Das Autobahnschloss Kamera-Flug an der Kommende Ramersdorf

Ramersdorf · Plötzlich taucht sie im Autofenster auf. Auf der A59 von Bonn nach Sankt Augustin, oder auf der 562 Richtung Königswinter fängt die Kommende Ramersdorf für einen kurzen Moment den Blick: ein Märchenschloss, hell strahlend im Siebengebirgsgrün, umzingelt von Autobahnen, gefangen im Asphalt wie ein Diamant in einer Fassung aus Blech.

Von oben betrachtet man die feinen Türmchen des Schneeweißchens und schüttelt irgendwie immer kurz den Kopf ob der Tragik dieses Ortes, zu der man just im Moment des Betrachtens als Autofahrer selbst beiträgt.

Von unten ist es fast genauso schlimm wie von oben. Der Weg zur Kommende Ramersdorf nimmt seinen nüchternen Anfang am Ausgang der U-Bahn-Station. Über dem Kopf Autobahndröhnen, fast mag man glauben, dass das Autobahnschloss eben auch nur per Autobahn zu erreichen ist. Aber der Taxifahrer an der U-Bahn-Station macht keine Anstalten, ein Geschäft zu versuchen. "Den Weg da vorn lang, dann rechts ab", sagt er nur auf die Frage, wie man zur Kommende kommt.

Es ist ein kurzes Stück zum Schloss, und es ist eines, das passt: der Bürgersteig der Oberkasseler Straße extra-schmal - hier regiert der Automensch, der Fußmensch drückt sich am Rand entlang und sieht zu, dass er schmale Schritte macht. Dann rechts ab ins Namenlose. Kein Straßenschild, nur eine Hinweistafel, vom Zahn der Zeit angenagt: "Schlosshotel Kommende Ramersdorf". Kurz wird das Grün dicht, dann steht es auf einmal einfach da, das Schloss.

Von nahem wird aus dem Strahleweiß ein sanfter Cremeton und aus langweilig-glattem Asphalt holperiges Pflaster. Ein großes Tor spendet dem Eintretenden kühlen Schatten. Und zwar seit fast achthundert Jahren: "Das Tor", sagt Wolfgang Bartel, "ist in Teilen noch aus dem Mittelalter." Ein schmaler Mann mit klugen hellen Augen, 73 Jahre alt. Ein Mann, der sein Interesse zum Beruf gemacht hat und das damit verdiente Geld wiederum in sein Interesse steckt. Wolfgang Bartel hat die Kommende Ramersdorf 1978 gekauft. Da war schon klar, dass sich die Autobahnen wie ein Lasso um sie herum legen würden.

"Ich finde ja, es ist gar nicht so laut", sagt Bartel und nippt an seiner Tasse Kaffee. Dabei guckt er von der Terrasse aus aufs Panorama, das so schön ist, dass man kaum merkt, wie es brummt. Über die Dächer von Ramersdorf geht es Richtung Rhein, rechts spitzt sich die Stiftskirche empor, weiter links erkennt man die Silhouetten der Universitätstürme, ganz links glänzt der Posttower wie ein silberner Faden auf hellblauer Himmelseide.

Wenn Bartel hier ist, dann schläft er meist unterhalb der ziselierten Rosette. Manchmal auch im Hotel. "Um zu gucken, wie es ist", sagt er. Das Drei-Sterne-Hotel nimmt gut ein Drittel des Gebäudes ein. Früher waren dort die Stallungen für die Pferde.

Bartel kennt das "Früher" ganz genau. Der Antiquitätenhändler und Auktionator mit zweitem Wohnsitz in Leipzig (natürlich in einem Altbau) ist die Sorte Mensch, die "eher fünf als zwei Bücher" mit in den Urlaub nimmt und dann auch noch gerne Literatur übers Mittelalter. Unzählige Bücher gibt es hier, seit Bartel das Schloss bewohnt. Dinge mit Geschichte haben ihn "immer schon" fasziniert. Geschichte studierte er auch, in Berlin, und jobbte nebenbei als Nachtwächter in der Berliner Nationalgalerie.

