. In technischer Perfektion und akkurater historischer Ausstattung erstrahlt „Werk ohne Autor“. Aber obwohl es von den künstlerischen Selbstheilungskräften der Seele erzählen will, ist das auf Überwältigung ausgerichtete Werk von einer gewissen Seelenlosigkeit durchdrungen und droht stets am eigenen Kalkül zu ersticken.

⋌Rex, Stern, Kinopolis

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