GA-Serie "Rheinland für Entdecker" Im Diplomatenviertel Bad Godesberg war die Welt zu Gast

BAD GODESBERG · Was von Bonn als Bundeshauptstadt übrig blieb, lohnt jeden Weg. In Bad Godesberg, dem früheren Diplomatenstadtteil, führt Michael Wenzel zu den Botschaften, die es schon lange nicht mehr gibt.

Bei Fritz Dreesen hat alles angefangen. Seine Familie betreibt das Rheinhotel in Bad Godesberg direkt am Rhein, gleich gegenüber von Drachenfels und Petersberg. Kaiser und Könige kehrten hier schon immer ein. Mit den Exzellenzen hatte man Erfahrung und die Exzellenzen kannten Dreesens.

Als Bonn Hauptstadt wurde, hatte das Folgen: Wer als Diplomat nach Bonn abkommandiert wurde, quartierte sich erst einmal hier ein. "Der italienische Gesandte blieb dann gleich sechs Jahre", erzählt Dreesen. Auf der Suche nach geeigneten Räumen streiften die angehenden Botschafter dann durch die Straßen des Rheinviertels und stießen auf unzerstörte Villen aus der Gründerzeit.

So wurde Bad Godesberg zum Stadtteil mit hoher Diplomatendichte. Den Anfang machten die Franzosen. Ihr Hoher Kommissar residierte mit seinem Stab im Dreesen, bevor es wieder Hotel werden durfte. Weil man schon mal da war, kaufte die Grande Nation das Grundstück gleich gegenüber und baute dort die Botschaft. "Da haben wir immer alles mitbekommen", erinnert sich Dreesen: Feiertage, Staatsbesuche und Terrorgefahr. US-Präsident Eisenhower war natürlich auch da und fand es schön. "Dem musste man nicht erklären, was Godesberg und das Dreesen sind", sagt Dreesen. Und, na klar: Die Botschaft der Amerikaner entstand ein paar Hundert Meter den Rhein hinauf in Godesberg.

Michael Wenzel kennt die Adressen der ehemaligen Botschaften ganz genau. Seit 2007 macht er Führungen zu den ehemaligen Vertretungen, Botschafterresidenzen und Konsulaten in Bad Godesberg. Über 180 waren es am Ende der Hauptstadtzeit, verstreut über die Stadt, bevorzugt aber im Bonner Süden.

Villen und Bürogebäude warten auf Neubeginn

Wenzel ist selbst Kind dieser Zeit. Seine Mutter ist Portugiesin. Sie hatte einen Deutschen geheiratet und war nach Nordrhein-Westfalen gezogen. Als Portugal in den 1950er Jahren eine Botschaft in Deutschland eröffnen wollte, war sie eine der ersten Mitarbeiterinnen. Wenzels Vater folgte ihr bald. Der Sohn erlebte Aufstieg und Ende des Diplomatenstadtteils quasi aus der ersten Reihe mit. Aus oft kleinen Anfängen wuchsen große Vertretungen, die Sommerfeste machten, Empfänge zum Nationalfeiertag, die Revolutionen überstanden und Staatsstreiche, Kriege und Besetzungen. Die Welt mit all ihren guten und bösen Geschichten zu Gast in Bonn. Die Botschaft der Franzosen ist inzwischen verschwunden und durch Wohnhäuser ersetzt. Nach dem Wegzug der Bundesregierung 1999 zogen fast alle diplomatischen Vertretungen nach Berlin um. Rund 6000 Diplomaten lebten einst hier, noch einmal genauso viele Menschen arbeiteten in den Botschaften als normale Angestellte, in Service und Büro. Sie sind fast alle fort. Geblieben sind die Immobilien mit ihren wechselvollen Geschichten.

Das Beispiel Frankreich zeigt eine gelungene Neuorientierung. Es gibt aber andere Fälle, denn in Godesberg stehen Vertretungen von Ländern, die es gar nicht mehr gibt: Jugoslawien zum Beispiel. Oder von gescheiterten Staaten wie Somalia, oder von Ländern im Umbruch wie Syrien, das seine prunkvolle, im arabischen Stil aufwendig verzierte Botschaft gerade verkauft hat. Andere Villen oder Bürogebäude warten auf einen Neubeginn und verfallen langsam. Manches Land war noch lang in Bonn vertreten, weil es zu arm war, den Umzug nach Berlin zu bewerkstellingen.