Als Antikhändler empfand er das damals noch geteilte Berlin als "schwieriges Pflaster. Wir kauften unsere Ware in Westdeutschland, dann mussten sie durch zig DDR-Kontrollen, um dann in Berlin-West wiederum an Westdeutsche verkauft zu werden." 1969 zog es Bartel deshalb in den Westen, nach Bonn. Dort bewohnte er zunächst das geschichtsträchtige Hotel Bellevue in Rhöndorf.

Und dann kam das Schloss. Zu dem Zeitpunkt im Besitz des Bundesvermögensamtes, das bestrebt war, nicht benötigte Bonner Immobilien los zu werden. Bartel schlug zu. Und bezog ein Haus, das in 800 Jahren so ziemlich alles erlebte, was man als Haus so erleben kann: Am Anfang diente es dem Deutschen Ritterorden als Einnahmequelle für die Kreuzzüge, später war es eine Art Alterswohnsitz für Ordensbrüder: "Es gab durchaus diese Fälle", erzählt Bartel, "in denen die Frau ins Kloster und ihr Mann in den Ritterorden ging, um im Alter versorgt zu werden." Dass für den Einzug die Mönchsgelübde abgelegt werden mussten - Gehorsam, Keuschheit, Armut - war vermutlich im Lebensabend nicht so schlimm.

Illustre Besitzer wechselten sich nach den Rittern ab. Zunächst "erbte" unter Napoleon das Großherzogtum Berg das Haus, verkaufte es 1807 an den Fürsten Joseph von Salm-Reifferscheidt-Dyck. 1840 ging das Haus in Flammen auf, brannte bis auf die Grundmauern nieder und wurde als Schloss wieder aufgebaut.

Wieder schick, kam es in den Besitz der fürstlichen Stieftochter, die es dann 1881 verkaufte. Noch einmal adelig wurde es mit Besitzer Baron Albert von Oppenheim. 1940 kaufte die Deutsche Reichsbahn Schloss und Park. Der Zweite Weltkrieg verschonte die Kommende. Unversehrt kam sie in die Nachkriegsjahre, ging folgerichtig von der Reichsbahn in den Besitz der Bundesbahn über, die bis 1967 ab und an dort Schulungen durchführte.

Dann blieb es leer und kümmerte niemanden mehr. Längst war das Tor aus dem Mittelalter das einzige ernsthaft ehrfürchtige Stück Geschichte. Das Ziselierte, Rüschige, Märchenhafte war dem Haus im 19. Jahrhundert und später verpasst worden - von zwei, so darf man es im Bonner Rheinland sagen, alten Bekannten: Edwin Oppler und Wilhelm Hoffmann, die sich schon an Schloss Drachenburg ausgetobt hatten, überfielen nun auch die Kommende mit ihrer Vorliebe für gotisierende Formensprache und den Ausstattungsgeschmack des Historismus.

Als Ende der Siebziger Jahre das Autobahnkreuz entstand, da wäre es um das Märchenschloss beinahe geschehen gewesen. Bürger verhinderten die Abrisspläne, die Autobahnen legten sich "nur" rundherum in scharfe Kurven. Das Bundesvermögensamt wurde es schließlich los. An Bartel.

"Es ist eine schöne Sache, dieses Schloss", sagt er. "Aber man muss es auch durch die Zahlen und die Zeiten bringen." Das klappt dank Hotel und Restaurant.

Der Dornröschenturm mit Wendeltreppe hat nie ein Dornröschen gehabt. Aber es gibt ihn noch, immerhin. Und in gewisser Weise hat das Autobahnschloss mit Bartel dann schlussendlich doch eine Ahnung der Romantik erhalten, die Oppler und Hoffmann bei ihren Verschönerungsplänen im Sinn gehabt haben mochten: Das Bonner Standesamt führt hier Trauungen durch, Ja-Sager treffen sich immer mal wieder auf der Freitreppe, um den Beginn ihres ganz persönlichen Märchens vor Schlosskulisse zu feiern. Die Romantik wohnt hier nicht. Aber sie kommt, gelegentlich, zu Besuch.

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