Das Alphabet bestimmt den Weg Ein Spaziergang von A wie Abtstraße bis Z wie Zweimühlenweg

BONN · In einer kleinen Straße bin ich hier gelandet. Sie windet sich durch den historischen Ortskern von Bonn-Vilich. Der elektrische Rollstuhl einer Seniorin surrt leise an mir vorbei den Hang hinauf, aus der anderen Richtung höre ich schon den Motor eines Oldtimers brummen.

 A wie Abtstraße.

A wie Abtstraße.

Foto: LANNERT

Die ungleichen Gefährte begegnen sich in einer Kurve, werden kurz langsamer, man grüßt einander. Dann geht der Sonntagsausflug weiter. Um Bonn kennenzulernen, will ich von der "Abtstraße", die im Bonner Straßenverzeichnis an erster Stelle steht, bis zum "Zweimühlenweg" wandern. Praktischerweise sind beide Straßen nur knapp fünf Kilometer voneinander entfernt. Das geht zu Fuß.

Nach dem kleinen Marsch durch den Ort Vilich bin ich endlich da: Die Abtstraße liegt im Herzen von Geislar und hat ihren Namen von einem Hof, der zur Abtei Siegburg gehörte. Noch etwas früher hieß sie Bonngasse oder Bungaß - Heimatforscher vermuten, dass damit nicht die Stadt gemeint war, sondern der früher bohnenähnliche Straßenverlauf.

An diesem Sonntagnachmittag duftet es aus den Häusern an der Abtstraße nach Butter und geschmorten Zwiebeln. Ich komme zur zentralen Haltestelle des Ortsteils, Geislar Mitte. Von hier aus führt mich mein Weg - wie passend - in die Baguettestraße. Namensgeber war nicht das französische Brot, sondern der erste Pastor Geislars, Johannes Baguette. Der gewundene Pfad führt zur Kirche St. Joseph - an diesem Nachmittag bin ich alleine hier, der Pfarrer steigt gerade ins Auto und fährt weg.

Wenige Minuten später bin ich schon am Ortsrand. An einem Feld hat jemand ein liebevoll gebasteltes Holzkreuz und einen Strauß Mohnblumen abgelegt. "Hier ruht Timmy", verrät die krakelige Kinderhandschrift darauf. "Geboren Sommer 2012, gestorben 13. Juni 2013." Ob Timmy eines natürlichen Todes gestorben ist, verrät das Kreuz nicht. Auch nicht, welcher Spezies er angehörte. Aber er wird offensichtlich sehr betrauert. Purpurrote Mohnblumen säumen den Weg, knorrige Apfelbäume und Pferdeweiden.

An einer alten Eiche muss ich mich entscheiden: Geradeaus, links oder rechts? Die Bank im Baumschatten sieht aus wie der perfekte Treffpunkt für ein Liebespaar. Ein Blick auf die Karte zeigt: Der Weg nach rechts ist der kürzeste zum Ziel.

Die Gegend hier in der Nähe der Autobahn 565 wird gradliniger, mit mehr Asphalt. Jede Menge Fahrradfahrer sind unterwegs: Familien mit kleinen Kindern, ältere Paare, eine Gruppe Frauen, die in Zweierreihen an mir vorbeifährt und die Zeit für ausgiebige Gespräche nutzt. Um den Zweimühlenweg zu erreichen, muss ich die Friedrich-Ebert-Brücke überqueren. Nicht gerade ein lauschiges Plätzchen: Ein Auto nach dem anderen saust an mir vorbei, die Straße macht einen Höllenlärm, der Weg zieht sich. Vielleicht war diese A-bis-Z-Reise doch keine so tolle Idee. Unter mir strahlen verlockend die tiefblauen Schwimmbecken des Römerbades.

Doch dann liegt die Brücke endlich hinter mir. Jetzt ist das Ziel nur noch etwa 300 Meter entfernt. Ich komme an einer alten Tankstelle vorbei, die hinter einem Maschendrahtzaun und meterhohem Gebüsch versteckt liegt. Anstelle von Zapfsäulen stehen hier eine ausrangierte Hollywoodschaukel und Stühle, aus Spalten im Asphalt schiebt sich die Natur hervor. "Betre ... verboten" steht in riesigen weißen Lettern auf dem Boden - die fehlenden Buchstaben sind von Farnen überwuchert. Später lese ich im hiesigen "Dat Blättche", dass der Ortsausschuss Auerberg sich seit Jahren wünscht, "diesen Schandfleck" zu beseitigen und ihn gerne durch einen neuen Verkehrskreisel ersetzen würde.

Schließlich erreiche ich mein Ziel - den Zweimühlenweg. Hier ist es ebenso beschaulich wie an meinem Startpunkt. Woher dieser Weg seinen Namen hat, ist nicht überliefert - Historiker gehen davon aus, dass die Hafer-, Reis- und Weizenmühlen auf der benachbarten ehemaligen Industrieanlage Auerberg namensgebend waren. Heute nutzt der Unternehmer Frank Asbeck das Gelände mit seiner Firma Solarworld.

Der Zweimühlenweg ist eine kurze Gasse inmitten eines Wohnviertels. Zwischen Bauminseln gibt es Parkbuchten, dahinter stehen Reihenhäuser mit ordentlich gepflegten Gärten. Die Wanderung war nicht ganz so naturnah wie erhofft, macht aber Lust auf mehr. Als nächstes könnte ich von der "Acherstraße" bis "Zur Siegaue" wandern. Oder vom Babette-Koch-Weg in die Yorckstraße? Das Alphabet bietet schließlich noch einige Möglichkeiten.

Von Köln nach Bonn: Studenten der Kölner Journalistenschule waren für den GA in Bonn unterwegs. In lockerer Folge stellen wir ihre Sommer-Reportagen vor.

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