Zu Fuß, mit dem Rad oder auch mit dem Bus geht es mit Michael Wenzel durch die grünen Straßen Godesbergs. "Achten Sie auf die Fahnenstangen", sagt Wenzel. Sie sind eine Art Leitfossil. Denn auch wenn die Häuser inzwischen normale Bürogebäude sind, Arztpraxen, Wohnungen oder Privatschulen beherbergen, der Fahnenmast ist meistens noch da. Wenzel ist in Godesberg aufgewachsen und hat Bonn nur kurz für die Ausbildung verlassen. Seit 2007 ist er quasi selbst im diplomatischen Dienst, denn aus der anfänglichen Idee, die Häuser nur von außen anzuschauen, ist schnell der Wunsch entstanden, die neuen Besitzer oder Bewohner zu besuchen.

Dabei gibt es immer wieder Überraschungen, wie bei der Chinesischen Botschaft am Godesberger Kurpark. Der große Neubau aus den 1980er Jahren liegt in einem wunderbaren Park und bezieht eine schöne alte Villa mit ein, das Rigalsche Palais. Über 100 Menschen arbeiteten vor 1999 hier. Die Dachziegel kamen einst aus der Volksrepublik und nehmen Motive der verbotenen Stadt in Peking auf. Chinesische Handwerker schufen ansprechende Dekorationen. Jahrelang tat sich gar nichts mehr, das Gebäude stand leer, der Park verwahrloste. Wenzel hörte nichts, wenn er fragte, ob er die Botschaft besichtigen könnte. Dann entschloss sich die Regierung in Peking, die Gebäude als Kulturzentrum zu nutzen. Plötzlich durfte Wenzel mit seinen Gruppen in die repräsentativen Säle. Ein Stück China mitten in Bonn, denn die Botschaft ist nach wie vor exterritoria0l, chinesisches Hoheitsgebiet. Die Hausherren sind immer sehr freundlich, sie halten Vorträge über China und es gibt manchmal eine Teezeremonie. Die Besichtigung ist ein Renner. Wenn Wenzel 50 Plätze anbietet, sind sie in kurzer Zeit ausgebucht.

Die Besucher der Rundgänge durch die diplomatische Vergangenheit Bad Godesbergs kommen vorwiegend aus Bonn und dem Rheinland. Hauptstadt-Nostalgiker hat Wenzel selten ausgemacht. Die meisten Teilnehmer sind einfach neugierig und hören gerne Geschichten: Von dem Godesberger, zum Beispiel der in politisch angespannten Zeiten dreimal kurz hintereinander an der hochummauerten israelischen Botschaft vorbeifuhr und sich anschließend bei der Polizei erklären musste. Von den Panzerwagen, die in den Straßen wachten. Oder von der Nelkenrevolution in der portugiesischen Botschaft, als Willy Brandt selbst vorbeikam, um zu gratulieren. Von der Apostolischen Nuntiatur und dem Besuch Johannes-Paul II. oder von Nelson Mandela in der Südafrikanischen Botschaft.

Es geht noch immer international zu

Am Ende seiner Rundgänge landet die Gruppe gerne bei Fritz Dreesen, wo 1949 alles anfing. Der Seniorchef oder sein Sohn Olaf erzählen dann mit Blick auf den Rhein noch ein paar Geschichten von sturzbetrunkenen Gesandten, die man für den Besuch des Botschafters erst in stützende Kissen packen musste. Oder die Sache mit Helmut Kohl, der Fritz Dreesen viermal über den Haufen rannte, bevor es dem Chef des Hauses gelang, sich kurz vorzustellen. "Die hohen Tiere waren aber immer unproblematisch", erinnert sich Dreesen. Viele der berühmten Köpfe hängen als gerahmte Karikaturen im Haus.

Der Seniorchef ist nicht traurig, dass die Zeit der Hauptstadt vorüber ist. Heute hat sein Haus andere Gäste. Sie mögen den Rhein oder sind beruflich in der Stadt, bei der Post oder der Telekom. International geht es immer noch zu.

Fritz Dreesen ist das recht. Er ist ein Gastgeber der alten rheinischen Schule: Ihm ist jeder willkommen, der sich in seinem Haus wohlfühlt, Titel oder Stand sind ihm gleich. So war Bonn als Hauptstadt erfolgreich und so hat es den Wechsel hinbekommen. Die Kaiser, Könige, Kanzler oder Botschafter kommen und gehen: Bonn und der Rhein bleiben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort