Bonn und Region Einmal "Früher" und zurück: Mit einem alten Reiseführer unterwegs

Bonn · Mit einem veralteten Reiseführer durch die Region von heute: Von verschwundenen Kneipen und verbliebenem Regierungsflair

Vergilbtes Papier und der dazugehörige Muff. Auf dem Titelbild eine Limousine mit Bundesadler, im Hintergrund eine weiße Villa mit gehisster Flagge. Das Merian-Magazin über Bonn ist von 1976, als Berlin noch in weiter Ferne lag. Mal gucken, was man mit dem antiquarischen Reiseführer heute noch anfangen kann. Mit dabei auf meiner Tour durch die Region zwischen Früher und Heute: ein Bonner Stadtplan von 1980.

Mein erstes Ziel: der Drachenfels. Hier, so der Reiseführer, habe Heine "Die Nacht auf dem Drachenfels" geschrieben. Wie er dort hingekommen ist, wurde nicht überliefert. Mich fordert der Plan auf, die Linie H der Stadtbahn zu besteigen, aber nirgendwo ein entsprechender Hinweis. Mir dämmert, dass es die Linie nicht mehr gibt; ein Reisecenter-Mitarbeiter der Deutschen Bahn hilft: "Nach Königswinter kommen Sie mit der U-Bahn, Linie 66." Mein Stadtplan kennt beides nicht.

30 Minuten später geht es von Königswinter aus mit der Drachenfelsbahn weiter. Seit dem 17. Juli 1883 ist sie in Betrieb. Dunkelrote Lederpolster, Holzverkleidung, es riecht nach Antiquariat. Das Zahnradbähnchen ächzt, doch oben wartet hinter den Schiebetüren die Gegenwart. Für den Glaskubus des neuen Drachenfels-Plateaus wurde der Betonbau aus den 70ern abgerissen.

Ansonsten werden alle Versprechen von 1976 eingelöst: grandiose Aussicht und viele Besucher. Auch Esel gibt es noch, die tragen aber nur Kinder an Wochenenden und nur bei schönem Wetter den Berg hoch.

Regierungsviertel

Wenn ich irgendwo in Bonn noch Reste von Hauptstadtluft schnuppern kann, dann wohl im Ex-Regierungsviertel, denke ich mir. 1976 hatte Bonn 284.000 Einwohner, rund 70.000 davon waren Bundesbedienstete oder Diplomaten oder Journalisten. "Nichts unterscheidet jene Damen und Herren von anderen Sterblichen", lehrt mich der Merian, "der Tourist bemerkt sie nicht, aber sie sind vorhanden."

Normal sterblich hin oder her: Außer mir steigt niemand aus an der Haltestelle Museum Koenig. Ein Schild an der Rolltreppe - "links gehen, rechts stehen" - zeigt, dass hier auch schon mal mehr Verkehr herrscht. Ich navigiere mich per Stadtplan in das Regierungsviertel a. D.. "Zahnlückengegend" haben die Merian-Autoren dieses Viertel getauft: "Ins Provisorium wurde planlos immer mehr Beton hinein gegossen."

Mehr Glas als Beton zeigt der ehemalige Plenarsaal des Deutschen Bundestages, fertig gestellt ein Jahr vor dem Umzug der Regierung 1991 nach Berlin. Daneben das Bundeshaus, in dem früher der Bundesrat tagte. Heute sitzen hier Organisationen der Vereinten Nationen, Teile werden privatwirtschaftlich genutzt.

Nebenan der laut Merian "schwerste architektonische Sündenfall" Bonns: das ehemalige Bundeskanzleramt, für meinen Reiseführer ein Gebäude "von brutaler Klotzigkeit". Hier sitzt heute das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es ist nach fünf, der Parkplatz leert sich. Früher wurde vermutlich länger gearbeitet.

Ich suche weiter nach Regierungsflair. Die Villa Hammerschmidt, das Schloss Bellevue der Vergangenheit, wurde früher auch "Weißes Haus am Rhein" genannt. Hier residierten die Bundespräsidenten von Heuss bis zu von Weizsäcker, der dann 1994 seinen Amtssitz nach Berlin verlegte. Die Villa fungiert immer noch als Bundespräsidenten-Zweitsitz. Ist der Bundespräsident da, wird der Bundesadler gehisst, so wie auf dem alten Merian-Titel. Seit 2011 kann man sich hier standesamtlich trauen lassen.

Auch das Palais Schaumburg dient noch als offizieller Zweitsitz, und zwar der Bundeskanzlerin. Tatsächlich beantworten von hier aus rund 30 Mitarbeiter die Briefe an Frau Merkel. Vom Geist großer Politik ist dennoch nicht viel zu spüren.

Studentenkneipen

Mein letztes Ziel: Das sogenannte "Montagsangebot für studentische Börsen", das der Merian verspricht. In den Altstadt-Kneipen "Schuppen", "Quo Vadis" und den "Elsässer Weinstuben" soll es nach Auskunft meines Reiseführers Bier, Wein und Bowle für fünfzig Pfennig geben, "mal auch Sense (Apfelsaft und Korn), plus Kopfschmerztablette, wenn nötig". Eine alte D-Mark stecke ich ein, daran soll es wirklich nicht scheitern.

Die "Elsässer Weinstuben" gibt es nicht mehr, dafür die Kneipe "Babel". Montags gibt es hier 0,3 Liter Fassbier für 1,90 Euro, für meine D-Mark bekomme ich hier nichts. Das "Quo Vadis" in der Wolfstraße, heute "Bierquelle", hat kein Montagsangebot, sondern Ruhetag.

Der frühere "Schuppen" heißt jetzt "Pawlow". Ich erzähle dem Wirt vom Montagsangebot der Vergangenheit und wühle meine D-Mark heraus. Montagsangebot ist nicht mehr, "Sense" auch nicht. Ich muss mich entscheiden: "Pils oder Kölsch?" Ich bekomme ein Feierabendpils. Und bezahle mit der Mark. Mit Inflation und Trinkgeld sollte das preislich hinhauen. Prost, Merian!

Von Köln nach Bonn: Studenten der Kölner Journalistenschule sind für den General-Anzeiger in Bonn und der Region unterwegs. In lockerer Folge stellen wir ihre Sommer-Reportagen vor.

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